Projekt zum Thema "Flucht"

Zeit verlieren – Zeit verbringen

Bei der Herausforderung, Flüchtlinge aus aller Welt aufzunehmen und zu integrieren, ist schnell von der "Flüchtlingskrise" die Rede. Künstler im Erzbistum Köln setzen sich mit diesem umstrittenen Begriff auseinander.

Zum Kunstprojekt "Fluchten" lädt derzeit der Arbeitskreis Migration des Diözesan-Caritasverbandes im Erzbistum Köln. Über ein Jahr lang haben sich zwölf rennomierte Künstlerinnen und Künstler mit dem Begriff "Flucht" beschäftigt. Dabei sind sehr unterschiedliche, eindringliche Kunstwerke entstanden. Die akustische Arbeit des Düsseldorfer Künstlers Oliver Gather ist derzeit im Raum der Still im Kölner Domforum zu hören.

domradio.de: "Tempus fugit" lautet der Titel, worum geht es?

Oliver Gather: Es handelt sich um eine sehr ungewöhnliche Arbeit von mir, die man nicht sieht, sie ist versteckt im Raum:  Es handelt sich um ein Hörstück mit dem Titel: "Tempus fugit", also die "Zeit, die flieht" und es geht um Zeitverlust. Was man hört, ist vielleicht meditativ. Vielleicht aber auch ein Ärgernis. Das hängt von den Besuchern ab und ich bin gespannt auf die Reaktionen.

domradio.de: Der Besucher bekommt aneinandergefügte Ansagen zu hören, die an die Verkehrsansage im Radio erinnern. Was hat das mit dem Thema Flucht zu tun?

Gather: Ich bin von Dr. Johannes Stahl eingeladen worden, dem Kurator des Kunstprojektes "Fluchten", das vom Diözesan Caritasverband für das Erzbistum Köln initiiert wurde. Er bat mich, bei dem Projekt mitzumachen und ich habe überlegt, was interessiert mich an dem Thema eigentlich? Was haben wir mit Flucht zu tun und wie bewegen wir uns selber durch das Leben? Ich glaube, dass wir ganz oft in Situationen sind, in denen wir eher fliehen als dass wir wahrnehmen, dass wir leben. Tatsächlich geht es in meinem Hörstück mehr um die Flucht, in der wir tagtäglich selber stecken.  

Ich greife das Thema auf mit einem Beispiel, das sicherlich jeder aus dem Radio kennt, wenn er Verkehrsfunk hört und den Zeitverlust um die Ohren gehauen bekommt. Dabei ist mir klar geworden: Man muss sich entscheiden, ob man Zeit verbringen will oder Zeit verlieren will. Und das ist eine Entscheidung: wenn man sich darauf einlässt, Zeit zu verlieren, dann ist man auf der Flucht. Und das ist sehr schade, dabei gehen auch Werte verloren. Menschen, die wirklich auf der Flucht sind, sind in einer anderen Situation. Aber wir können uns dafür entscheiden, unsere Zeit zu verbringen. Auch im Stau geht das.

domradio.de: Wie denn?

Gather: Ich kann mich darauf einlassen, dass ich jetzt Zeit verbringe. Oder ich kann mich darüber schwarz ärgern, dass ich Zeit verliere. Und wenn ich mich dafür entscheide, dann vergesse ich, dass die Zeit zählt, die ich gerade habe.

domradio.de: Welche Botschaft sollen die Besucher dieses Projektes mitnehmen?

Gather: Das Projekt läuft über zwei Wochen, jeden Tag von 13 bis 14 Uhr im Raum der Stille und das ist schon sehr seltsam, dass ausgerechnet im Raum der Stille ein Hörstück läuft. Es hat in seiner Redundanz, in seinen Wiederholungen eine Referenz zu meditativen Audios und gleichzeitig thematisiert es eben diesen Zeitverlust. Und das ist wie ein "double-bind", es hat also zwei unterschiedliche Botschaften: Ich verliere Zeit, während ich mir das Hörstück anhöre.

Ich habe das schon einmal in einer Klausur vorgespielt und die Reaktionen waren ganz spannend: Einige Leute haben es sofort begriffen, sich darauf eingelassen und meditiert. Und andere haben sich geärgert, dass man jetzt da sitzt und Zeit verliert. Und das ist das Thema dieses Hörstücks.

domradio.de: Was für einen Effekt erhoffen Sie sich dadurch?

Gather: Dass es eine räumliche Irritation gibt, weil der Raum anders genutzt wird, als sonst. Und wenn man dann wieder raus kommt, in den Alltag, in die Geschäftigkeit der Altstadt und auf der Domplatte, dann gibt es einen starken Kontrast zu dem, was man da gerade erlebt hat und dem, was ich auf der Straße vorfinde.

Das Interview führte Ina Rottscheidt.

Anhörungen gibt es jeden Tag von 13 bis 14 Uhr im Raum der Stille unter dem Domforum am Köln der Dom. Geöffnet noch bis zum 28. Mai.


Quelle:
DR