Protest nach Angriff Aserbaidschans auf Bergkarabach

Sorge um Menschenleben

Neue Eskalation im Bergkarabach-Konflikt: Aserbaidschans Armee beschoss am Dienstag Ziele in der armenischen Enklave. Viele befürchten einen bevorstehenden Großangriff bis hin zum Völkermord. Aserbaidschan sieht sich im Recht.

Autor/in:
Christoph Schmidt
Kriegszustand in der Region Bergkarabach / © Bumble Dee (shutterstock)
Kriegszustand in der Region Bergkarabach / © Bumble Dee ( shutterstock )

Bundesregierung, Menschenrechtler und Kirchenvertreter reagieren entsetzt auf die Nachrichten über einen neuen Angriff Aserbaidschans auf das mehrheitlich von Armeniern bewohnte Bergkarabach. Besorgte Stimmen warnen gar vor einem drohenden Genozid an den Einwohnern der Konfliktregion auf aserbaidschanischem Staatsgebiet.

"Armenien und Aserbaidschan sind jetzt in einer sehr kritischen Situation", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag während einer Pressekonferenz bei der UN-Vollversammlung in New York. Kriegshandlungen müssten sofort beendet werden. "Es geht darum, wieder zum Pfad der Diplomatie zurückzukehren", so Scholz.

Auch UN-Generalsekretär Antonio Guterres äußerte sich "äußerst besorgt" angesichts des neuen Militäreinsatzes Aserbaidschans in Bergkarabach. In New York forderte er eine sofortige Einstellung der Kampfhandlungen sowie Zugang für humanitäre Hilfe. Die Lage der Zivilbevölkerung nannte Guterres besorgniserregend.

IGFM befürchtet ethnische Säuberungen

Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew wolle "die Vertreibung der armenisch-christlichen Bevölkerung" aus der Enklave erreichen, erklärte die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) in Frankfurt. Sie befürchtet gewaltsame sogenannte ethnische Säuberungen und forderte Deutschland und die EU zu Sanktionen auf. Es gehe um die Frage, ob der EU "Energieinteressen wichtiger als Völkerrecht und Achtung der Menschenrechte sind", sagte IGFM-Generalsekretär Matthias Boehning.

Internationale Gesellschaft für Menschenrechte

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) wurde am 8. April 1972 in Frankfurt am Main von 13 Gründungsmitgliedern ins Leben gerufen - zunächst noch als Gesellschaft für Menschenrechte (GFM). Als zentrales Motiv für die Gründung nennt die Organisation, damals hätten viele Menschen gegen den Krieg in Vietnam demonstriert, aber kaum jemand für politische Gefangene in sowjetischen Straflagern und politisch Verfolgte in der DDR, Polen, Rumänien und der Tschechoslowakei.

Symbolbild Einschränkung der Menschenrechte / © Aram Shahinyan (shutterstock)
Symbolbild Einschränkung der Menschenrechte / © Aram Shahinyan ( shutterstock )

Die armenisch-apostolische Kirche appellierte an die internationale Gemeinschaft, Baku zurückzuhalten und "angemessen auf die völkermörderischen Aktionen Aserbaidschans zu reagieren". Das Nachbarland habe eine großangelegte Militäroperation gegen friedliche Siedlungen in der international nicht anerkannten Republik Arzach in Bergkarabach begonnen und deren Hauptstadt Stepanakert ins Visier genommen, so die Kirchenführung in Eriwan.

Massiver Beschuss

Der Bischof der armenisch-apostolischen Diözese Deutschland, Serovpe Isakhanyan, erklärte, Aserbaidschan nehme "unter einem erfundenen Vorwand" Ortschaften mit Artillerie und Drohnen massiv unter Beschuss. "Es ist offensichtlich, dass Aserbaidschan das Ziel verfolgt, mit diesen verbrecherischen Methoden die Lebensbedingungen der armenischen Bevölkerung in Bergkarabach so unerträglich zu machen, dass die Menschen in ihrer Heimat keine Perspektive mehr sehen und die Flucht ergreifen." Der Westen müsse Alijew stoppen.

Von der Organisation Christian Solidarity International (CSI) hieß es, nun drohten massenhafte Tötungen bis hin zum Genozid an der angestammten armenischen Bevölkerung der Enklave. Entsprechende Andeutungen gebe es sogar aus aserbaidschanischen Regierungskreisen. Zudem drohten die Kämpfe ins benachbarte Armenien überzugreifen. Die bisherigen Partner Aserbaidschans müssten dem Land nun in den Arm fallen, um Verbrechen zu verhindern. CSI-Präsident John Eibner nannte in diesem Zusammenhang die USA, Russland, die EU, Israel und die Schweiz.

Bergkarabach weitgehend abgeriegelt

Zwischen den ehemaligen Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien im Südkaukasus kam es seit den 1990er Jahren immer wieder zu Gefechten um das mehrheitlich von christlichen Armeniern bewohnte Bergkarabach, das auf dem Staatsgebiet des mehrheitlich muslimischen Aserbaidschan liegt. In den vergangenen Monaten riegelte dessen Militär die Enklave weitgehend ab, in die kaum noch Hilfsgüter gelangten. Zugleich verstärkte es den Aufmarsch um Bergkarabach.

Das Verteidigungsministerium in Baku erklärte am Dienstag, armenische Artillerie habe zuvor aserbaidschanische Stellungen beschossen und mehrere Soldaten verletzt. Die eigene Militäraktion solle lediglich den Rückzug armenischer Truppen aus dem Gebiet durchsetzen, der nach dem Bergkarabach-Krieg 2020 festgeschrieben worden sei. Die Führung in Bergkarabach wie das armenische Verteidigungsministerium bezeichneten die Vorwürfe als unwahr.

Quelle:
KNA