Politologe Uwe Wagschal über die neue Bertelsmann-Konfliktstudie

"Sprache ist wichtiger als Religion"

Seit der Veröffentlichung von Samuel Huntingtons Buch "Kampf der Kulturen" 1993 steht die Frage im Raum, ob die Weltkulturen, insbesondere der Westen und der Islam, auf Dauer friedlich zusammenleben können. Der amerikanische Politologe sah ein Zeitalter der Konflikte voraus. Nun hat eine Bertelsmann-Studie dieses Bild in Frage gestellt. Der Freiburger Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Uwe Wagschal ist einer der Verfasser

Autor/in:
Christoph Schmidt
 (DR)

KNA: Herr Wagschal, manche sehen Ihre Studie schon als Widerlegung der Thesen von Samuel Huntington, der vor 16 Jahren den Kampf der Kulturen vorhersagte. Was halten Sie davon?
Wagschal: Dass wir Huntington widerlegt hätten, geht zu weit. Wir haben nur einige Punkte - auf Basis einer Untersuchung aller Konflikte seit 1945 - korrigiert. Uns fiel auf, dass sich vier von fünf kulturellen Konflikten, also solche, die durch Sprache, Religion oder gegensätzliche historische Erfahrungen entstehen, innerhalb von Staaten entladen und nicht zwischen Staaten, wie Huntington prophezeite. Gleichzeitig ist die Zahl der kulturellen Zusammenstöße nach dem Ende des Kalten Krieges immer weiter gewachsen, wie es auch Huntington prophezeite. Der Kalte Krieg hatte diese Konflikte sozusagen eingefroren. Aktuell können wir rund 40 hoch gewaltsame Konflikte beobachten, die überwiegende Mehrzahl davon ist innerstaatlich.

KNA: Viele nehmen an, dass das Nebeneinander unterschiedlicher Religionen die Gefahr von gewaltsamen Eskalationen besonders begünstigt. Stimmt das?
Wagschal: Es gibt einen viel wichtigeren Faktor nämlich die Sprache.
Die Studie zeigt, dass kulturelle Konflikte am häufigsten zwischen unterschiedlichen Sprachgruppen ausbrechen, nicht zwischen Andersgläubigen. Daran erkennt man, wie wichtig die Kommunikation im Vorfeld eines Konflikts ist. Die Unfähigkeit, miteinander reden zu können, fördert die Entfremdung und wenn andere verschärfende Faktoren hinzukommen, auch die Eskalation von Gewalt. Das sieht man im Kaukasus, wo Völker auf engem Raum zusammenleben, die sich oft im wahrsten Sinne des Wortes "nicht verstehen".

KNA: Aber Geschichte und Gegenwart sind doch auch voll von gewaltsamen Religionskämpfen.
Wagschal: Der Streit zwischen den Religionen ist zweifellos eine häufige Ursache von Konflikten, aber eben nicht die wichtigste. Und es können andere Faktoren als die wirklichen relevanten Ursachen im Hintergrund wirken, zum Beispiel ein hoher Anteil junger Männer ohne ökonomische Perspektive. Uns fiel auf, dass der religiöse Hass gerade in solchen Gesellschaften abnimmt, die eine große religiöse Vielfalt haben. Auch Gesellschaften mit dominanten Religionen und kleinen Minderheiten sind tendenziell friedlicher. Dagegen steigt die Konfliktgefahr, wenn sich mehrere Glaubensrichtungen etwa gleich stark gegenüberstehen wie zum Beispiel Christen und Muslime in Nigeria.

KNA: In der Studie sagen Sie, dass religiös aufgeladene Konflikte vor allem im Vorderen und Mittleren Orient vorherrschen, also im Kerngebiet des Islam. Ist diese Religion besonders anfällig für Gewalt?
Wagschal: Huntington wurde von vielen verkürzt so gelesen, dass Islam und Konflikt gleichzusetzen sind. Islamwissenschaftler verweisen bei dieser Frage immer auf den ethischen und friedliebenden Kern dieser Religion. Auch ich würde das hohe Konfliktpotenzial in Teilen der islamischen Welt vor allem auf Faktoren wie Unterentwicklung, die Perspektivlosigkeit junger Menschen, ein schlechtes Bildungssystem und Demokratiedefizite zurückführen. Dies sehen wir auch in Afrika, wo es übrigens die meisten und in der Regel eben nicht religiös geprägten Kulturkonflikte gibt. Einer der schlimmsten - der Völkermord in Ruanda - fand zudem in einem christlich geprägten Land statt und hatte mit dem Islam überhaupt nichts zu tun.

KNA: Andererseits sahen viele in der Entwicklung seit dem 11.
September 2001 eine klare Bestätigung für Huntingtons Thesen über einen gewalttätigen Islam. Steht die Bundeswehr in Afghanistan in einem "Kulturkampf".
Wagschal: Nein, die Kriege der USA und ihrer Verbündeten im Irak und in Afghanistan haben ja nicht als kulturelle oder gar religiöse Konflikte begonnen, sondern sollten die Regimes von Saddam Hussein und den Taliban beseitigen. Die Bundeswehr kämpft nicht gegen "die Muslime", sondern gegen Terroristen, die die Religion als Rechtfertigung für ihr Machtstreben missbrauchen. Natürlich versuchen aber solche Gruppen in Afghanistan wie im Irak, den Konflikt als Kampf der Kulturen darzustelllen und sich zu Verteidigern des Islam gegen christliche Eindringlinge zu stilisieren. Dabei profitieren sie besonders von der großen Gruppe perspektivloser junger Männer in der Gesellschaft, dem sogenannten "youth bulge".

KNA: Erklären Sie diesen Begriff.
Wagschal: In Ländern mit einem hohen Anteil von etwa 15- bis 24-jährigen Männern ohne wirtschaftlicher Zukunft erhöht sich die Gefahr gewaltsamer Konflikte sehr stark. Anführer mit klaren Feindbildern können sich dieses Frustpotenzial leicht zunutze machen. Dieses Muster gilt überall und ist nicht typisch islamisch. Wir finden es von Afrika bis Lateinamerika, historisch auch in Europa.

KNA: Blicken wir einmal nach Westeuropa und Deutschland. Wie hoch sehen Sie bei uns die Gefahr künftiger Konflikte angesichts der Probleme bei Zuwanderung und Integration?
Wagschal: Diese Gefahr muss man schon ernst nehmen. Die strukturellen Voraussetzungen für kulturelle Konflikte sind ja in Ansätzen vorhanden: Wir haben eine große Gruppe von Migranten, oft Muslimen, von denen viele sprachliche und wirtschaftliche Probleme haben. Und wir haben es gerade hier mit jungen Männern zu tun, die wegen ihrer Bildungsprobleme oft keine Chance für sich sehen und weit überdurchschnittlich in der Kriminalitätsstatistik auftauchen. Hier war die Migrationspolitik in der Vergangenheit sehr fahrlässig. Andererseits zeigen sprachliche Integrationsprojekte, die am besten schon im Kindergarten ansetzen, gute Ergebnisse. Einen Automatismus für kulturelle Konflikte gibt es nicht.