Positives Echo auf die "Berliner Rede" von Bundespräsident Horst Köhler

"Themen brennen Kirche unter den Nägeln"

Das Echo auf die Berliner Rede von Bundespräsident Horst Köhler fällt positiv aus. Köhler habe Themen angesprochen, die der Katholischen Kirche unter den Nägeln brenne, sagte Prälat Karl Jüsten vom Berliner Büro der Bischofskonferenz. Politikforscher Jürgen Turek bezeichnete die Ansprache im domradio-Interview positiv: "Er hat wunderbar differenziert die Chancen und Risiken der Globalisierung dargestellt."

 (DR)

Jüsten: Themen brennen Kirche auf den Nägeln
"Gerade im Kontext der Globalisierung sollten wir unsere eigenen Probleme angehen, insbesondere durch eine Stärkung der Bildungspolitik." Besonders unterstrich Jüsten Köhlers Appell an die Bürger, die Globalisierung nicht nur als etwas Bedrohliches aufzufassen, sondern auch als Chance zur Mitgestaltung der Welt zu sehen. "Gerade im Kontext der Globalisierung sollten wir unsere eigenen Probleme angehen, insbesondere durch eine Stärkung der Bildungspolitik."

Die Vorschläge des Bundespräsidenten, auf UN-Ebene führende Vertreter und Aktivitäten besser zu koordinieren, sollten gehört werden, forderte der Leiter des Katholischen Büros. Köhlers Eintreten für Rechts- und Sozialstaatlichkeit und seine Kritik an einer falschen Subventionspolitik seien wichtige Anstöße für die Entwicklungszusammenarbeit, hob Jüsten hervor. Ebenso sei begrüßenswert, dass der Bundespräsident nicht mit Selbstkritik an der Europäischen Union und Deutschland gespart habe über deren Verhältnis zu den ärmsten Ländern der Welt.

"Mehr Klarheit, um selbstbestimmt leben zu können"
Horst Köhler hatte zuvor gesagt, Deutschland müsse sich innerlich auf die Globalisierung einstellen. Die Chancen und Lasten dieses Prozesses müssten fair verteilt werden, sagte Köhler am Montag in der Bundeshauptstadt in seiner zweiten "Berliner Rede". Es gebe soziale Härten, doch habe der Sozialstaat Bestand.

Die Deutschen brauchten in Sachen Globalisierung mehr Klarheit, um selbstbestimmt leben zu können, so Köhler. Dauerhafter wirtschaftlicher Erfolg benötige Rechtssicherheit, sozialen Frieden, gut ausgebildete und fleißige Menschen mit freien Entfaltungsmöglichkeiten und eine gute Infrastruktur. Damit die Deutschen ihre Chancen in der Globalisierung nutzen könnten, müssten sie vor allem im Wettbewerb der Wissensgesellschaften um Erkenntnisfortschritt und Innovation "die Nase vorne haben".
Schon 2002 war die Globalisierung - damals bei Johannes Rau - Thema grundsätzlicher Ausführungen des Staatsoberhaupts.

"Ungleichheit der Einkommensverteilung hat zugenommen"
Köhler kritisierte, die Ungleichheit der Einkommensverteilung in Deutschland habe zugenommen, nicht zuletzt, weil Einkünfte aus Kapitalerträgen viel stärker gestiegen seien als Arbeitslöhne. Die Arbeitsnehmer sollten stärker als bisher an den Erträgen und am Kapital der Unternehmen beteiligt werden. Wer unverschuldet in Not gerate, solle sich auf das soziale Netz verlassen können. Der wirkliche Konflikt über die Globalisierung spiele sich nicht zwischen den ärmeren und reicheren Ländern ab, denn alle Länder könnten von fairem Handel und internationaler Arbeitsteilung profitieren. Der eigentliche Konflikt entstehe innerhalb der Länder zwischen Gewinnern und Verlieren des Strukturwandels. "Der Aufstieg der einen darf nicht der Abstieg der anderen sein!", so der Bundespräsident.

Er widersprach Aussagen, die Globalisierung lasse die Entwicklungsländer immer mehr verarmen. Die Bilanz sehe anders aus. Auch wenn in Sachen Lebensstandard und Menschenrechte noch viel zu tun bleibe, habe die Globalisierung unter dem Strich in den ärmeren Ländern große Fortschritte bewirkt. Aber nur wenn die Globalisierung in friedlicher und fairer Konkurrenz der Nationen gestaltet werde, könne weltweit Armut, Gewalt, Umweltzerstörung und Regellosigkeit zurückgedrängt werden. Nach Ansicht des Bundespräsidenten können und sollen Deutschland und Europa sich mit "weit mehr Energie daran beteiligen, den Weg zu einer weltweiten Werte- und Friedensgemeinschaft zu finden".

"Fairplay statt Gemeinheit"
Köhler beklagte die "hässliche Seite" der Globalisierung, die Rücksichtslosigkeit des Stärkeren, woran Europa beteiligt sei.
Die Staaten der Welt seien mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft, sie seien zur Schicksalsgemeinschaft geworden und müssten zur Verantwortungsgemeinschaft und Lerngemeinschaft werden: "Lasst uns bei allen Interessenkonflikten nicht übersehen, dass wir in einer Welt leben und dass wir Fairplay brauchen statt Gemeinheit, Brot und Bücher statt Aufrüstung, Respekt statt Überheblichkeit!" Für die Entwicklungsländer wäre ein verbesserter Zugang zu den Märkten der Industriestaaten die beste Hilfe zur Selbsthilfe.