Polen wählt einen neuen Präsidenten

Folgt Kaczynski auf Kaczynski?

Zehn Wochen nach dem Absturz der Maschine von Staatspräsident Lech Kaczynski wählt Polen am Sonntag einen neuen Staatschef. Die rund 30 Millionen Wahlberechtigten können bei der Abstimmung zwischen zehn Kandidaten wählen. Als Favorit Lech Kaczynskis Zwillingsbruder Jaroslaw.

 (DR)

Zwei Monate nach dem Absturz der polnischen Präsidentenmaschine nahe dem russischen Smolensk hat das Land den Verlust eines großen Teils der politischen und militärischen Elite noch längst nicht verwunden. Erst vor wenigen Tagen legten Parlamentarier und frühere Mitarbeiter des mit 95 weiteren Passagieren tödlich verunglückten Staatschefs Lech Kaczynski wieder Blumen und Kränze vor dem Präsidentenpalast nahe der Warschauer Altstadt nieder. Am Sonntag soll ein Nachfolger gefunden werden, der in das repräsentative Gebäude an der Prachtstraße Krakowskie Przedmiescie einzieht.

Bei den vorgezogenen Präsidentenwahlen treten nicht weniger als zehn Kandidaten um das höchste Staatsamt Polens an. Doch im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen zwei Politiker, denen allein Chancen eingeräumt werden. Das sind Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski von der liberalen «Bürgerplattform» und Lech Kaczynskis Zwillingsbruder Jaroslaw, der in den Jahren 2006/07 Ministerpräsident war und der national-konservativen Partei «Recht und Gerechtigkeit» (PiS) vorsteht.

Der 58-jährige Historiker Komorowski, ein Parteifreund von Regierungschef Donald Tusk, sollte bei den turnusmäßig erst im Herbst anstehenden Präsidentenwahlen ohnehin kandidieren und war schon im März nominiert worden. Mit dem Absturz der Präsidentenmaschine am 10. April auf dem Weg zu einer Gedenkfeier für die Ermordung polnischer Soldaten und Intellektueller vor 70 Jahren im russischen Katyn wurde er amtierender Staatschef. Er hat laut Umfragen die größten Chancen, den Posten nach der anstehenden Wahl auch offiziell zu besetzen.

Der 61-jährige Jaroslaw Kaczynski, der durchsetzte, dass sein Bruder neben den polnischen Königen im Krakower Wawel beigesetzt wurde, ließ gut zwei Wochen nach der Trauerfeier seine Kandidatur verkünden. «Das tragisch endende Leben des Präsidenten, der Tod der patriotischen Elite Polens bedeuten für uns eines: Wir müssen ihre Mission fortsetzen», begründete Jaroslaw Kaczynski in einer pathetischen Erklärung seine Kandidatur. Freilich mag er noch ganz andere Gründe haben: Nach dem Tod seines Bruders geht es für die PiS um die politische Zukunft.

Der frühere Regimekritiker Komorowski, der in den Jahren 2000/2001 Verteidigungsminister war und seit 2007 dem Sejm vorsteht, ist der breiten Öffentlichkeit in Deutschland vergleichsweise wenig bekannt. Vor wenigen Tagen war er in Essen, wo er beim ersten trilateralen Treffen der Präsidien des Deutschen Bundestags, der französischen Nationalversammlung und des polnischen Sejm über die europäische Integration sprach. Er strebt nach eigenen Angaben freundschaftliche Kontakte zu den Nachbarstaaten an und will, dass die EU «keine Arena polnischer Forderungen» sei.

Jaroslaw Kaczynski, der in der Bundesrepublik insbesondere seit seiner Zeit als Premierminister bekannt ist, machte sich dagegen in den vergangenen Jahren für eine stärkere polnische Souveränität stark. Lange Zeit weigerte er sich, den Lissaboner Vertrag zu unterschreiben. Gegenüber Deutschland zeigte er eine eher reservierte Haltung.

Um so mehr erstaunte es, als Kaczynski vor knapp zwei Wochen bei seiner Wahlkampftour durch die polnischen Provinzen kurzfristig auch einen Abstecher über die Oderbrücke nach Frankfurt (Oder) machte und dort mit Oberbürgermeister Martin Wilke (parteilos) über den Hochwasserschutz und die deutsch-polnische Nachbarschaft sprach. Polnische Journalisten hielten fest, dass Kaczynski in der Grenzstadt Slubice die Bundesrepublik nicht nur als wichtigsten Wirtschaftspartner Polens und Vorbild bei der Entwicklung der sozialen Marktwirtschaft erwähnte, sondern auch dazu aufrief, mehr Kontakte zu pflegen und die gegenseitigen Vorurteile zu überwinden.

In Umfragen holte Kaczynski zwar zwischenzeitlich etwas auf, Komorowski liegt aber nach einer aktuellen Befragung der Tageszeitung «Gazeta Wyborcza» mit 48 Prozent weiter vorn. Kaczynski würde demnach 34 Prozent erhalten. Fraglich ist, ob ein Kandidat schon am Sonntag die absolute Mehrheit holt. Ansonsten wird es am 4. Juli eine Stichwahl geben. Wenn es dazu kommen sollte, wäre es eine Überraschung, wenn sich dabei nicht Komorowski und Kaczynski gegenüberstehen sollten.