Radikale US-Politik und evangelikale Religion verschmelzen

Die Jesus-Bewegung setzt auf die "Erweckung" Amerikas

In den USA vermengen sich Religion und politische Rechte immer mehr. Die "Jesus-Bewegung" verbindet kirchliche Ausdrucksformen mit missionarischem Eifer und politischer Agitation. Ihr wahrer Heiland heißt Donald Trump.

Autor/in:
Bernd Tenhage
US-Präsident Donald Trump mit einer Bibel vor der St. John's Episcopal Church / © Patrick Semansky (dpa)
US-Präsident Donald Trump mit einer Bibel vor der St. John's Episcopal Church / © Patrick Semansky ( dpa )

Die Aufforderung klang unmissverständlich. Jeder möge bitte "inspirierende Worte im Namen unserer politischen J-6-Gefangenen sagen", so der Sprecher einer rechten Protestveranstaltung in Phoenix im US-Bundesstaat Arizona. "J-6" steht für den 6. Januar 2021, dem Tag, an dem militante Rechte, christliche Nationalisten und Verschwörungstheoretiker den Kongress in Washington stürmten, um den friedlichen Übergang der Macht an den neuen US-Präsidenten Joe Biden zu verhindern.

"Trump als wahrer Präsident"

Nicht anders die Stimmung bei einer Kundgebung in Michigan Anfang April. Dort meldete sich ein evangelikaler Pfarrer zu Wort, der in Jesu Namen für den abgewählten Präsidenten betete. "Vater im Himmel, wir glauben fest daran, dass Donald Trump der aktuelle und wahre Präsident der Vereinigten Staaten ist."

Verbindung von Politik und Religion

Nur zwei Beispiele unter vielen, die für die Verbandelung von Politik und Religion in Amerikas Rechter stehen. Ein Phänomen, manchmal auch "Jesus-Bewegung" genannt, dem die "New York Times" kürzlich nachging. Die zutage geförderten Innenansichten sind alarmierend. So ziemlich keine populäre Verschwörungstheorie fehlt im Pantheon der politischen Glaubenswelt: Sie reichen vom QAnon Konstrukt über Corona-Leugner und Waffennarren bis hin zu Anhängern der Idee von der "großen Lüge", die wegen der angeblich gestohlenen Präsidentschaftswahlen opponieren.

Daraus entsteht ein seltsames Gemisch aus politischem Aktivismus und religiöser Erweckung, deren Vertreter sich für die "wahren Christen" halten. Dabei verwischen die Grenzen. Wer sich nicht auskennt, könnte meinen, bei einem evangelikalen Gottesdienst gelandet zu sein, nicht bei einer politischen Kundgegebung.

"ReAwaken America"

Besonders deutlich wird das bei "ReAwaken America", einer Organisation, die mit Unterstützung großer evangelikaler Kirchen vor ausverkauften Rängen durch das ganze Land tourt. Hauptsponsor ist das Medienunternehmen "Charisma News", das sich als Sprachrohr konservativer Christen versteht. Dort sucht man nach der "Wahrheit", etwa danach, "was am 6. Januar wirklich passiert ist".

Die methodistische Pfarrerin Melinda Teter Dodge hat beobachtet, dass viele Redner bei "ReAwaken" aus dem Dunstkreis jener geistigen Brandstifter stammen, die damals den Angriff auf das Symbol der US-Demokratie anheizten. In einem Meinungsbeitrag der "Times of San Diego" schreibt Teter Dodge, die "ReAwaken"-Leute predigten "den Erhalt der politischen Macht" wie eine Art "Heiliger Krieg".

Das Phänomen ist nicht neu

Das Phänomen politisch-religiöser Verquickung ist nicht neu. Die christliche Rechte ist seit Jahrzehnten mit dem US-amerikanischen Konservatismus verknüpft. In den 80er Jahren hatten Evangelikale und Fundamentalisten ihre Distanz zur Politik aufgegeben. Sie erlangten unter George W. Bush erstmals wirklichen Einfluss in der Republikanischen Partei; und dominierten diese unter dem wenig religiösen Donald Trump, der seine Politik gern an den Forderungen ihrer Führer ausrichtete.

Machtzuwachs der religiösen Rechte

Den Unterschied zwischen einst und heute, so die Historikerin Diana Butler Bass im Online-Magazin "Religion Dispatches", sei der Machtzuwachs der religiösen Rechten. Er zeige sich in einem einflussreichen Netzwerk zwischen Politik, Medien, Denkfabriken und Lobbygruppen, die sich auf steinreiche Spender stützten. So schafften sie sich eine eigene Realität in Echokammern, "in denen sie sich von allen anderen absondern können, die ihre politisch-religiöse Welt infrage stellen".

USA an der Schwelle zur Erweckung

Kein Wunder, dass viele in der "Jesus-Bewegung" die USA an der Schwelle zur Erweckung sehen. Geistliche und politische Veränderungen sollen dabei Hand in Hand gehen. "Wir erleben ein geistliches Erwachen", meint Pastor Che Ahn von der Harvest Rock Church im kalifornischen Pasadena. "Christen engagieren sich immer mehr und werden zu Aktivisten." Das sei "eine gute Sache, denn die Kirche hat geschlafen".

Den Begriff der "Jesus-Bewegung" verwendet auch Sami Jackson aus Kalifornien, die sich in der Shasta County Freedom Coalition engagiert und Kurse zu "biblischer Staatsangehörigkeit" anbietet. Laut Website der Organisation verfügt die Gruppe auch über eine bewaffnete Miliz. "Ich glaube, Gott hat Donald nur vorübergehend abgesetzt", erklärt Jackson den Machtverlust Trumps. Dies sei nötig gewesen, "damit die Kirche aufwacht und wieder Vertrauen in sich selbst hat, um unser Land zurückzuerobern".

Wurzeln der evangelikalen Bewegung

Die evangelikale Bewegung hat ihre Wurzeln im Pietismus und Methodismus sowie in der deutschen Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts, für die etwa Ludwig Hofacker in Württemberg und Johann Hinrich Wichern in Hamburg stehen. Vorläufer der heutigen Organisationsvielfalt im evangelikalen Bereich sind Bibel- und Missionsgesellschaften, die Christlichen Vereine Junger Männer und Frauen sowie die evangelischen Gemeinschaften, die sich 1888 in Gnadau bei Magdeburg zu einer ersten Pfingstkonferenz versammelten. Einen Schub erlebte die evangelikale Bewegung in der zweiten Hälfte des 20.

Symbolbild: Gottesdienst einer evangelikalen Glaubensgemeinschaft / © Paul shuang (shutterstock)
Symbolbild: Gottesdienst einer evangelikalen Glaubensgemeinschaft / © Paul shuang ( shutterstock )
Quelle:
KNA