Pastoraltheologe Ludwig Mödl zur Rolle des Pontius Pilatus

"Wahrheit ist die Brutalität, die Macht"

Zu den Schlüsselfiguren in den letzten Tagen Jesu gehört der römische Statthalter Pontius Pilatus. Sogar ins Glaubensbekenntnis, das Credo, hat er es geschafft. Über die Rolle des Römers bei der Verurteilung Jesu spricht Pastoraltheologe Ludwig Mödl.

Passionsspiele: Szene der Gerichtsverhandlung mit Pontius Pilatus (KNA)
Passionsspiele: Szene der Gerichtsverhandlung mit Pontius Pilatus / ( KNA )

KNA: Herr Professor Mödl, was weiß man historisch über diesen Pontius Pilatus?

Ludwig Mödl (Pastoraltheologe): Die Quellen sind nicht sehr ergiebig. Er stammte aus einem ritterlichen Geschlecht und wurde entweder in Rom oder den Abruzzen geboren. Als sich das Volk in Judäa wehrte, den Herodes-Sohn Archelaos als Statthalter zu akzeptieren, setzten die Römer für dieses rein militärische Amt Pontius Pilatus ein. Er wohnte in Caesarea Maritima und kam nur zu wichtigen Festtagen nach Jerusalem.

Seine Aufgabe war es, Aufstände durch das Militär zu unterbinden und zu kontrollieren, dass die Steuern in rechter Höhe eingetrieben wurden. Später wurde ihm seine Strenge zum Verhängnis. Sein Vorgesetzter enthob ihn des Amtes. Die Legende sagt, Pilatus habe daraufhin Selbstmord begangen.

KNA: Die Evangelien, zumindest Johannes, zeichnen eher ein freundliches Bild von ihm, der Jesus durchaus habe retten wollen. War das sein anderes Gesicht?

Mödl: Die Evangelien wurden zu einer Zeit geschrieben, als die Kirche öffentlich groß aufgetreten ist. Man wollte zeigen, dass man dem Staat gegenüber loyal ist. Deswegen geht die Tendenz dahin, dass Pilatus nicht der eigentliche Jesus-Mörder war, sondern er indirekt vom Volk gezwungen wurde.

KNA: Völlig anders sehen es römische Geschichtsschreiber wie Josephus Flavius und Philo. Letzterer beschrieb ihn als willkürlich, bösartig und maßlos grausam. Ist da was dran?

Mödl: Pilatus muss tatsächlich ein sehr durchgreifender und grausamer Statthalter gewesen sein, wenn es darum ging, die römischen Interessen zu verteidigen. Er war nicht zimperlich in der Verurteilung von irgendwelchen politischen Aufständischen und hat mehrere Leute, auch ohne Gerichtsurteil, kreuzigen lassen.

KNA: Wer ist für das Todesurteil über Jesus letztlich verantwortlich? Die von Pilatus repräsentierte römische Besatzungsmacht oder Instanzen der jüdischen Gerichtsbarkeit, denen die Römer eine gewisse Autonomie zugestanden?

Mödl: Die Besatzungsmacht hat das Urteil ausgesprochen und vollstreckt. Die moralische Verantwortung hat die jüdische Obrigkeit. Das wird in den Evangelien so dargestellt und entspricht wohl auch der historischen Realität. Denn sie haben den Pilatus in die Enge getrieben, und alle seine Versuche, Jesus freizubekommen, sind gescheitert durch die Taktik des Hohen Rates.

KNA: Im Johannes-Evangelium entwickelt sich zwischen Pilatus und Jesus eine Diskussion darüber, ob dieser nun ein König sei. Was soll dem Leser damit vermittelt werden?

Mödl: Johannes, dessen Zielgruppe die Heidenchristen sind, will Jesus als den königlichen Messias darstellen. Die Juden aber sahen den Königstitel politisch, und das wäre in der Tat ein Verurteilungsgrund gewesen. Pilatus fragt Jesus bekanntlich: Bist Du ein König? Und dieser bestätigt das und betont: Ich bin ein König, aber kein politischer. Sein Reich sei nicht von dieser Welt. Damit ist für Pilatus die Sache erledigt.

KNA: Und doch lässt er ihn geißeln und verspotten.

Mödl: Indem Pilatus die Soldateska dies tun lässt, will er zeigen, dass dieser König keine Macht hat. Er führt Jesus dann mit den Worten vor: Seht, da ist der Mensch. Dieses elende Häuflein, will er klarmachen, ist doch den Römern nicht gefährlich.

KNA: Dennoch knickt Pilatus vor dem Volkszorn gegen Jesus ein. Zuvor wäscht er sich die Hände. Gibt es einen Grund, warum nur Matthäus diese markante Geste festhält?

Mödl: Matthäus schreibt für Juden-Christen. Gerade ihnen will er deutlich machen, dass Pilatus sich für das Urteil nicht verantwortlich fühlt. Vielmehr tragen die jüdischen Autoritäten die Hauptschuld. Denn sie bringen ins Spiel, dass sich dieser Jesus zum Sohn Gottes gemacht hat. So darf sich nur der Kaiser nennen. Also muss Pilatus Jesus nun hinrichten, weil er damit ein Konkurrent des Kaisers ist. Damit setzten sie den Statthalter unter Druck.

KNA: Einzig Matthäus erwähnt auch die Frau des Pilatus. Sie soll aufgrund eines schrecklichen Traums ihrem Mann geraten haben, die Hände von Jesus zu lassen. Hätte er auf seine Frau hören sollen?

Mödl: Natürlich. Aber er kam eben unter politischen Druck. Die Frau hat das gespürt. Matthäus zeigt, dass die Familie Pilatus nicht schuldig ist, weil sogar die Frau ihren Mann noch umstimmen wollte.

KNA: Nur bei Johannes findet sich die Rückfrage von Pilatus an Jesus: "Was ist Wahrheit?" Haben die Theologen darauf nach 2.000 Jahren eine Antwort?

Mödl: Das Wort wird ja oft tief philosophisch schürfend interpretiert. Es kann eine relativistische Frage sein, aber auch so gedeutet werden, wie es Christian Stückl in seiner Inszenierung der Passion 2010 in Oberammergau gemacht hat. Dort nimmt Pilatus einem der Schächer die Peitsche ab und schlägt gegen Jesus in die Luft und sagt: Das ist Wahrheit. Also die Wahrheit ist die Brutalität, die Macht.

KNA: Pilatus schreibt auch noch für das Kreuz ein Schild mit den Worten "Jesus von Nazareth- König der Juden".

Mödl: Manche sehen dies als zynisch an. Ich dagegen glaube, Pilatus will damit öffentlich zeigen, dass er vor dem geistlichen Titel Respekt hat. Es ist seine Art der Retourkutsche, für ein Urteil benutzt worden zu sein.

Das Gespräch führte Barbara Just.


Theologe Ludwig Mödl  / © Barbara Just (KNA)
Theologe Ludwig Mödl / © Barbara Just ( KNA )
Quelle:
KNA