DOMRADIO.DE: Thomas von Aquin ist einer der bedeutendsten Kirchenlehrer des Mittelalters. Was wissen wir heute noch über sein Leben?

Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Speer (Leiter des Thomas-Instituts an der Universität Köln): Wir wissen eigentlich ziemlich viel von seinem Leben, weil er so prominent war, dass sein Leben gut dokumentiert ist. Erstens sind seine Schriften sehr vollständig und über viele Quellen überliefert.
Zweitens hatte er schon einen Biografen: Wilhelm von Tocco, wahrscheinlich einer seiner späten Schüler, hat angefangen, eine Biografie zu schreiben. Insofern gehört Thomas zu den am besten dokumentierten Gelehrten des 13. Jahrhunderts.
DOMRADIO.DE: Was macht Thomas von Aquin denn so besonders, dass wir uns 800 Jahre nach seiner Geburt immer noch an ihn erinnern?
Speer: Er zählt mit Sicherheit zu den ganz großen Klassikern der Philosophie und der Theologiegeschichte. Man kann ihn ohne Zweifel zum Beispiel neben einen der Jubilare des letzten Jahres stellen, Immanuel Kant.
Das Zweite ist die große Wirkung, die er auch nach seinem Tod noch bis in die Gegenwart hat. Noch die Enzyklika "Fides et Ratio" (1998) von Johannes Paul II. feiert Thomas als den Kirchenlehrer, den jeder unbedingt gelesen haben muss.
DOMRADIO.DE: Und warum sollte man Thomas unbedingt gelesen haben?
Speer: Thomas lebte und wirkte in einer sehr besonderen Zeit. Das 13. Jahrhundert ist eine große Umbruchsituation: Es ist ein großer wissenschaftlicher Umbruch hin zu einem Wissenschaftsverständnis, bei dem Aristoteles Modell steht und wie es dann an den Universitäten stattfindet. Thomas trägt dazu bei, dass sich die Theologie an den Universitäten etabliert.
Er ist Dominikaner und gehört damit einem Reformorden der damaligen Zeit an. Die Dominikaner rütteln das kirchliche Leben mächtig auf und tragen auch durch ihre Präsenz in den Städten sehr dazu bei, dass das intellektuelle Leben in eine ganz neue Dimension aufbricht.
DOMRADIO.DE: Was haben Sie im Thomas-Institut für dieses besondere Jubiläum geplant?
Speer: Ich mache zum Beispiel ein Übersetzungsprojekt. Es ist ein Open-Science-Projekt, das heißt, jeder, der übersetzen möchte, kann mitmachen. Wir wollen die "Summa theologiae" in ein modernes Deutsch neu übersetzen. Es gibt zwar mit der deutschen Thomas-Ausgabe eine alte Übersetzung, die ist aber noch nicht fertig und manche der Bände sind sprachlich schon ein wenig antiquiert. Das heißt, man braucht manchmal das Latein, um zu verstehen, was der Übersetzer sagen wollte. Wir möchten es modern machen. Das ist eines unserer Projekte. Dazu gibt es eine Internetseite und man kann mit uns kommunizieren.
Wer also Lust hat, sich auf ein intellektuelles Abenteuer der Übersetzung des Thomas einzulassen, der kann das gerne tun. Das ist, denke ich, so eines der wichtigsten und schönsten Beispiele.
DOMRADIO.DE: Thomas von Aquin wird auch in Köln groß gefeiert.
Speer: Das denke ich schon, ja. Ich habe den Dominikanern einen Reliquientausch vorgeschlagen, wie im Mittelalter. Also: Sie lassen uns ein bisschen Thomas da und bekommen ein Stück Albert. So sind Reliquien in der Tat damals durch die ganze christliche Welt verteilt worden. Aber schauen wir mal, ob es dazu kommt – ich bin eher skeptisch.
DOMRADIO.DE: Was können wir denn heute noch von Thomas von Aquin lernen?
Speer: Wir sollten von Thomas vor allen Dingen lernen, was eine authentische, wahrheitsorientierte, wissenschaftliche Einstellung ist und auch leisten kann. Wir können von ihm lernen, was er als die Charakteristika des Menschen versteht: Dass der Mensch dadurch Gottes Ebenbild ist, weil er über Vernunft und freien Willen verfügt.
Daraus folgt für ihn Zutrauen zu diesen Fähigkeiten, so etwas wie Autonomie und eine emanzipierte Lebensführung. Das heißt, wir sind verantwortlich und dürfen das auch sein. Und wir sollen auch anderen diese Verantwortung geben und ihnen mit demselben Zutrauen begegnen.
Das Interview führte Tim Helssen.