DOMRADIO.DE: Menschen sind voll von Erlebnissen und viele möchten diese teilen. Aber ist der Markt nicht langsam überschwemmt von Büchern zum Jakobsweg?

Beate Steger (Pilgerexpertin und Mitarbeiterin beim Verlag "Der Pilger"): Meiner Meinung nach schon. Ich bekomme unheimlich viele Bücher angeboten. Einerseits ich als Pilgernde, die übers Pilgern schreibt, bloggt und Vorträge hält, aber auch als freie Mitarbeiterin beim Verlag "Der Pilger". Wir bekommen unheimlich viele Bücher angeboten.
DOMRADIO.DE: Schauen Sie überhaupt noch in die Bücher rein?
Steger: Wenn wir die alle lesen würden, hätten wir nichts anderes mehr zu tun. Wir schauen natürlich auf den Klappentext und wir bekommen auch meistens noch eine Mail oder einen Brief dazu geschrieben, um was es bei dem Buch geht. Wir schauen dann sehr genau, ob es eine wirklich außergewöhnliche Geschichte ist.
Zum Beispiel wenn jemand mit Esel oder Rollstuhl gepilgert ist, ist das nicht alltäglich. Ich erinnere mich an eine Frau, die zwei Ehemänner und ihren Sohn verloren hatte. Sie hat das auf dem Jakobsweg verarbeitet. Das sind dann sehr besondere Geschichten.
Aber so ein ganz normaler Bericht vom Jakobsweg, das mag für denjenigen, der unterwegs war, sehr besonders gewesen sein, ist aber letztlich doch nur eine Reisebeschreibung. Das ist dann für die Allgemeinheit vielleicht nicht so spannend.
DOMRADIO.DE: Auch die Buchtitel sind abenteuerlich. Das haben Sie mir vorher schon verraten.
Steger: Da sind die Leute wirklich sehr erfinderisch, muss man sagen. Besonders platt war: "Wir sind dann mal weg." Das ist einfach an das Buch von Hape Kerkeling angelegt. Aber manche bringen auch ihre Berufsbezeichnung mit ins Spiel. Da heißt es dann zum Beispiel: "Ein Berater auf dem Jakobsweg". Ein anderer ist nur bis Trier gepilgert, der hat dann den Titel "Santiago liegt gleich um die Ecke" gewählt. Noch ein anderer ist mit dem Fahrrad gefahren und hat den Titel "Losfahren und erwartet werden" gewählt. Ein ziemlich gelungener Titel, wie ich finde.
DOMRADIO.DE: Nicht alle Menschen, die gerne schreiben, können das auch. Wie merken Sie, was gut ankommt und was nicht? Über Geschmack lässt sich ja bekanntlich streiten.
Steger: Klar, das macht es so schwierig. Wir haben auch schon Bücher bekommen, die sich über mehrere Bände erstrecken, einen historischen Roman etwa. Ich weiß, dass das unglaublich viel Arbeit macht und sehr viel Recherche erfordert.
Aber es ist natürlich schwierig, so einen historischen Roman wirklich so gut zu schreiben, dass er dann auch gelesen wird. Ich selber lese gerne gut gemachte historische Romane, wie etwa diejenigen von Rebecca Gablé oder Sabine Ebert.
Diese Autorinnen sind auch sehr akribisch in ihrer Recherche. Aber es ist eben nicht jedem gegeben. Ich hätte auch gerne das Talent, einen historischen Roman zu schreiben, aber ich glaube, ich bekomm das nicht gut hin und deswegen lasse ich es halt bleiben.
DOMRADIO.DE: Woran könnte es liegen, dass die Menschen so unbedingt über ihre Erfahrungen schreiben wollen?
Steger: Vielleicht ist es ein menschlicher Urwunsch. Vielleicht ist es so etwas Besonderes, das in vielen von uns schlummert. Und dazu kommt natürlich diese außergewöhnliche Erfahrung des Pilgerns. Für viele ist das etwas Besonderes, alleine unterwegs zu sein, sich sehr zu reduzieren, in einfachen Unterkünften zu schlafen und der Natur ausgesetzt zu sein.

Ich denke, das macht so viel mit den Menschen, dass sie das dann auch weitergeben wollen und natürlich auch andere dazu ermuntern wollen, dasselbe auch zu tun. Und da denkt man dann immer dran, das mit einem Buch zu machen.
DOMRADIO.DE: Es gibt aber vielleicht auch die Jüngeren, die gar nicht mehr an das Buch denken, sondern an einen Blog online, an Soziale Medien, wo man sich keinen Verlag suchen muss.
Steger: Ganz klar. Aber es gibt natürlich auch mittlerweile unglaublich viele Internetseiten zum Pilgern, bei dem sich viele auch mit ihren persönlichen Erlebnissen an die Leserinnen und Leser wenden. Bei Instagram oder Facebook gibt es auch total viel.
Das sind natürlich alles spannende Möglichkeiten und dann muss man eben gar nicht einen Verlag suchen. Es ist mittlerweile auch so, dass viele Bücher bei Books on Demand erscheinen, also im Eigenverlag, wo man auch die Druckkosten selber tragen muss. Denn die Verlage kommen ja auch gar nicht mehr nach, das alles zu publizieren.
DOMRADIO.DE: Können Sie uns denn ein gutes Buch zum Jakobsweg empfehlen?
Steger: Eine subjektive Empfehlung von mir wäre der Roman von Carmen Rohrbach mit dem Titel "Muscheln am Weg". Aber ich lese die Bücher von Carmen Rohrbach sowieso gerne. Sie hat viel erlebt in ihrem Leben. Sie ist eine Reise-Schriftstellerin, die versucht hat, aus der DDR zu fliehen, die auch im Gefängnis war und irgendwann freigekauft worden ist.
Auch darüber hat sie ein Buch geschrieben. Eine großartige Frau. Aber ich muss auch dazu sagen, ich kenne sie auch persönlich und bin mit ihr befreundet. Also von daher bin ich da vielleicht ein bisschen voreingenommen.
DOMRADIO.DE: Wenn man etwas ganz Persönliches zu beschreiben hat, kann man das also nicht nur mit einem Buch, es gibt auch andere Möglichkeiten. Eigentlich schön diese Vielfalt, oder?
Steger: Das finde ich auch. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten. Ein Mann hat zum Beispiel bei mir so eine Art digitalen Vortrag bestellt. Er hat mir alle seine Bilder geschickt und gesagt, ich soll das irgendwie aneinanderfügen.
Er hat damals noch, das ist schon ein paar Jahre her, DVDs davon brennen lassen und es dann an seine Familie verteilt. Sozusagen als ein Vermächtnis darüber, wie er damals nach der Rente nach Santiago de Compostela gepilgert ist.
Das Interview führte Dagmar Peters.