Bonner Stadtdechant kritisiert Ratsbeschluss zu Familienbildungsstätten

"Politisch versteht man das nicht"

Der Rat der Stadt Bonn hat beschlossen, die kirchlichen Familienbildungsstätten finanziell nicht mehr zu unterstützen. Diese Entscheidung stößt in beiden großen Kirchen auf heftige Kritik. Auch der Bonner Stadtdechant ist wenig begeistert.

Familienbildungsstätten bieten auch Sprachkurse an / © Undrey (shutterstock)
Familienbildungsstätten bieten auch Sprachkurse an / © Undrey ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Vor nicht allzu langer Zeit hat es in Bonn Gespräche zwischen den Ratsfraktionen und den Kirchen gegeben. Dabei war man sich einig, dass Familien in der Corona Zeit besonders unterstützt werden müssen. Jetzt gibt es aber diesen Ratsbeschluss. Wie erklären Sie sich das?

Dr. Wolfgang Picken (Stadtdechant von Bonn): Zunächst einmal ist es so, dass es schon seit längerem Überlegungen gab, die Arbeit der Familienbildungsstätten nicht weiter intensiv zu fördern. Allerdings gaben unsere Gespräche mit den Fraktionen doch Anlass zu der Hoffnung, dass sich das ändern könnte, weil alle Fraktionen überall in der Politik das Bekenntnis ausgesprochen haben, dass Familien nach der Pandemie ganz besonders gefördert werden müssen.

Und das geschieht ja in intensiver Weise in den Familienbildungsstätten. Dort werden Familien beraten und zusammengeführt. Dort sind viele Angebote, die die Familien als Systeme unterstützen, damit sie eben nicht auf dem Weg durch die Pandemie und in die Zukunft scheitern.

Deshalb überrascht uns diese Entscheidung, zumal sie uns nicht vorher angekündigt worden ist. Das bedeutet für die Familienbildungsstätten in der Stadt eine existentielle Gefährdung. Und, wie gesagt, politisch versteht man das nicht. Gerade die Familien brauchen jetzt die totale Unterstützung von Staat und Gesellschaft.

DOMRADIO.DE: Wie wichtig sind denn die Familienbildungsstätten für die Menschen? Sie haben gerade einen kleinen Umriss gemacht. Welche Arbeit wird da akut geleistet, auch gerade nach und während der Pandemie?

Picken: Die Familienbildungsstätten sind, das kann man sich ja vorstellen, Knotenpunkte in der Stadt, in denen die Familien aus unterschiedlichsten Bereichen und sozialen Schichten zusammenkommen, aber ganz besonders auch solche, die die niederschwelligen Angebote nutzen. Ob das Sprachkurse sind, ob das Möglichkeiten des digitalen Zugangs sind, ob das Beratungsangebote sind oder aber einfach nur Möglichkeiten, in denen Familien miteinander in den Austausch kommen können und sich vernetzen. Alle diese Dinge spielen in den Familienbildungszentren eine große Rolle.

Bei den Familien in Bonn haben sie einen großen Stellenwert, sind sehr beliebt. Die Programme sind immer ausgebucht. Eigentlich boomt es in diesen Einrichtungen, was ja zeigt, dass es einen großen Bedarf gibt.

Ich denke, viele dieser Angebote sorgen dafür, dass Familien stabil bleiben und auch die Unterstützung bekommen, die sie in jetzt so schwierigen Zeiten besonders brauchen.

DOMRADIO.DE: Jetzt heißt es aus dem Rat, dass die Förderung der Familienbildungsstätten zugunsten eines Ausbaus der offenen Sozialarbeit eingestellt wird. Ist das für Sie ein Argument? Denn offene Sozialarbeit ist ja auch wichtig.

Picken: Ja, offene Sozialarbeit ist wichtig, gar keine Frage. Die Kirchen in der Stadt Bonn tragen sie zum großen Teil auch durch Caritas und Diakonie. Von daher sind wir mit Sicherheit nicht gegen eine solche Erweiterung der Sozialarbeit.

