KNA: Frau Kremer-Preiß, der Hamburger Fall hat erhebliches Aufsehen erregt. Es wurden Forderungen nach rechtlichen Regelungen für Betreutes Wohnen laut. Halten Sie das für notwendig?
Kremer-Preiß: Ich bin da sehr skeptisch, weil man genau abwägen muss zwischen Betreuung auf der einen und Freiheit auf der anderen Seite.
Wer in einer Einrichtung für Betreutes Wohnen lebt, lebt rechtlich gesehen immer noch in seiner eigenen Wohnung und ist für sich selbst verantwortlich. Zugegeben: Manche Leute glauben fälschlicherweise, beim Betreuten Wohnen handele es sich um eine Billig-Variante im Vergleich zum Heim.
KNA: Es gibt also deutlich weniger Regulierungen als bei Heimen?
Kremer-Preiß: Es gibt eben kein Heimgesetz und keine Heimaufsicht. Das ist ja nach Ansicht vieler gerade der Nachteil bei Heimen, dass alles gesetzlich reguliert ist und kaum Spielraum für Freiheit bleibt. Manche Kritiker sagen spöttisch, dass die Heime so überreguliert sind, dass sie zu den sichersten Einrichtungen in Deutschland nach Atomkraftwerden geworden sind.
KNA: Was macht dann überhaupt das Betreute Wohnen aus?
Kremer-Preiß: Im Kern geht es darum, dass es einen Ansprechpartner vor Ort gibt, der Dienste wie Hauswirtschaftshilfen oder medizinische Betreuung auf Anforderung organisiert und Gemeinschaftsräume vorhält, in denen Freizeitveranstaltungen durchgeführt werden. Diese Wohnform hat in Deutschland kontinuierliche Zuwächse, auch wenn sie nicht mehr so stark zunimmt wie früher. Nach Schätzungen leben in Deutschland rund 230.000 Menschen im Betreuten Wohnen, rund 1,6 Prozent der über 65-Jährigen.
KNA: Muss es in einer solchen Einrichtung nicht auffallen, wenn jemand mehrere Tage nicht aus seiner Wohnung kommt und möglicherweise bewusstlos auf dem Boden liegt?
Kremer-Preiß: Noch einmal: Idee des Betreuten Wohnens ist es, dass jeder für sich selbst verantwortlich bleibt. Natürlich bieten manche Einrichtungen Kontroll-Systeme an, mit denen überprüft werden kann, ob die Bewohner noch wohlauf sind. Das reicht von Schildern, die man täglich an die Tür hängen muss, über Notrufgeräte bis zu technischen Kontrollen, die beispielsweise messen, ob die Klospülung betätigt wird. Aber so etwas ist nicht jedermanns Sache.
KNA: Muss man also solche Todesfälle hinnehmen?
Kremer-Preiß: Der Hamburger Fall war sicher nicht der erste, aber so etwas kann auch in den eigenen vier Wänden zu Hause passieren.
Wichtig aus unserer Sicht ist, dass die Menschen wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie sich für Betreutes Wohnen entscheiden. Das KDA bietet Musterverträge an, in denen Mindeststandards wie barrierefreies Wohnen, Kündigungsrechte und Leistungen der Betreuungskraft geregelt sind. Darüber hinaus empfehlen wir, auf Qualitätssiegel und ähnliche Standards zu achten. Es gibt zum Beispiel bundesweit eine gültige DIN-Norm (DIN 77800) für Betreutes Wohnen. Diese ist zwar nicht rechtsverbindlich. Diejenigen Einrichtungen, die sie erfüllen, können aber damit werben, bestimmte Mindeststandards zu erfüllen.
Rat an Senioren: Auf Qualitätssiegel zum Betreuten Wohnen achten
"Jeder bleibt für sich selbst verantwortlich"
Ende vergangener Woche wurde in einer von der katholischen Kirche getragenen Hamburger Anlage für Betreutes Wohnen die Leiche eines 73-jährigen Rentners entdeckt, der zuvor zehn Tage lang unentdeckt tot in seiner Wohnung gelegen hatte. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußert sich die zuständige Referentin des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA), Ursula Kremer-Preiß, zur Situation des Betreuten Wohnens im Alter.
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