Politiker fordern eine Aufwertung der Katholischen Soziallehre

"Wertvoller Ordnungsrahmen"

Geht aus der Krise des Kapitalismus Karl Marx als später Sieger hervor? Manche Reaktion auf die Finanzmarktkrise könnte dies nahelegen. Allerdings besinnen sich viele Politiker auf die Ordnungsprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft und fordern dabei eine Neubewertung der Katholischen Soziallehre. Das zeigt sich in einer aktuellen Umfrage.

Autor/in:
Christoph Scholz
 (DR)

An diesem Mittwoch befassten sich auch die katholischen Bischöfe bei ihrer Vollversammlung in Hamburg mit jenen Grundprinzipien einer gerechten Gesellschaftsordnung, die die Kirche seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aus dem christlichen Menschenbild entwickelt hat und weiterentwickelt.

«Die Katholische Soziallehre fragt nach den Grundwerten des Menschen für sein persönliches und soziales Leben. Und sie versucht aufzuzeigen, wie ein Staat und eine Gesellschaft geordnet sein müssen, damit diese Werte zum Wohle der Menschen verwirklicht werden können», erläutert der Sozialethiker Anton Rauscher. Die jetzige Krise zwinge dazu, die Zuordnung von Real- und Finanzwirtschaft neu zu justieren.

Die Staatssekretärin im Entwicklungsministerium, Karin Kortmann (SPD), sieht gerade im «wertvollen Ordnungsrahmen» den besonderen Rang der Katholischen Soziallehre. Diesen müsse die Politik neu bedenken. Allerdings verlangt sie eine Fortentwicklung, «besonders beim Begriff der Verantwortung, wenn es um Solidarität und Gerechtigkeit geht». Im Blick hat dabei die Entwicklungspolitikerin nicht zuletzt die «Solidarität mit den Ärmsten der Armen» in einer globalisierten Welt.

Die grüne Finanzexpertin Christine Scheel ist überzeugt, dass «sehr vieles von dem, was damals Nell-Breuning entwickelte, heute mehr Relevanz hat als zur damaligen Zeit». Das Denken von Oswald von Nell-Breuning (1890-1991), dem Nestor der Katholischen Soziallehre, sei für «den Zusammenhalt der Gesellschaft und das Verständnis unter den Generationen in einer sehr schwierigen wirtschaftlichen Entwicklung» wesentlich. Angesichts der auseinanderklaffenden Einkommensschere etwa zwischen Investmentbankern und Facharbeitern oder Sozialberufen böten die Prinzipien der Soziallehre Anhaltspunkte, um wieder zu einer angemessenen Balance zu finden.

Die Forderung nach einem gerechten Lohn, der ein Leben in Würde und eine angemessene Rente ermöglicht, ist für Ver.di-Chef Frank Bsirske ein wesentlicher Aspekt der Soziallehre. Dieser sei «so aktuell wie seit langem nicht mehr».

Die Vorsitzende des Bundes katholischer Unternehmer, Marie-Luise Dött (CDU), hebt hingegen vor allem das Subsidiaritätsprinzip hervor. Demnach sollen Staat und Gesellschaft nur das übernehmen, was der Einzelne nicht leisten könne. «Leider wird dieser Grundgedanke der Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung nicht konsequent beachtet und durch staatlichen Interventionismus zunehmend verdrängt», beklagt die CDU-Bundestagsabgeordnete. Für Unternehmer bedeute dieses Prinzip zugleich, jedem Mitarbeiter größtmöglichen Verantwortungsspielraum zu lassen. Dött ist überzeugt, dass sich damit auch die Krise besser meistern lasse.

Doch wie steht es um die Finanzwelt? Für Hans Reckers, Vorstandsmitglied der Bundesbank, «führt die Finanzkrise eindringlich vor Augen, dass der Ordnungsrahmen der Sozialen Marktwirtschaft für die nationalen und internationalen Finanzmärkte fortentwickelt werden muss». Diese müssten «gemeinwohlverträglich ausgestaltet werden». Insoweit bedürften auch «die Theorien der Katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik der Fortentwicklung».

Kann die Katholische Soziallehre einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus weisen? Rauscher betont, dass die Soziallehre zwar schon immer einen reinen Liberalismus kritisiere, aber kein eigenes Gesellschaftsmodell vorlege «Aber sie gibt entscheidende Kriterien und Eckpunkte für eine gerechte Gesellschaft», so Rauscher.