Aber wir müssen eben sehen, dass diejenigen, die unter der Corona-Situation ganz besonders gelitten haben, die Familien sind. Und auch wenn gegenwärtig gespart werden muss, darf man nicht schon wieder an den Familien sparen. Man hat im Bildungsbereich an ihnen gespart. Für viele ist es auch unsicher, wie es nach den Sommerferien weitergehen wird.

Umso wichtiger ist, dass man jetzt in die Familien investiert und nicht ausgerechnet bei ihnen wieder spart. Das ist für meine Begriffe nicht nur familienpolitisch unklug, sondern steht auch der Glaubwürdigkeit der Politik nicht wirklich gut zu Gesicht.

DOMRADIO.DE: Sie beklagen ja auch den Stil, in dem dieser Beschluss, die Förderung der Familienbildungsstätten zu streichen, zustande gekommen ist. Der sei respektlos und unzuverlässig, sagen Sie. Wieso?

Picken: Die Kirchen sind seit Jahren enge Kooperationspartner der Stadt in vielen sozialen Fragen. Wir führen von uns proaktiv Gespräche mit allen Parteien. Und dann werden sie von einem Ratsbeschluss überrascht, der ja existenzielle Bedeutung für solche Familienbildungsstätten hat. Man muss eben sehen, dass eine soziale Gesellschaft nur funktionieren wird, wenn Staat und Zivilgesellschaft und damit auch die Kirchen Hand in Hand arbeiten.

Wenn ich maßgebliche Entscheidungen über die Finanzierung einer Familienbildungsstätte treffe, dann ist es doch eigentlich klar und vernünftig und auch anständig, vorher mit den Trägern zu sprechen, damit die sich auf solche Dinge einstellen können oder gegebenenfalls auch noch einmal ins Gespräch treten. Jedenfalls würde ich meinen, dass das so zwischen Partnern angemessen wäre.

DOMRADIO.DE: Man kann natürlich auch darüber nachdenken, was das jetzt für ein Signal in Richtung Kirche bedeutet. Sehen die Kommunen die Zusammenarbeit mit den Kirchen zunehmend kritisch und unterstützen lieber säkulare Institutionen? Gerade an der katholischen Kirche im Erzbistum Köln zum Beispiel gibt es ja viel Kritik.

Picken: Es sind ja drei Familienbildungsstätten, zwei kirchliche und eine nichtkirchliche Familienbildungsstätte, sodass diese Entscheidung nicht alleine die Kirchen trifft. Es wäre also zu schnell, wenn man sagen würde: Das ist ein anti-kirchlicher Effekt.

Wir merken allerdings deutlich, dass die freien Träger zunehmend unter Druck geraten. Normalerweise ist es so, dass das Sozialgesetzbuch vorschreibt, dass soziale Aufgaben zunächst durch die Gesellschaft, durch freie Träger zu tragen und umzusetzen sind und der Staat nur dann eingreift, wenn das wirklich nötig ist. Da erleben wir manchmal, dass der Staat, der selber in Form der Stadt Träger von Einrichtungen wie Kindertagesstätten ist, sich das eine oder andere Mal schon selbst bevorzugt und Mittel zuschreibt während die freien Träger hinten runterfallen, die aber auf diese Mittel und Förderungen dringend angewiesen sind.

Von daher braucht es eigentlich zukünftig eine größere Unabhängigkeit. Das heißt also, diejenigen, die über die Mittelzuwendungen entscheiden, dürfen nicht gleichzeitig Träger von Institutionen sein. Es ist ja klar, dass da es naheliegt, dass sich der Staat und dass sich die Stadt dann selbst auch zu Lasten von Kirchen, Vereinen und anderen Institutionen begünstigt.

Das Interview führte Michelle Olion.


Dr. Wolfgang Picken / © Harald Oppitz (KNA)
Dr. Wolfgang Picken / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR