Prälat Moll: Heilige können die Gesellschaft ermutigen

"Vorbilder für heute und morgen"

Mit Heiligsprechungen wolle die Kirche jeden Einzelnen dazu ermutigen, "ein heiliges Leben zu führen", sagt Prälat Moll. Der Beauftragte für Heiligsprechungsverfahren im Erzbistum blickt auf die Doppel-Heiligsprechung.

Floribeth Mora Diaz (dpa)
Floribeth Mora Diaz / ( dpa )

domradio.de: Vor 9 Jahren riefen die Gläubigen „Heilig sofort“ für den verstorbenen Johannes Paul II., vielleicht auch als Aufforderung an die Kirche: Sprecht ihn sofort heilig! Wenn das Volk so etwas spürt, was steht dann einer schnellen Heiligsprechung eigentlich noch im Wege?

Prälat Helmut Moll: Diese Akklamation auf dem Petersplatz ist sicher ein Zeichen gewesen, aber auch Johannes Paul II. muss sich den allgemeinen Kriterien unterwerfen, dass er die drei göttliche Tugenden – Glaube, Hoffnung und Liebe – auch heroisch gelebt hat. Ferner dass er die vier Kardinaltugenden ebenfalls heroisch gelebt hat. Und schließlich, dass er die drei vom Evangelium kommenden Tugenden – Armut, Keuschheit und Gehorsam – auf heroische Weise gelebt hat. Das musste lange geprüft werden.

domradio.de: Wie läuft denn dann so ein Verfahren ganz konkret ab?

Prälat Moll: Zunächst findet der Prozess auf der Ebene des Bistums statt, das war für Johannes Paul II. einmal das Bistum Rom und sein Heimatbistum Krakau. Dort mussten alle Dokumente gesammelt werden, alle seine Veröffentlichung in Rom mussten gelesen und geprüft werden. Viele Zeitzeugen mussten gehört werden. Und das wurde mit einer solchen Intensität betrieben, dass man doch schon innerhalb weniger Jahren damit abschließen konnte.

domradio.de: Alles musste ‚heroisch‘ sein – wie kann man sich das konkret vorstellen?

Prälat Moll: Heroisch wird auch ausgelegt als ‚über das normale Maß hinaus‘, dass er Glaube, Hoffnung und Liebe nicht nur in einer bloß alltäglichen Form lebte, sondern in einer über den Alltag hinausgehenden Form, die eben doch heroisch war, nämlich so, dass er über den Alltag hinaus die drei göttlichen Tugenden gelebt hat.

domradio.de: Es gibt noch ein weiteres wichtiges Kriterium, von dem immer wieder die Rede ist, nämlich das ‚Wunder‘. Das ist schon zur Seligsprechung wichtig, und bei Johannes Paul II. gab es da am Tag der Seligsprechung ein Wunder, das sich ereignet haben soll, das jetzt ausschlaggebend für die Heiligsprechung war. Wissen Sie da Näheres?

Prälat Moll: Zunächst ist es so, dass die Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen, in der ich über 10 Jahre tätig war, bei Personen, die eines natürlichen Todes gestorben sind, ein göttliches Zeichen erwartet. Das kann ein Heilungswunder sein, das kann ein Naturwunder sein oder auch ein Auferweckungswunder.

domradio.de: Was bedeutet Naturwunder?

Prälat Moll: Das bedeutet, dass in einem Landstrich etwa jahrelang Missernten herrschten, so dass die Menschen am Ende verhungerten, weil sie nichts zu essen hatten, und sie dann über die Fürsprache eines besonderen Dieners Gottes Gott anriefen, und dass sich plötzlich der unfruchtbare Boden in einen fruchtbaren verwandelte, so dass er den Menschen wieder Nahrung gab. Zweitens ist es so, dass bei der Seligsprechung von Johannes Paul II. eine Frau aus Costa Rica, nämlich Floribeth Mora Diaz, in einer Situation war, in der sie von starken Kopfschmerzen geplagt wurde – so sehr, dass es zu einer Gefäßerweiterung im Gehirn, einem sogenannten Aneurysma, kam und die Ärzte sie bereits aufgegeben hatten. Und in dieser Lage hat diese Frau am Tage der Seligsprechung diesen neuen Seligen sofort angerufen, und wenige Tage später – die Ärzte konnten es nicht verstehen, sie hatten sie ja bereits aufgegeben – hatte sich die Gefäßerweiterung im Gehirn zurückgebildet. Das wurde dann im Heimatbistum in Costa Rica von Medizinern geprüft, die Akten wurden nach Rom geschickt und dort ein weiteres Mal von Medizinern wie auch Theologen geprüft. Die prüften, ob dieses unerklärliche Zeichen als Wunder gedeutet werden konnte. Und am Ende waren sich alle einig, dass es sich um ein göttliches Zeichen handelte, das wir Wunder nennen.

domradio.de: Gerade diese Geschichte mit den bestätigten Wundern ist ja in neuerer Zeit immer wieder ein Kritikpunkt gewesen, dass vielleicht manche sagen: Jaja, die Kirche dreht das irgendwie so hin, dass es ein Wunder ist. Was würden Sie, der dem inneren Zirkel angehörte, dem denn entgegnen?

Prälat Moll: Das Gegenteil ist richtig! Wir alle wussten in der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen, dass die medizinischen Berater die schärfsten Gegner waren, um eine leichte Erklärung eines Wunders anzunehmen. Das heißt, die Mediziner haben mit größter wissenschaftlicher Schärfe und mit großer Strenge geprüft, ob diese Heilung nicht doch auf natürliche Weise erklärt werden konnte. Und erst als sie spürten, dass die Heilung doch schnell, rasch und dauerhaft erfolgte, konnten sie keine Argumente mehr gegen eine mögliche Heiligsprechung vorbringen.

domradio.de: Nun ist es so, dass Papst Franziskus die beiden Päpste am Sonntag heiligsprechen wird – er wird dazu irgendwann im Laufe des Gottesdienstes feierlich verkünden, dass Johannes XXIII. und Johannes Paul II. nun heilig sind. Was bedeutet das nun eigentlich für die Kirche, für die Gemeinschaft der Gläubigen?

Prälat Moll: Der heutige moderne Mensch hört ja mehr auf Zeugen als auf Gelehrte, er sieht, dass diese Personen wirklich Vorbilder sind für heute und morgen, so dass auch der Ungläubige, ja sogar der Atheist spürt, dass diese Menschen wirklich aus Gründen des Glaubens ein heiliges Leben geführt haben und auch mich dazu ermutigen können, ein heiliges Leben zu führen.

Das Interview führte Martin Korden 

Helmut Moll

Der Kölner katholische Theologe und Historiker Helmut Moll ist Herausgeber des Martyrologiums "Zeugen für Christus" mit Lebensbildern von rund 1.000 deutschen und deutschstämmigen Märtyrern. Das zweibändige Werk im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz ist inzwischen in siebter Auflage erschienen und umfasst auch Märtyrer des 20. Jahrhunderts.

Prälat Helmut Moll / © Sabine Kleyboldt (KNA)
Prälat Helmut Moll / © Sabine Kleyboldt ( KNA )


 

Quelle:
DR