Rabbiner zu Antisemitismus in Deutschland

"Endlich wird darüber gesprochen"

In den letzten Wochen häufen sich Meldungen über antisemitische Übergriffe wie Hass in Form von Sprüchen bis zu Schlägen. Doch solche Taten sind im Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg nichts Neues, sagt Rabbiner David Geballe.

Zwei Männer mit Kippa bei der Solidaritätskundgebung "Berlin trägt Kippa" in Berlin / © Michael Kappeler (dpa)
Zwei Männer mit Kippa bei der Solidaritätskundgebung "Berlin trägt Kippa" in Berlin / © Michael Kappeler ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie die antisemitischen Vorfälle in den letzten Wochen wahrgenommen?

Rabbiner David Geballe (Jüdische Gemeinde in Duisburg, Mülheim und Oberhausen): In gewisser Hinsicht bin ich fast froh, dass sie passiert sind, denn es ist an sich nichts Neues. Das ist schon seit Jahren und Jahrzehnten gang und gäbe, dass so etwas passiert. Durch diese Vorfälle wird jetzt wieder in der Gesellschaft darüber gesprochen und man überlegt, was man dagegen tun kann.

Rabbiner David Geballe / © Jann-Jakob Loos (DR)
Rabbiner David Geballe / © Jann-Jakob Loos ( DR )

DOMRADIO.DE: Jetzt solidarisieren sich immer mehr Menschen mit den Juden in Deutschland. In Berlin gibt es die Veranstaltung "Berlin trägt Kippa" und in Köln "Kippa Colonia". Wie finden Sie das?

Geballe: Sehr gut. Immer wenn eine Minderheit in einer Gesellschafft ausgegrenzt wird, Vorurteile gegen sie existieren und Mobbing und tätlichen Angriffen Luft gegeben wird, ist es der sichere Weg in eine Diktatur und den Faschismus. Es ist gut, dass die Mehrheitsgesellschaft zu Hilfe eilt, wenn eine Minderheit Probleme hat, und zeigt: Nein, so geht es nicht, wir erlauben so ein Verhalten nicht.

DOMRADIO.DE: Außenminister Maas hat im Vorfeld der Solidaritätsveranstaltungen gemahnt: Wir müssen Antisemitismus in Deutschland bekämpfen. Was muss konkret dafür getan werden in Ihren Augen?

Geballe: Bildung, Schulbildung, Geschichtsunterricht. Es müssen Konzepte für die Schulen und die heutige Zeit erarbeitet werden. In so gut wie jeder Klassenstufe wird der Holocaust besprochen, leider mit Lehrmitteln aus den 60er und 70er Jahren, die nicht wirklich auf die Bedürfnisse der heutigen Zeit zugeschnitten sind. Mit dem Ergebniss, dass wenn im Unterricht das Wort "Holocaust" fällt, die meisten Schüler mit "oh, schon wieder" reagieren. Das ist nicht Sinn der Sache. Man sollte das Thema vielleicht lieber ein- oder zweimal besprechen, aber dafür gut und richtig.

DOMRADIO.DE: Wünschen Sie sich ein stärkeres Auftreten von muslimischer Seite?

Geballe: Von jeder Seite. Von der Mehrheitsgesellschaft oder von anderen Minderheiten. Wenn immer Juden oder Moslems oder Roma und Sinti oder wer auch immer in Bedrängnis geraten, weil sie gemobbt, weil sie sich Angriffen ausgesetzt sehen, sind die Demokratie und die Gesellschaft in Gefahr.

DOMRADIO.DE: Der Präsident des Zentralrats der Juden hat jetzt davor gewarnt, mit Kippa auf die Straße zu gehen. Ist das eine Warnung, der Sie Folge leisten?

Geballe: Rabbiner zu sein, beinhaltet ein gewisses Berufsrisiko. Auch ohne Kippa oder Kopfbedeckung würden mich Leute auf der Straße erkennen. Von daher bringt es für mich nicht allzuviel. Ich kann es aber verstehen, wenn Schüler oder Jugendliche aus meiner Gemeinde mich fragen: Kann ich das noch machen? Was soll ich tun?

DOMRADIO.DE: Aber es ist doch eigentlich schrecklich, sagen zu müssen, dass ich die Kippa dann lieber nicht aufsetze ...

Geballe: Ich empfehle den jungen Leuten dann meistens, eine Baseballcap oder irgendetwas aufzusetzen, um das religiöse Maß erfüllt zu haben, aber nicht offensichtlich erkennbar zu sein.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Kippa

Die Kippa ist eine kleine kreisförmige Kopfbedeckung. Männliche Juden tragen sie beim Gebet, an Gebetsorten wie Synagogen oder jüdischen Friedhöfen, teils auch im Alltag. Weder aus der Bibel, noch aus den jüdischen Gesetzbüchern ergibt sich ein Gebot für Männer, den Kopf beim Beten zu bedecken.

Die Kippa verbreitete sich seit dem 16. Jahrhundert und soll signalisieren, dass ihr Träger sich an die Gegenwart Gottes erinnert. Üblich ist sie in Synagogen ab dem dritten Geburtstag eines Jungen.

Ein jüdischer Mann trägt einen blauen Kippah mit einem Davidstern / © Nelson Antoine (shutterstock)
Ein jüdischer Mann trägt einen blauen Kippah mit einem Davidstern / © Nelson Antoine ( shutterstock )

 

Quelle:
DR