Pfarrer im Paradies macht "miles and more"

Insel-Hopping im Namen des Herrn

Mindestens 40 Flüge pro Jahr - Vater Abraham Meitai ist viel unterwegs. Als Pfarrer in Französisch-Polynesien. Wo der Priester nur eine Woche pro Monat oder gar nur drei, vier mal im Jahr kommen kann, da muss das Gemeindeleben anders organisiert sein als in Deutschland.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Alles ist schon vorbereitet: gegrillter Fisch, roher Thunfisch in Zitrone und Kokosmilch, Kochbananen, Süßkartoffeln und frische Ananas. Anouk und Alexis Tavere freuen sich: Der Pfarrer ist auf der Insel, und heute Mittag ist er bei ihnen zu Gast. Eine Umarmung, ein Blumenkranz zur Begrüßung. Man setzt sich auf die Veranda, und gleich ist es, als wäre er nie weggewesen.

Vater Abraham Meitai ist ein Mann von beachtlicher Leibesfülle - und ebenso beachtlicher Präsenz. Die gehört zu seinem Kapital. Denn wenn er da ist, muss er auch wirklich da sein: Vater Abraham ist nicht nur der Pfarrer von Raiatea, der "heiligen Insel" der polynesischen Kultur. Er ist der Pfarrer der Inseln unter dem Wind: von Tahaa, Bora Bora, von Faaa auf Tahiti. Und von fünf Inseln des Tuamotu-Archipels: Makemo, Raraka, Kauehi, Aratika - und Puka Puka mit ihren 157 Einwohnern, die zu den sogenannten Iles du Desappointement - den "Inseln der Enttäuschung" - zählt.

Ein solches Aufgabengebiet darf man sich nicht vorstellen wie in der
Nordsee: Insel an Insel, mit halbstündlichem Fährdienst. Nein, zwischen den Kirchtürmen von Vater Abraham liegen beachtliche Strecken herrlich grüner und blauer Südsee. Von West nach Ost erstrecken sich die Pfarreien über 1.300 Kilometer. Zum Vergleich: von Flensburg bis Oberstdorf sind es 949.

Insel-Hopping im Namen des Herrn - das ist keineswegs Vergnügungssteuerpflichtig. "Jaja, Vater Abraham ist ein guter Kunde von Air Tahiti", sagt Hubert Coppenrath, Erzbischof von Papeete und Dienstherr des reisenden Pfarrers, lakonisch. Mindestens 40 Flüge pro Jahr - und die tausenden Seemeilen hat er sowieso nie zusammengerechnet. Die Kosten müssen sich die Gemeinden teilen. "Ich schicke meinen Pfarreien Anfang Januar meinen Reiseplan für das ganze Jahr", berichtet Vater Abraham. Doch oft genug kommt natürlich etwas Aktuelles dazwischen, das den Plan wieder umwirft. Neun Inseln, das bedeutet auch neun Pfarrhäuser, neun Spülbürsten, neun Autos? "Nein, nein", sagt der 47-Jährige und lacht sein dröhnendes Lachen. "Das Auto leiht mir immer jemand aus der Gemeinde, in der ich gerade bin."

Wo der Priester nur eine Woche pro Monat oder gar nur drei, vier mal im Jahr kommen kann, da muss das Gemeindeleben anders organisiert sein als in Deutschland. "Ohne meine Katechisten wäre ich aufgeschmissen", sagt Vater Abraham freimütig. Laien als Träger der Gemeinde - das ist schon seit Beginn der Missionierung Polynesiens durch französische Ordensleute Mitte des 19. Jahrhunderts so gewesen. Denn auch ohne den Priester muss Gottesdienst gefeiert, müssen Besuchsdienste auf die Beine gestellt, die Jugendlichen unterwiesen und auch Verstorbene beerdigt werden. Katechisten, das sind in mehrmonatigen Kursen geschulte, zumeist berufstätige Laien, die die Last der Gemeindeleitung auf ihren Schultern verteilen. Und das System funktioniert im stark religiös und von Gemeinschaft geprägten Französisch-Polynesien, auch in der Caritas-Arbeit.

Hier sieht man zwar nicht das krasse Elend wie in Afrika oder in Ländern Asiens, weil das französische "Mutterland" die fernen Südseeinseln so stark subventioniert, und weil die heimischen Elemente so viel hergeben. "Verhungern muss hier keiner", sagt Anouk Tavere. Wer fischen und die Früchte von den Bäumen am Straßenrand ernten kann, hat das Nötige zum Leben. Soziale Not gibt es dennoch genug im vermeintlichen Paradies: zerbrochene Familien und Arbeitslosigkeit führen vor allem unter Jugendlichen zu Alkohol- und Haschkonsum. Die neuen Einnahmequellen - erst die französischen Atomversuche auf Mururoa und Fangataufa, dann der Tourismus - haben auch das soziale Zusammenleben stark verändert.

"Egal, auf welcher Insel ich gerade bin: Jeden Tag kommen acht bis zehn Pfarrkinder und fragen mich um Rat oder wollen die Beichte ablegen", berichtet Vater Abraham. Er geht in die Schulen, redet mit Schülern und Lehrern, besucht Kranke, versorgt Sterbende. "Am Sonntag habe ich um 8.00 Uhr die Messe in Raiatea; dann nehme ich das Boot nach Tahaa und habe da noch zwei Messen."

Zeit für Ferien bleibt bei soviel "miles and more" nicht. Ab und zu, sagt Vater Abraham, nimmt er sich dann mal einen Tag, geht angeln oder wandert in den Bergen. "Das ist mein Urlaub." Später, ja später, da kann er vielleicht mal wieder auf Pilgerreise nach Europa fahren: nach Lourdes, Lisieux oder Paray-le-Monial.

Von dort, aus dem 20.000 Kilometer entfernten Frankreich, kamen damals im August 1834, vor 175 Jahren, die ersten Missionare auf die Inseln. Sie säten und prägten die ersten eineinhalb Jahrhunderte der jungen polynesischen Kirchengeschichte. 1992 gehörte Vater Abraham zu den ersten Einheimischen, die im neuen Seminar in Papeete auf Tahiti zum Priester geweiht wurden. Gut 20 Neupriester hat es seitdem gegeben.

Zu wenig für 118 Inseln - das weiß niemand besser als Insel-Hopper Abraham Meitai und sein Bischof Hubert Coppenrath, die an diesem Abend gemeinsam in der Fähre nach Bora Bora sitzen: 14 junge Leute sollen dort am nächsten Morgen das Firmsakrament empfangen. Für den Erzbischof ist es ohnehin die einzige Begegnung im Jahr mit der legendären Insel der Träume. Aber auch für Vater Abraham und seine Pfarrei auf Bora Bora bleibt die große Feier ganz unverhofft nur Stippvisite: Auf Raiatea ist ein wichtiges Gemeindemitglied gestorben. Gleich nach der Messe nimmt der Pfarrer das nächste Schiff zurück. So ist es allzu oft bei diesem Reisenden zwischen den Inseln unter dem Wind.