Psychologen bieten eine neue Therapie gegen das Grübeln an

Das Gedankenkarussell stoppen

Grübeln kann das Risiko erhöhen, eine depressive Störung zu entwickeln oder nach einer überwundenen Depression einen Rückfall zu erleiden.

Autor/in:
Isabel Fannrich-Lautenschläger
 (DR)

Davon sind die Psychologen am Zentrum für Psychotherapie der Ruhr-Universität Bochum überzeugt - und bieten nun eine neue Therapie an. Susanne Lang (Name geändert) sitzt in der Küche auf einem Stuhl. Der gehörte früher ihren Eltern, fällt ihr plötzlich ein. Und schon gerät sie ins Grübeln: "Warum kann ich mich nicht an meine Mutter erinnern? Weshalb habe ich erst vor einigen Jahren erfahren, woran sie gestorben ist, als ich acht Jahre alt war?" Nach einigen Stunden zermürbender Gedanken ist die 45 Jahre alte Frau immer noch keinen Schritt weiter - und so geht es ihr häufig.

Für Männer und Frauen, die schon depressive Phasen erlebt haben und noch unter Restsymptomen leiden, bieten sie nun eine neuartige Gruppentherapie an. Mit der in Großbritannien entwickelten Behandlung wollen sie ihren Patienten helfen, die grüblerische Auseinandersetzung mit sich selbst zu überwinden.

"Wir setzen uns im Gegensatz zu anderen Therapien mehr mit dem Prozess des Grübelns selbst auseinander als mit den Inhalten der Grübelei", erklärt Diplompsychologe Tobias Teismann. Susanne Lang etwa hat schon 15 Jahre Therapieerfahrung hinter sich. Sie kennt sich selbst. Sie weiß, dass nach dem Tod ihrer Mutter der damals schon betagte Vater sich kaum mit ihr beschäftigte, dass auch ihre Geschwister schon zu alt waren und sie selbst als Nachzüglerin mit vielen Fragen allein blieb. "Ich habe schon als Kind viel nachgedacht", sagt sie.

Männer betäuben ihre Gedanken oft mit Alkohol.
Jede fünfte Frau erkranke einmal im Leben an einer depressiven Störung, dagegen nur jeder zehnte Mann, sagen die Bochumer Psychologen. Zwar gibt es keinen festen Zusammenhang zwischen Depression und Grübelei. Aber Frauen grübeln häufiger, stellt Tobias Teismann fest, und Männer betäuben ihre Gedanken oft mit Alkohol.

Susanne Lang hadert mit sich. "Das Grübeln ist nicht konstruktiv, sondern ein stiller Stromverbraucher, der mir viel Energie nimmt. Bei mir ist das ein automatischer Prozess, der mir nachts den Schlaf raubt und mich tagsüber manchmal stundenlang beschäftigt", erzählt die Angestellte einer Krankenkasse. "Oft rattert es dann in meinem Kopf: 'Ich kann nichts, ich mache alles falsch.'"

Dieses Gedankenkarussell gilt es zu stoppen. Tobias Teismann übt mit seinen Patienten, ihr Verhalten zu verändern: die negativen Gedanken vorbeiziehen zu lassen, nicht jedes Schlappsein ernst zu nehmen und das Nachdenken auf später zu verschieben. Die Aufmerksamkeit soll von den zermürbenden Gedanken weg zu einer Aktivität hin gelenkt werden.

"Bei manchen ist das Grübeln eine schlechte Angewohnheit, die man in der Kindheit gelernt hat", erklärt Teismann. "Andere wiederum verbinden damit etwas Positives: 'Ich muss grübeln, sonst bin ich kein reflektierter Mensch.'" Das viele Nachdenken diene häufig als Entschuldigung, nicht aktiv zu werden. Das Risiko zu scheitern verringere sich. "So kommt man zwar nicht zu einer Entscheidung, wendet aber Schlimmeres ab", sagt der Psychologe.

Warum bin ich so wie ich bin?
Grübler blicken oft in die Vergangenheit und reiben sich an so abstrakten Fragen auf wie 'Warum bin ich so wie ich bin?'. Je länger sie nachdenken, desto unzufriedener werden sie.

Die Männer und Frauen lassen während der Gruppentherapie am Bach ihre Gedanken auf Papier davon schwimmen. Sie konzentrieren sich auf akustische Reize vom Band oder üben, sich nicht von Sätzen provozieren zu lassen wie: 'Ich bin ein Versager'. Sie lernen, ihre Gedanken auf den Notizblock zu verbannen und erst zwischen 18 und 19 Uhr wieder aufzugreifen. Und wenn nachts um drei die Welt untergeht, ist es besser aufzustehen und Hausarbeit zu erledigen. Auch in der Urlaubszeit gilt es, sich nicht zu Hause die Decke auf den Kopf fallen zu lassen.

"Die Leute kämpfen häufig nicht genug gegen das Grübeln an. Sie bleiben nicht lange genug bei einer Aktivität", hat Teismann beobachtet. "Aber man hat Einfluss darauf, seine depressiven Symptome zu akzeptieren - und dennoch weiter zu machen. Das heißt nicht, dass man sich gleich besser fühlt. Aber es wird auch nicht schlimmer."

"Für mich ist das Verschieben der Grübelei ganz schwierig", sagt Susanne Lang. Sie muss lernen, aus der Wohnung, wo sie ihre Themen wieder und wieder durchkaut, weg zu gehen. Raus ins Grüne und den Vögeln zuhören. Erste Erfolge zeigen sich: "Ich spüre immer öfter, wenn es wieder anfängt." Manchmal hört sie dann die CD mit dem Bienensummen, Regenprasseln und Meeresrauschen. "Ich kann mich auf etwas anderes konzentrieren", merkt sie. "Dann habe ich ein tolles Gefühl von Stille im Kopf. Eine wohltuende Leere."