Prälat Neher stellt Caritas-Kampagne 2014 vor

"Weit weg ist näher, als du denkst"

Beim Einkaufen denken die wenigsten an die Folgen für andere Länder. Die Caritas will Verbrauchern in diesem Jahr besonders globale Zusammenhänge bewusstmachen. Dazu Caritas-Präsident Peter Neher im domradio.de-Interview.

Wann ist Ware ihren Preis wert? (dpa)
Wann ist Ware ihren Preis wert? / ( dpa )

domradio.de: Sollen wir denn ständig ein schlechtes Gewissen mit uns herumtragen?

Prälat Peter Neher (Caritas-Präsident): Genau das wollen wir nicht, dass wir ständig mit einem schlechten Gewissen herumlaufen. Der Ansatz unserer Kampagne besteht genau darin, zu gucken, wo können wir denn im persönlichen Leben kleine Zeichen setzen, die tatsächlich dieses große Thema der weltweiten Verantwortung umbrechen und so dem Einzelnen klar machen, mit kleinen Dingen kann man schon aktiv diese Zusammenhänge überwinden. Das ist eigentlich unser Anliegen: Raus aus der Lähmung - hin zu kleinen überschaubaren Aktivitäten.

domradio.de: Vielen von uns, denen die Zusammenhänge klar sind - etwa in der Bekleidungsindustrie - wissen trotzdem nicht, wie man denn Klamotten kauft und die Menschen vor Ort fair bezahlt werden. Wie geht das denn?

Prälat Neher: Das ist tatsächlich ein schwieriger Punkt, aber Sie können davon ausgehen, wenn Sie ein T-Shirt für 99 Cent kaufen, dass das garantiert nicht fair gehandelt ist und dass diejenigen, die das produziert haben, keine fairen Löhne bekommen. Es gibt hier keinen Königsweg. Das ist völlig klar. Aber ich glaube, man kann beim Einkauf schon darauf achten, dass man tatsächlich auch über die Preisgestaltung ein Gefühl dafür kriegt, wie schaut das denn möglicherweise bei der Herstellung aus und dieses Bewusstsein zu schärfen, das ist auch ein Anliegen unserer Kampagne.

domradio.de: Woran liegt es denn, dass wir so gerne verdrängen, dass wir durch einen Kauf Unrecht in der Welt weiter aufrechterhalten?

Prälat Neher: Ich glaube gar nicht einmal, dass es das Thema Verdrängen ist. Das ist mehr das Thema der weltweiten Verflechtungen mittlerweile. Es ist einfach so, dass Sie Waren aus aller Herren Länder in den Geschäften vorfinden und dass Sie aktiv das Thema aufgreifen müssen, um die Zusammenhänge aufzudecken. Die Wirtschaft tut das in großen Teilen nicht. Der Handel tut das in großen Teilen nicht. Das, glaube ich, macht die Komplexität, dass wir hier neben dem individuellen Bewusstsein tatsächlich auch gucken müssen, wie kriegen wir noch Partner in wirtschaftlichen Zusammenhängen, die diese Zusammenhänge mit uns aufdecken und da aktiv dagegen gehen. Nur im Individuellen allein würde die Kampagne sicher zu kurz greifen, weil diese Zusammenhänge tatsächlich sehr sehr komplex sind.

domradio.de: Seit ein paar Jahren ist es in der Werbung so ein bisschen Trend. "Corporate Social Responsibility" nennt sich das Stichwort. Das heißt, man kauft dann nachher als Konsument mit einem besseren Gewissen ein. Wie wollen Sie denn sicherstellen, dass auch in diesem Jahr die Caritas sich nicht vor den Karren der Wirtschaft spannen lässt?

