Politologe Püttmann über das Protestanten-Doppelpack an der Staatsspitze

"Wichtig ist der gelebte Glaube"

Mit Joachim Gauck wird Deutschland bald einen evangelischen Pastor und Kirchenfunktionär als Staatsoberhaupt bekommen. Eine evangelische Pfarrerstochter ist Kanzlerin. Spielt die Konfession überhaupt eine große Rolle in der Tagespolitik? Eine Einschätzung von Andreas Püttman, Politologe und katholischer Publizist.

 (DR)

domradio.de: Spielt die Konfession überhaupt eine Rolle?

Püttmann: Es spielt sozialethisch gesehen keine große Rolle, denn das soziologische Profil von Katholiken und Protestanten ist so beschaffen, dass sich die Kirchennahen der unterschiedlichen Konfessionen mehr ähneln, als diejenigen, die innerhalb einer Konfession der Kirche nahe oder fern stehen. Es kommt also nicht so sehr auf die Konfession an, sondern darauf, ob man den gelebten Glauben in der Gemeinschaft der Gläubigen wirklich betont. Andererseits ist es auch nicht ganz irrelevant, man sieht gewisse Unterschiede: Z.B. sind Katholiken häufiger der Meinung, dass es klare Maßstäbe für Gut und Böse gibt, Protestanten sind sich da nicht so sicher. Die beiden konkreten Personen Gauck und Merkel sind allerdings beide nicht besonders aufdringlich konfessionell. Frau Merkel ist eine Machttechnikerin, aber besonders evangelische Power habe ich bei ihr noch nicht wahrgenommen.

Ich glaube, dass Herr Gauck ein sehr unabhängiger Kopf ist und dass er nicht so leicht zu handhaben sein wird, übrigens auch nicht für die, die ihn ursprünglich vorgeschlagen haben. Aber ich finde die Lösung dieser Personalie prima, wir brauchen einen unabhängigen Kopf an der Spitze des Staates.



domradio.de: Gibt es denn bei den beiden Konfessionen Unterschiede beim Umgang mit der Amtskirche?

Püttmann: Wenn Sie sich einmal anschauen, was der katholische Politiker Geißler oder der katholische Bundestagspräsident Lammert gerne über den Papst oder den Zustand der katholischen Kirche sagen, das ist auch nicht immer freundlich und fair, da würde sich ein evangelischer Christ wahrscheinlich größerer Zurückhaltung befleißigen. Insofern ist die Gleichung "Katholiken als Staatsspitzen gleich pfleglicher Umgang mit der katholischen Kirche" leider in Deutschland nicht mehr zutreffend.



domradio.de: Neun von 11 Bundepräsidenten waren bislang evangelisch. Und diesmal waren auffällig viele evangelische Theologen als Kandidaten im Gespräch:  Margot Käßmann, Wolfgang Huber, Katrin Göring-Eckardt. Traut man den Evangelischen eher zu, das Volk zu vertreten?

Püttmann: Das ist sicher kein Zufall. Einerseits haben für die jeweiligen Personen natürlich Proporzgründe gesprochen, weil wir über Jahrzehnte hinweg katholische Bundeskanzler hatten. Heute liegt das aber daran, dass man den Protestantismus in der Gesellschaft als eine Art "Kirche light" betrachtet, die nicht ganz so streng und böse ist. Zwischen dem atheistischen Deutschland, das ja mittlerweile mehr als ein Drittel der Gesellschaft einnimmt, und dem katholischen Deutschland gilt der Protestantismus noch als der am ehesten akzeptable Kompromiss. Aber es war ja auch Herr Lammert als prononcierter Katholik im Gespräch, insofern muss man das auch ein wenig relativieren.



domradio.de: Bundespräsident a.D. Wulff ist ja katholisch. Hat er mit seinem Verhalten das Ansehen der Katholiken beschädigt?

Püttmann: Interessant ist ja, dass der "Arbeitskreis engagierter Katholiken", der sich in der CDU gegründet hat, Wulff damals als Bundespräsidenten empfohlen hatte mit der Begründung, dass "der selbstbewusste Katholik Wulff eine gute Ergänzung zur evangelischen Kanzlerin Merkel" sein könnte. Daran sehen sie, wie dumm dieses Denken in Konfessionen ist. Das Desaster, dass wir mit Wulff erlebt haben, sollte uns eigentlich gelehrt haben, dass wir nicht die Konfession als Oberstes setzen, sondern als Christen fragen, inwieweit ein Kandidat im Christentum verwurzelt ist.



domradio.de: Was könnte der evangelische Einfluss ganz konkret bei der Gestaltung und Entwicklung unserer Gesellschaft für Konsequenzen haben?

Püttmann: Der Bundespräsident hat ja nicht viel Gestaltungsmacht. Er hat eine Orientierung gebende Macht und ich hoffe, dass er seine innere geistige Unabhängigkeit und seine Überzeugungskraft nutzt, um das Lagerdenken auch ein bisschen aufzulockern. Denn es ist in der Wulff-Affäre erschreckend gewesen, dass so wenig Widerstand aus den Unionsparteien kam gegen dieses Schmierentheater, das wir wochenlang erleben haben. Im Bereich der politischen Hygiene und der Tugendethik kann Herr Gauck sehr wichtige Beiträge leisten. In der Sachpolitik ist es in der Regel nicht der Bundespräsident, der gestaltet. Und von Frau Merkel werden wir nicht viel anderes erleben, als in den letzten sechs Jahren auch. Sie hat zweifellos diese europäische Finanzkrise recht gut gemanagt, sie kann mit Macht umgehen. Allerdings sind politisch-geistige oder politisch-moralische Impulse von ihr weniger zu erwarten. Aber es hat ja auch durchaus seinen Zweck, wenn man eine gewiefte Pragmatikern an der Staatsspitze hat, wenn von anderer Richtung das geistige Rüstzeug kommt. Und dass kann man von Gauck erhoffen.



Das Interview führte Aurelia Plieschke.