Politologe Langguth zum Verhältnis von CDU und Kirche

"CDU muss gesellschaftlichen Wandel berücksichtigen"

Die CDU sollte nach Ansicht des Bonner Politikwissenschaftlers Gerd Langguth weiter eine Politik auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes verfolgen. Sie dürfe sich aber auch nicht vom gesellschaftlichen Wandel abkoppeln, sagte der CDU-Experte und Merkel-Biograf am Sonntag in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn.

 (DR)

KNA: Herr Professor Langguth, die CDU hat bei der Bundestagswahl - trotz des Wahlsieges - eines ihrer schlechtesten Wahlergebnisse eingefahren. Ist jetzt die Zeit für eine fundierte Analyse der Ursachen?
Langguth: Wie schon viele Parteivorsitzende vor ihr hat Bundeskanzlerin Angela Merkel versprochen, dass eine solche Analyse stattfindet. Aber ich habe es noch nie erlebt, dass dieses Versprechen gehalten wurde. Denn dann müsste man Ross und Reiter und auch die Verantwortung von bestimmten Personen benennen.

KNA: Auch in anderen europäischen Ländern gibt es einen Niedergang der christdemokratischen oder «katholischen» Parteien...

Langguth: Die CDU war ja nie eine «katholische» Partei, auch wenn sie früher dieses Image hatte. Das Besondere an der Union ist, dass die konfessionellen Schranken in ihr überwunden wurden. Es gibt einen weit über Deutschland hinausgehenden Trend, dass christdemokratische Parteien Federn lassen müssen. Vor allem wurde das am Beispiel der italienischen Christdemokraten sichtbar.

Deutschland ist keine Insel der Seligen. Wie sich die CDU entwickelt, ist für die europäischen Christdemokraten besonders bedeutsam, weil sie unter den europäischen Schwesterparteien die führende Kraft ist. Den gleichen Trend nachlassender Verankerung in der Bevölkerung gibt es übrigens auf Seiten der Sozialdemokraten, sogar noch in verstärkter Form.

KNA: Wo sehen Sie die Ursachen?
Langguth: Das hat etwas mit dem gesellschaftlichen Wandel und dem Trend zu Individualisierung und Pluralisierung von Lebensstilen zu tun. Die Milieus lösen sich auf, es ist nicht mehr selbstverständlich für Katholiken, CDU zu wählen. Genauso wird die Kirchenbindung in der Bevölkerung schwächer. Die politisch teilweise nach links gedriftete katholische Jugend ist schon seit Jahrzehnten nicht das Reservoir für die CDU-Führungskräfte.

KNA: Ist es dann überhaupt noch sinnvoll für die CDU, das «C» zur Grundlage der Politik zu machen?

Langguth: Das «C» ist nach wie vor zu ihrer inneren Selbstvergewisserung wichtig. Die CDU wird dadurch auf eine Politik verpflichtet, in der christliche Werte und Prinzipien Bedeutung haben und die angemahnt werden können. Das gilt zum Beispiel für das Subsidiaritätsprinzip, das sich hervorragend in die Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik übersetzen lässt. Andererseits darf sich die CDU auch nicht vom gesellschaftlichen Wandel abkoppeln. Eine Partei, die das Christliche wie eine Monstranz vor sich herträgt und rein katholische Positionen vertritt, wäre schnell abgemeldet.

KNA: Kürzlich hat das auch der hessische Fraktionsvorsitzende Wagner getan, etwa mit Blick auf den Schutz von Ehe und Familie.
Langguth: Die CDU ist auch weiterhin die Partei, die sich am deutlichsten für den Schutz von Ehe und Familie einsetzt. Trotzdem kann sie es sich nicht leisten, die Pluralisierung von Lebensstilen und neue Formen des Zusammenlebens wie neue Lebensgemeinschaften auszublenden. Sie wäre dann sehr schnell für große Teile der Bevölkerung nicht mehr wählbar.

KNA: Wagner hat auch mehr Konservativismus und Patriotismus gefordert.

Langguth: Er hat Recht mit der Beobachtung, dass der Union die Persönlichkeiten ausgehen, die bestimmte Flügel repräsentieren, so wie einst Alfred Dregger die nationale, Gerhard Stoltenberg die wirtschaftsliberale und Hans Katzer die soziale Strömung. Nur eine langfristige Personalentwicklung kann wieder Flügelpersönlichkeiten hervorbringen.

KNA: Halten Sie es für denkbar, dass sich rechts von der CDU eine konservative, national denkende Partei etablieren könnte?
Langguth: Theoretisch ja, praktisch eher nein. Die Linke auf der anderen Seite des Parteienspektrums hat sich ja vor allem deshalb etablieren können, weil sie sich aus der PDS als einer umgewandelten SED entwickelte und weil im Westen politisch erfahrene Gewerkschaftsfunktionäre mitmischten. Auf der konservativen Seite sehe ich - außer der katholischen Kirche vielleicht - keine Kraft, die flächendeckend zum Kristallisationskern für eine solche Partei werden könnte. Und die katholische Kirche hält sich ja bei konkreter Parteipolitik zurück. Im Übrigen haben ja viele bisherige Unionswähler bei der Bundestagswahl die Wahl der FDP als Ventil ihres Unmuts genutzt.

KNA: Glauben Sie, dass sich Frau Merkel mit ihrer Papstschelte sehr geschadet hat?

Langguth: Das war sicherlich nicht sehr geschickt. Sie hat die Empfindlichkeiten katholischer CDU-Wähler unterschätzt. Ich denke, sie würde das nicht wieder so machen. Andererseits gab es ja auch in Kirchenkreisen heftige Kritik am Vatikan in Sachen «Piusbrüder», deren Einlassungen zur Politik nicht mit dem Grundgesetz kompatibel sind. Dass die Papstkritik so sehr zum Problem wurde, hängt meines Erachtens in erster Linie mit einem allgemeinen Unwohlsein gegenüber der Parteivorsitzenden und evangelischen Pfarrerstochter zusammen: Merkel ist eine pragmatische, unideologische Problemlöserin, was vielen Wählern gefällt, aber bei manchen Katholiken Unbehagen auslöst, weil nicht immer einfach erkennbar ist, auf welchem Wertefundament ihre Politik ruht, wofür sie steht. Merkel hat für viele etwas Sphinxhaftes an sich; sie verbirgt ihr Inneres.

Das Interview führte Christoph Arens.