Prälat Neher zu Herausforderungen für die Caritas-Arbeit

Was hält die Gesellschaft zusammen?

Die Flüchtlingskrise, die Veränderungen des Sozialstaats, die Globalisierung: Wie muss die Caritas auf die Herausforderungen der Zukunft reagieren? Caritas-Präsident Prälat Dr. Peter Neher bezieht im domradio.de-Interview Stellung.

Caritas-Präsident Peter Neher / © Markus Nowak (KNA)
Caritas-Präsident Peter Neher / © Markus Nowak ( KNA )

domradio.de: In Köln beraten derzeit mehr als 190 Teilnehmer der Caritas-Delegiertenversammlung, dem höchsten beschlussfassenden Verbandsorgan der Caritas in Deutschland, über die Zukunft der Caritas-Arbeit. Was sind dabei die wichtigsten Themen der Delegiertenversammlung?

Dr. Peter Neher (Präsident des Deutschen Caritasverbandes): Es handelt sich um das oberste Organ der Caritas, wo alle grundsätzlichen Endscheidungen fallen, wie etwa die Wahl Präsidenten oder Vizepräsidenten. Insofern gibt es viele formale Themen, wie die Entlastung des Caritas-Rates oder der Tätigkeitsbericht des Vorstandes.

Aber natürlich gibt es auch wichtige inhaltliche Debatten, in diesem Jahr geht es beispielsweise um das Thema Geschlechtergerechtigkeit und die Frage, wie wir das bei der Caritas umsetzen. Auch geht es um unsere Initiative, die wir für die Jahre 2018-2020 gestalten und in der es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt geht. Das halte ich persönlich für sehr wichtig, auch angesichts der Flüchtlingssituation und der Debatte um Armut und Reichtum in einer Gesellschaft. Wie fügt sich Gesellschaft zusammen? Was dividiert sie auseinander? Und was ist hier der Beitrag der Caritas?

domradio.de: Wutbürger, Pegida, Hassmails gegen Politiker, Morddrohungen und Pöbeleien im Internet: Im Moment sieht es in Deutschland gar nicht nach gesellschaftlichem Zusammenhalt aus. Wie müssen wir da gegensteuern?

Neher: Ich glaube, man muss die Situation erst einmal analysieren: Es macht sich vieles am Thema Flüchtlinge fest, aber was mich und die anderen Delegierten seit Dienstag beschäftigt ist die Frage nach dem Thema hinter dem Thema: Geht es nicht nur vordergründig um Flüchtlinge und im Hintergrund sind es aber eigentlich Abstiegsängste, Angst vor der Globalisierung, Sorge um den eigenen kleinen Garten, sage ich mal? Dann das Thema Digitalisierung und Stellenabbau: Da sind ja nicht nur gering qualifizierte Arbeiter von betroffen. Und schauen Sie sich Ostdeutschland an, aber auch einige Teile von Westdeutschland: Da sind ganze Landstriche entvölkert, weil die Menschen abwandern und das macht Angst.

Und dann kommen die Flüchtlinge zu uns: fremde Menschen mit einer fremden Kultur und teils einer Auffassung von Religion, die in eine säkulare Gesellschaft wie die unsere nicht mehr passen. Und auch das macht Angst.

Deswegen glaube ich, wenn man sich dem Thema widmet, darf man sich nicht vordergründig nur am Flüchtlingsthema festbeißen, sondern muss gucken: was sind Auslöser für diese Spannungen, die offensichtlich in unserer Gesellschaft vorherrschen?

domradio.de: Und was können die Kirche und die Caritas da tun?

Neher: Unsere Aufgabe ist es, diese Zusammenhänge offen zu legen, weil vordergründig zu schnell alles auf das Flüchtlingsthema geschoben wird. Dann müssen wie die Diskussion darüber anstoßen, was uns denn als freiheitlich-demokratische Gesellschaft ausmacht. Ich komme aus einer Generation, die nichts anderes kennt, als freiheitlich-demokratische Strukturen und stelle jetzt fest, dass das nicht mehr unhinterfragt gilt. Wir müssen also fragen: Was bedeutet Demokratie in unserer Zeit?

Und als Caritas ist es natürlich auch unsere Aufgabe, die Menschen nicht zusätzlich auszugrenzen: Hilfe, Unterstützung, im Gespräch bleiben. Dass wir nicht auch noch zusätzlich denjenigen, die bei uns am Rand oder in prekären Verhältnissen leben, das Gefühl geben, jetzt würden sich alle nur um die Flüchtlinge kümmern. Es geht um Menschen und es geht um das Zusammenleben hier in unserer Gesellschaft. Da hat die Kirche eine große Aufgabe, das funktioniert über die Pfarrgemeinden, da finden Begegnungen statt, da sind unsere Beratungsdienste, unsere Sozialraumarbeit, die sind an den Menschen dran und es ist wichtig, dass wir das aufgreifen.

domradio.de: Vor 100 Jahren wurde der Deutsche Caritasverband als Zusammenschluss der Diözesan- und Ortscaritasverbände von den deutschen Bischöfen anerkannt. In keinem Jahrhundert zuvor hat sich die Gesellschaft so grundlegend verändert. Wie muss sich die Caritas verändern, um fit für die Zukunft zu bleiben?

Neher: Wir müssen schauen: Wie verändert sich Gesellschaft? Zum Beispiel müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es angesichts der demographischen Entwicklung zunehmend schwierig wird, Fachkräfte zu gewinnen: Wenn wir nur noch relativ kleinen Jahrgänge haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass junge Menschen in soziale Dienste gehen, geringer. Oder das Thema Digitalisierung auch im Bereich der Medizin und der Pflege. Das sind Herausforderungen, denen wir uns zu stellen haben. Seit zwei Jahren haben wir den Zukunftsdialog 2020, der vor Ort aufgegriffen werden muss, in den Diözesen, in den Gemeinden, um zu schauen, was bedeuten denn diese Herausforderungen für uns? Wir haben Wegmarken erarbeitet, die fünf Handlungsfelder deutlich machen, zum Beispiel Caritas als attraktiver Arbeitgeber oder als attraktives Feld des Engagements.

An diesen Themen arbeiten wir, wir können ja unseren Verband nicht zusperren und sagen: wir beschäftigen uns jetzt mit uns selber und kommen dann in fünf Jahren wieder zurück. Die Welt dreht sich ja weiter. Als wir den Dialog im Jahr 2013 begonnen hatten, war das Thema Flüchtlinge in dieser dramatischen Form überhaupt noch nirgendwo wahrnehmbar. Das heißt: Der Prozess geht weiter und wir müssen schauen, welche gesellschaftlichen Veränderungen gibt es und welche adäquaten Antworten finden wir darauf? Und da sind wir meiner Meinung nach gut aufgestellt.

Das Interview führte Ina Rottscheidt.


Quelle:
DR