Priester und Orientalist Alois Musil vor 75 Jahren gestorben

Mann mit Eigenschaften

Er war ein Pionier, aufgerieben von der Weltgeschichte. 75 Jahre nach seinem Tod und angesichts der aktuellen Krisen im Nahen Osten wäre es an der Zeit, den Orientkenner Alois Musil neu zu entdecken.

 (DR)

Es gibt eine alte Porträtaufnahme um 1898, die Alois Musil zeigt: mit sonnengegerbter Haut und Kufiya auf dem Haupt, der Kopfbedeckung der Beduinen. Bei flüchtigem Hinsehen lässt der Mann mit dem markanten Profil an Lawrence von Arabien denken - nach der Geburt getrennt...

Er suchte die Wahrheit in der Wüste

Tatsächlich kreuzten sich im Orient die Wege des Priesters aus der Donaumonarchie und des Agenten aus England, ohne dass sich die beiden direkt begegneten. Verwandt war Alois mit Robert Musil, der mit seinem Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" zu Weltruhm gelangte.

Über Roberts Cousin zweiten Grades ist heute weit weniger bekannt. Dabei verfügte Alois über jede Menge Eigenschaften, die es lohnen, sich näher mit ihm zu befassen. Er starb vor 75 Jahren, am 12. April 1944, in der Endphase des Zweiten Weltkriegs - weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit.

Für seinen Grabstein soll er den Satz ausgewählt haben: "Er suchte die Wahrheit in der Wüste und in den Bibliotheken."

Karl-may-hafte Existenz

Der älteste Spross einer mährischen Bauernfamilie, geboren am 30. Juni 1868 im heute tschechischen Rychtarov (Richtersdorf), hatte viele Talente, war Priester und Forscher, Entdecker und Diplomat. Bei sieben Expeditionen in den Nahen und Mittleren Osten legte er Tausende Kilometer per pedes oder auf Kamelen zurück.

Seine beiden Biografen Karl Johannes Bauer und Erich Feigl zeichnen das Bild einer karl-may-haften Existenz - mit dem Unterschied, dass "Scheich Musa", wie Musil von den Beduinen genannt wurde, all das, worüber er schrieb, auch tatsächlich erlebte. "Zahllose Länder hat er erforscht, er, dieser Falke, Länder der Siedler und Wüsten; alles mit klarem Sinn und ganz ohne Furcht", dichtete Musils Freund Nuri Ibn Sa'lan, damals einer der mächtigsten Stammesführer Nordarabiens.

Von seinen Erkundungen brachte Musil detaillierte Beschreibungen der Nabatäer-Metropole Petra mit und schlug sich zu den ebenfalls im heutigen Jordanien gelegenen Wüstenschlössern durch. Dazu zählte auch das mutmaßlich im 8. Jahrhundert errichtete Qusair Amra, mit seinen Wandmalereien eines der beeindruckendsten Zeugnisse frühislamischer Kunst und Architektur.

"Als wäre er ein Moslem"

Der Geistliche, der neben mehreren anderen Sprachen sowohl Arabisch als auch Türkisch beherrschte, tauchte laut Feigl in die Welt des Orients ein, «als wäre er ein Moslem» - auch wenn seinen arabischen Freunden ein Rätsel blieb, warum ein Mann im besten Alter ohne Frauen durchs Leben ging.

In Europa verkehrte Musil bald in höchsten Kreisen. 1906 fertigte er für den britischen Außenminister Edward Grey ein Gutachten zur Frage der Grenzziehung zwischen dem britisch dominierten Ägypten und dem Osmanischen Reich an. 1912 reiste er mit Sixtus, dem Bruder der späteren Kaiserin von Österreich, Zita, nach Bagdad. Der Prinz bedankte sich hinterher mit den Worten: "Sie haben eine königliche Hoheit mitgenommen und einen Mann zurückgebracht."

Im Ersten Weltkrieg mutierte der Entdecker gar zum Geheimdiplomaten. Musil sollte zunächst die arabischen Stämme gegen die Briten in Stellung bringen. Über seinen Gegenspieler Lawrence sagte er nach dessen Tod 1935, dieser habe zwar gute Bücher geschrieben, doch "in Arabien scherte sich kein Mensch um ihn".

"Das Kreuz in der Weltgeschichte"

Den Lauf der Geschichte vermochte Musil freilich nicht aufzuhalten. Die Briten behielten die Oberhand; dass der österreichisch-ungarische "Generaloberkriegsrat" 1917 noch versuchen sollte, den Einfluss der deutschen Waffenbrüder auf die Türken einzudämmen, gereichte nur noch zur Fußnote.

Mit dem Zusammenbruch der Donaumonarchie begann Musils Stern allmählich zu sinken, auch wenn er einen Lehrstuhl an der Prager Karls-Universität erhielt. Er zog sich, unterbrochen von zwei USA-Aufenthalten, immer häufiger auf seine "Villa Musa" in Rychtarov zurück, später auf ein Landgut in Cesky Sternberk (Böhmisch-Sternberg).

Während die Saat des Nationalsozialismus aufging, ging der Forscher zu seinen Wurzeln zurück: Landwirtschaft und Theologie. Der Titel seines letzten zu Lebzeiten erschienenen Aufsatzes lautete: "Das Kreuz in der Weltgeschichte".

Von Joachim Heinz


Quelle:
KNA
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