Südafrikas Quälgeist und Vorträumer Desmond Tutu wird 90

Rainbow Warrior

Die Kämpfer seiner Gewichtsklasse sind rar geworden. Kategorie Weltgewissen. Jene, zu denen man auch dann aufschaut, wenn sie so klein von Wuchs sind wie Desmond Tutu, der frühere Erzbischof von Kapstadt.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Emeritierter Erzbischof Desmond Tutu im Jahr 2016 / © Nic Bothma (dpa)
Emeritierter Erzbischof Desmond Tutu im Jahr 2016 / © Nic Bothma ( dpa )

Desmond Mpilo Tutu, Kämpfer gegen die Apartheid in Südafrika, Friedensnobelpreisträger, Experte für Versöhnung, will eigentlich Pensionär sein - und würde doch eigentlich immer noch dringend gebraucht. Denn bis heute ist die "Regenbogennation", von der Tutu immer träumte, eine große Baustelle. Mehrfach hat sich die "Stimme der Schwarzen", wie ihn Nelson Mandela nannte, offiziell ins Privatleben zurückgezogen. Aber so richtig klappte es am Ende doch nicht. Am 7. Oktober wird Desmond Tutu 90 Jahre alt.

Der Hoffnungsträger gegen die Apartheid

Als seit Mitte der 70er Jahre die meisten Anführer der Schwarzen im Gefängnis saßen, wuchs der anglikanische Priester Tutu mehr und mehr in die Rolle des Hoffnungsträgers gegen den Apartheid-Staat hinein. Die weißen Machthaber zogen mehrfach seinen Pass ein, verhafteten ihn. Doch noch vor Gericht klagte er die vermeintlich christlichen Politiker an, die ihre Parlamentssitzungen mit einem öffentlichen Gebet begannen: "Unser Gott macht sich etwas daraus, dass Kinder in 'Umsiedlungslagern' verhungern - so nennt man ja wohl diese Schuttabladeplätze für die armseligen Opfer dieses gemeinen und bösartigen Systems. Der Gott, den wir anbeten, macht sich etwas daraus, dass Menschen unter mysteriösen Umständen in Untersuchungshaft sterben."

Je mehr Tutu an weltweitem Ansehen und Autorität erwarb, desto weniger angreifbar wurde er im eigenen Land. Er scheute sich nicht, im Ausland zum Wirtschaftsboykott gegen Südafrika aufzurufen. Für seinen "gewaltlosen Einsatz gegen das Apartheid-Regime" erhielt er 1984 den Friedensnobelpreis. Im selben Jahr wurde er als erster Schwarzer zum Bischof von Johannesburg gewählt; nur zwei Jahre darauf folgte die Ernennung zum Erzbischof von Kapstadt und damit zum Oberhaupt der zwei Millionen Anglikaner des Landes. Seine Wahl stieß aber auch auf Kritik: Viele weiße Anglikaner - durchaus nicht nur Freunde des Systems - sahen darin ein "billiges Nachgeben" gegenüber dem militanten schwarzen Lager und befürchteten eine Politisierung des Amtes.

Wortgewandter Erzbischof

Streitbarkeit und Furchtlosigkeit waren für den ironischen und rhetorisch brillanten Kirchenführer jedoch kein Zeichen von Gewaltbereitschaft: "Ob es mir passt oder nicht, ob es ihm passt oder nicht - Präsident Botha ist mein Bruder, und ich bin dazu verpflichtet, ehrlich für sein Wohl zu beten", so seine Botschaft bei der Amtseinführung in Kapstadt. Immer wieder wurden jedoch auch Stimmen laut, die Tutus Neigung zu Demagogie kritisierten und Zweifel an seiner Integrationsfähigkeit anmeldeten.

Dass Tutu an jedem normalen Arbeitstag viele Stunden in Stille und Gemeinschaft mit Gott verbrachte, war dabei ein Schlüssel zu seiner außergewöhnlichen Belastbarkeit und seiner produktiven Energie. Dabei war der Erzbischof immer auch ein großartiger Geschichtenerzähler und Witzbold. In einer weniger politisch aufgeladenen Umgebung hätte er als Komiker gut verdienen können.

Kommission für Wahrheit und Versöhnung

Mit dem Ende des Apartheid-Staates Anfang der 90er Jahre war die "moralische Wende" in Südafrika noch lange nicht geschafft. Die wohl undankbarste Aufgabe stand dem "Quälgeist" (Tutu über Tutu) noch bevor. Als Vorsitzender der "Kommission für Wahrheit und Versöhnung" hörte der emeritierte Kirchenführer seit 1996 Täter und Opfer des Systems an. Rund 20.000 Fälle zwischen 1960 bis 1994 wurden in drei Jahren untersucht.

Die Kommission nahm sich nicht nur die einstigen Machthaber vor, sondern prangerte auch Folter, Attentate und Mordbefehle des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) an; selbst die Kirchen bekamen ihr Fett weg. Der Lohn für die Unbestechlichkeit: Lügen, Tränen, neuer Hass. Zwei Drittel aller Südafrikaner, egal welcher Hautfarbe, waren überzeugt, die Wahrheitskommission habe nicht zu Versöhnung beigetragen, sondern die Gräben zwischen den Rassen vertieft.

Nicht nur die ehemaligen weißen Machthaber des Apartheid-Staates hatten am Ende mit der Kommission gebrochen. Auch "Opfer" von einst, Mitglieder des nun regierenden ANC, versuchten in einem unwürdigen Schauspiel, die Veröffentlichung des 3.500 Seiten langen Abschlussberichts zu verhindern. Das brachte Tutu in Rage. "Ich habe nicht mein Leben lang gegen Tyrannei gekämpft, um sie durch eine andere Form der Tyrannei ersetzt zu sehen", tobte er Ende 1998.

Weltgemeinschaft nimmt es nicht ernst genug

Entmutigen ließ sich Südafrikas Vorträumer freilich nicht. Über die Grenzen des Landes hinaus blieb er auch in den folgenden beiden Jahrzehnten weiter wachsam und in der Tagespolitik präsent. So klagte er etwa die Weltgemeinschaft an, die blutigen Konflikte in Afrika nicht ernst genug zu nehmen: "Die bittere Wahrheit ist, dass manche Leben eben ein bisschen weniger wert sind als andere", schimpfte er. "Wenn du nur ein wenig dunkler bist, landest du fast immer am Ende der Fahnenstange."

Seit er auch all seiner vielen Ehrenämter ledig ist, hört man die "Stimme der Schwarzen" nur noch selten. Tutu will den Rest seiner Lebenszeit der Familie widmen. Das ist würdig und recht. Doch auch um die Vision seiner und Mandelas "Regenbogennation" ist es seitdem immer stiller geworden. Die ANC-Regierungen verwalten das Erbe der Anti-Apartheid-Kämpfer schlecht.


Quelle:
KNA