Prälat Neher: Sicherstellen können wir gar nichts, aber ich denke, wir können mit unserer Kampagne noch einmal die Zusammenhänge aufdecken, wir können das Bewusstsein der Verbraucher schärfen über die Zusammenhänge und dann vertraue ich auch darauf, dass der Einzelne tatsächlich beim Kauf von Kleidung oder in der Frage von Handynutzung und -verwendung mit dem geschärften Bewusstsein daran geht. Unsere Aufgabe wird sicher sein, wie kriegen wir tatsächlich einen Zugang zu wirtschaftlichen Verbänden, zu Vereinigungen, die in diese Richtung schon arbeiten. Ich glaube, das wird auch eine deutliche Herausforderung für uns selber sein.

domradio.de: Meinen Sie denn, den Menschen ist es vorrangig wichtig zum Beispiel bei einem Kauf, dass es den Menschen, die dieses Produkt hergestellt haben, gut geht oder meinen Sie, da spielt der Preis die wichtigere Rolle?

Prälat Neher: Ich glaube bei einem großen Teil spielt sicherlich der Preis zunächst einmal die wichtigere Rolle. Es gibt, glaube ich, aber zunehmend Menschen, denen es durchaus ein Anliegen ist, dass diejenigen, die die Dinge produzieren, auch fair entlohnt werden. An sie wenden wir uns auch, also sie in ihrem Bewusstsein zu stärken und jene, die allein auf den Preis gucken, denen ein Bewusstsein zu schaffen, dass sie auch dafür Verantwortung tragen, über den Preis, über die Preisgestaltung bei uns auch faire Bedingungen in fernen Ländern mitzugestalten. Dieses Bewusstsein zu schärfen, da geht es in beide Richtungen.

domradio.de: Am Donnerstag sind Sie bei der CSU-Klausur in Wildbad Kreuth. Da sind Sie dann auch bei einer Partei, die das Motto Ihrer Jahreskampagne tangiert, in dem sie sich gegen diejenigen einsetzt, die eigentlich schutzbedürftig sind. Was halten Sie von dem Slogan der CSU „Wer betrügt, der fliegt"?

Prälat Neher: Dieser Slogan ist populistisch und hilft überhaupt nicht den Problemen auf die Spur zu kommen, die es in Einzelfällen natürlich mit Einwanderungen gerade aus Osteuropa gibt. Das Ärgerliche an diesem Slogan ist, weil er so tut als würde der größte Teil der Menschen, die hier bei uns Arbeit suchen, das eigentlich nur tun, um unsere Sozialsysteme zu betrügen. Das widerspricht allen Untersuchungen, die wir kennen. Das widerspricht der tatsächlichen Realität, dass gerade die Arbeitslosenquote, zum Beispiel von Bewohnern oder von Menschen aus Rumänien oder Bulgarien niedriger ist mit 7,4 Prozent als die der deutschen Gesamtbevölkerung. Sie ist gerade einmal die Hälfte im Vergleich mit den Arbeitslosen, die aus dem Ausland kommen. Von daher hilft dieser Slogan überhaupt nicht, die Probleme zu lösen. Er schafft Vorurteile, greift Vorurteile auf, verstärkt sie und verhindert eigentlich das positive Bewusstsein, dass wir gerade in der deutschen Gesellschaft dringend darauf angewiesen sind, auch auf Fachkräften aus osteuropäischen Ländern.

Das Interview führte Christian Schlegel. 

Peter Neher

Peter Neher wurde 1955 in Pfronten-Ried im Allgäu geboren und wuchs auf dem Dorf in der Nähe von Memmingen auf. Er absolvierte zunächst eine Banklehre und den Wehrdienst, bevor er auf dem zweiten Bildungsweg Theologie studierte. 1983 wurde er zum katholischen Priester geweiht. Er arbeitete als Kaplan in Landsberg, war Krankenhaus-Seelsorger in Günzburg, wurde Pfarrer in Kempten und war in Augsburg in der Fortbildung von Priestern tätig. Seine Doktorarbeit schrieb er über christliche Sterbebegleitung.

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