An Polens wichtigstem Feiertag droht erneut politischer Streit

Über den Gräbern keine Ruhe

Kurz vor Allerheiligen am 1. November, Polens wichtigstem Feiertag, ist das Denkmal für die Toten von Smolensk fast fertig geworden. Am Feiertag selber droht nun politische Unruhe über den polnischen Gräberfeldern – wortwörtlich.

Autor/in:
Jens Mattern
 (DR)

Das Denkmal, ein in zwei Teile gebrochener weißer Granitblock, steht auf dem Warschauer Powazki-Militärfriedhof. An einer Bruchstelle sind die Namen der 96 Menschen eingraviert, die durch das Flugzeugunglück im April ums Leben kamen. Unter ihnen war auch der polnische Präsident Lech Kaczynski.



"Ein wenig zu abstrakt ist es geworden", meint ein pensionierter Arbeiter, der das Denkmal betrachtet, "man erkennt nicht, dass es einen Flugzeugflügel darstellen soll". Doch vielleicht steht das Monument, das einen Bruch darstellt, unfreiwillig sinnbildlich für den aktuellen Gemütszustand des Landes: Politik, Gesellschaft und Angehörige des Unglücks sind kurz vor Allerheiligen tief gespalten.



Am Feiertag droht politische Unruhe über den polnischen Gräberfeldern - wortwörtlich. Anlass für die jüngsten Emotionen war die Attacke eines verbitterten Rentners, der Marek Rosiak, einen Assistenten im Büro der Partei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) in Lodz ermordet sowie einen weiteren Mitarbeiter schwer verletzt hatte. Ryszard C., über dessen Motive noch gerätselt wird, hatte zuvor auch versucht, anderen Politikern wie dem ehemaligen Premier Leszek Miller aufzulauern.



Beerdigung unter schweren Sicherheitsvorkehrungen

Die Beerdigung Rosiaks am Donnerstag fand unter schweren Sicherheitsvorkehrungen statt, selbst Scharfschützen waren auf dem Friedhof postiert. Janusz Wojciech, PiS-Europaparlamentarier, forderte bei den Feierlichkeiten die Regierung dazu auf, sich für den aus seiner Sicht aggressiven Stil zu entschuldigen. Er gab ihnen so indirekt auch eine Mitschuld an der Tat.



Allgemein wirft Jaroslaw Kaczynski - Bruder des ums Leben gekommenen Präsidenten Lech Kaczynski und PiS-Vorsitzender - den Politikern der Regierungspartei Bürgerplattform eine "Hasskampagne" vor. "Die Soziotechnik des Hasses wurde zur Soziotechnik der Macht", erklärte er auf dem Begräbnis.



Auch sieht Jaroslaw Kaczynski eine Mitschuld der Regierung an dem Unglück am 10. April, da sein Zwillingsbruder bei einem früheren Flug mit Premier Donald Tusk nach Katyn mitfliegen wollte. Dies ließ jedoch das Protokoll nicht zu. Nahe der westrussischen Stadt wurden vor 70 Jahren Tausende polnische Offiziere vom sowjetischen Geheimdienst ermordet. Erst nach der Wende konnte in Polen offen über die sowjetische Täterschaft gesprochen werden, offiziell war das Verbrechen zuvor den Deutschen zugesprochen worden.



Gerade das Andenken an diese Toten wurde seit 20 Jahren am 1. November einträchtig zelebriert, und wohl kein Land feiert seine Toten so umfassend, wie Polen es an Allerheiligen tut. Die Straßen werden wieder heillos verstopft, die Sonderzüge und -busse überfüllt sein, da viele ihren verstorbenen Verwandten eine Kerze oder Blumen aufs Grab stellen wollen, seien sie auch noch so weit entfernt beerdigt.



"Ich glaube an die Brüderschaft in Polen!"

Selbst aus Amerika kommen die besonders Traditionsgetreuen eingeflogen. Diese Einheitsstimmung beschwor Staatspräsident Bronislaw Komorowski, der ebenfalls der Bürgerplattform angehört: "Ich glaube an die Brüderschaft in Polen!" sagte er im Fernsehen.



Doch ein wichtiger Schlichter fehlt an seiner Seite: sie katholische Kirche. Denn der praktizierende Katholik muss sich zurzeit öffentlich mit seiner möglichen Exkommunikation auseinandersetzen. Einige leitende katholische Bischöfe haben mehrfach wiederholt, dass dies jedem drohe, der sich für die künstliche Befruchtung einsetzt. Komorowski hatte sich bereits im Wahlkampf im Juni dafür ausgesprochen.



Auch das Denkmal für die Toten von Smolensk auf dem Militärfriedhof, das am 10. November eingeweiht werden soll, mag nicht zu einigen. Die meisten Mitglieder der Partei Recht und Gerechtigkeit sowie einige Angehörige fordern weiterhin ein Monument direkt vor dem Präsidentenpalast. Dort hatte sich bis September ein vier Meter hohes Holzkreuz befunden, das in Polen seit Juli heftige Kontroversen ausgelöst hatte. Es wurde nach dem Flugzeugunglück im April von Pfadfindern aufgestellt. Vor dem Palast war es zwischen Befürwortern und Gegnern des Kreuzes - das zum Symbol für den Protest gegen die Regierung wurde - im Sommer zu tumultartigen Szenen gekommen.