Politologin sieht nachlassende Solidarität zum Islam in Wahlprogrammen

Rückfall in alte Muster

Die Politologin Saba-Nur Cheema liest aus den Programmen der Parteien zur Bundestagswahl ein negativeres Islambild als noch vor wenigen Jahren. Damit ginge allerdings ein ungeheures Potenzial an Wählerinnen und Wählern verloren.

AfD-Wahlplakat "Islamisierung stoppen" / © Harald Oppitz (KNA)
AfD-Wahlplakat "Islamisierung stoppen" / © Harald Oppitz ( KNA )

"Ich stelle Rückschritte und eine nachlassende Solidarität gegenüber Musliminnen und Muslimen bei den demokratischen Parteien fest", sagte die Frankfurter Politikwissenschaftlerin, die dem Unabhängigen Expertenkreis der Bundesregierung zu Muslimfeindlichkeit angehörte, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Gleichstellung spielt kaum noch eine Rolle

Etwa vor zehn Jahren habe eine Entwicklung angefangen, die positiv auf den Islam geblickt habe, sagte Cheema, die selbst Muslimin ist: "Muslime wurden ins 'Wir' eingeschlossen und es wurde gesagt 'Der Islam gehört zu Deutschland'." Die Parteien hätten einen "verbalen Antirassismus" betrieben, mit Ausnahme der AfD, die unter anderem mit ihren Forderungen nach Abschaffung von Islamunterricht und islamisch-theologischen Lehrstühlen dezidiert islamfeindlich sei, sagte Cheema, die an der Frankfurter Goethe-Universität auch zu Antisemitismus forscht.

Gleichzeitig habe es aber "eine unglaubliche Passivität in der Umsetzung von Maßnahmen gegen antimuslimische Diskriminierung oder in der Anerkennung der islamischen Religionsgemeinschaften" gegeben, sagte Cheema. Die Gleichstellung muslimischer Gemeinden mit anderen Religionsgemeinschaften, etwa den Kirchen, spiele nun in den Wahlprogrammen kaum noch eine Rolle, beklagte sie.

Widerspruch zu Interessen der Parteien

"Es gibt eine ganz klare Sicherheitsfokussierung der Islamdebatte", sagte Cheema. Es sei richtig, Islamismus als Problem zu benennen und ihn wie Rechtsextremismus zu bekämpfen. "Das Problem ist, dass alles andere ausbleibt, dass wir nicht über Muslimfeindlichkeit, die Einschränkung der politischen Teilhabe von Muslimen, Alltagsdiskriminierung und Gleichstellung der islamischen Religionsgemeinschaften sprechen", sagte sie: "Wir fallen in das alte Muster zurück, das Thema Islam nur negativ zu besprechen."

Cheema sieht darin auch einen Widerspruch zu den Interessen der Parteien. Sie unterschätzten "absolut, was für ein Potenzial sie damit verlieren", sagte sie. "Wir reden über fast sechs Millionen Muslime in Deutschland. Das ist die zweitgrößte Religionsgruppe nach den Christen", sagte die Wissenschaftlerin und ergänzte: "Mir ist schleierhaft, wie man diese Wählerinnen und Wähler einfach übersehen kann."

Islamischer Religionsunterricht

Islamischer Religionsunterricht in öffentlichen Schulen wird in unterschiedlichen Modellen in neun  Bundesländern angeboten. Lediglich in den neuen Bundesländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen- Anhalt und Thüringen gibt es keine Angebote für muslimische Kinder und Jugendliche. Etwa 69.000 Schülerinnen und Schüler besuchen in Deutschland islamischen Religionsunterricht (Stand Juli 2023).

Islamunterricht / © Marius Becker (dpa)
Islamunterricht / © Marius Becker ( dpa )
Quelle:
epd