Pastoralreferent zur steigenden Tauf-Anzahl von Flüchtlingen in Deutschland

"Manchmal sind die Bibeln angemalt"

Rund 150 muslimische Flüchtlinge wurden in diesem Jahr in Berlin evangelisch getauft. Diesen Trend kann der katholische Pastoralreferent Dr. Werner Kleine bei sich in Wuppertal nicht beobachten, wie er gegenüber domradio.de berichtete.

Erwachsenentaufe (KNA)
Erwachsenentaufe / ( KNA )

In der evangelisch-lutherischen Kirche in Berlin hat der dortige Pfarrer Gottfried Martens in diesem Jahr bereits150 Muslime getauft - und es kommen jeden Tag neue Flüchtlinge, die sich von ihm taufen lassen wollen. Viele von ihnen erklären, dass echter Glaube sie zu dieser Entscheidung veranlasst habe. Doch zusätzlich erhöht ein Konfessionswechsel ihre Chancen, in Deutschland bleiben zu dürfen. Müssten sie zurück in ihr Heimatland, könnten sie aufgrund ihrer neuen Religion verfolgt werden.

domradio.de: Was halten Sie von den vielen Taufen von Iranern und Afghanen, die Pfarrer Martens in Berlin durchgeführt hat?

Dr. Werner Kleine (Pastoral- und Glaubens-Referent der Katholischen Citiykirche Wuppertal): Das scheint ein ganz besonderes Phänomen in Berlin bei dem Pfarrer Martens zu sein. Ich vermute, dass er einen bestimmten Ruf hat, der sich in der Szene entsprechend verbreitet. Pfarrer Martens bietet eine vergleichsweise einfache Taufvorbereitung an. Nach drei Monaten kann man dann bereits getauft werden. Das ist bei uns in der römisch-katholischen Kirche so nicht möglich. Da müssen wir eine Taufvorbereitung von mindestens einem Jahr beachten. Das ist demnach aufwendiger.

domradio.de: Wenn sich also beispielsweise ein Muslim dazu entscheidet, Christ zu werden, dann dauert das auf dem Weg mit Glaubensunterricht und allem, was dazu gehört, ein Jahr?

Dr. Werner Kleine: Richtig. Das ist ein Verfahren, das durch einige Aspekte noch erschwert wird. Wir haben auch noch das Sprachproblem und müssen immer mit Dolmetscher arbeiten. Die Flüchtlinge, die zu uns kommen, verbringen ihre erste Zeit in Notunterkünften und werden von dort aus über Deutschland verteilt. In den Fällen, die ich selbst begleitet habe, kommen sie zu uns und melden sich nach einem Erstgespräch zur Taufe an. Unter Umständen müssen sie aber im Laufe der Zeit woanders hinziehen. Wenn sie bei mir die Taufvorbereitung weiter machen möchten, dann müssen sie unter Umständen ordentliche Entfernungen absolvieren. Dann ist ein Jahr schon alleine dafür nötig, um die Fahrten vom neuen Unterkunftsort bis zu mir berücksichtigen zu können. Drei Monate sind in dieser Rechnung schon sehr ambitioniert.

domradio.de: Sie sind auch in der Flüchtlingsberatung in Wuppertal tätig. Mit welchen Anliegen kommen die Menschen zu ihnen, die jetzt nach Deutschland geflohen sind? Ist da auch schon ein möglicher Übertritt zum Christentum ein Thema?

Dr. Werner Kleine: Die Menschen, die jetzt zu uns kommen, kommen weniger aus religiösen Gründen, sondern sie fliehen vor Krieg und Verfolgung, um ihr Leben und ihre Existenz zu retten. Das Thema bei Iranern, Irakern oder Afghanen, die nach Deutschland gekommen sind, liegt anders. Denn diese Menschen sind häufig in ihrer Heimat auch religiös verfolgt worden und haben deshalb ihr Land verlassen. Diejenigen, die jetzt kommen, haben meist eine ganz andere Motivation. Sie wollen, schlicht und ergreifend, einfach ihr Leben retten. Sie haben gerade die Flucht hinter sich und im Moment kann man nicht davon sprechen, dass jetzt die große Welle der Konvertierung kommt. Es mag sein, dass sich das in drei bis vier Monaten ändert, wenn man hier in Deutschland richtig angekommen ist und sich die Lage beruhigt hat. Jetzt aktuell sind diese Fragen für die Menschen, die hier ankommen, nicht so wichtig. Das Nötigste zum Leben hat Vorrang.

domradio.de: Wie überprüfen Sie denn, ob die Menschen aus Überzeugung Christ werden wollen? Kann man herausfinden, ob nicht Gründe für ein besseres Asylverfahren dahinter stecken?

Dr. Werner Kleine: Man kann keinem in den Kopf schauen. Ich kenne den Auftrag aus Gerichtsverfahren, in denen ich hin und wieder gebeten werde, entsprechende Gutachten anzufertigen, wie groß aus meiner Sicht der Taufwunsch ist. Wenn ich die Menschen über mehrere Monate begleitet habe und vielleicht auch schon eine Taufe erfolgt ist, dann kann ich natürlich auf eine Geschichte zurückblicken, die ich mit diesen Menschen habe. Ich habe mittels Kommunikation einen Menschen dann auch besser kennengelernt. In der Situation kann ich auch eine Aussage treffen. Wenn ich der Meinung wäre, dass der Taufwunsch nur vorgeschoben ist, würde die Taufe ja auch gar nicht erfolgen. Ich werde häufig von Flüchtlingen, wenn sie sich zur Taufe anmelden, gebeten, schon entsprechende Bescheinigungen auszustellen. Das kann ich natürlich nicht machen. Nach einem ersten Gespräch kann ich da kein schriftliches Urteil abgeben. Man hält mir dann oft Bibeln unter die Nase, die ganz bunt angemalt sind. Das sieht danach aus, als dass darin gelesen worden ist. Das kann natürlich auch durchaus so sein, es kann aber auch sein, dass die Bibel nur bunt angemalt wurde. In einem Erstgespräch versuche ich dann bei aller notwendigen kritischen Distanz herauszufinden, ob dieser Mensch überhaupt mit der Bibel umgehen kann. Wenn ich eine Bibelstelle nenne, 'schlagen Sie doch mal bitte Lukas 4,3 auf' und mein Gegenüber weiß gar nicht er machen soll, dann kommen mir Zweifel. Schlägt er oder sie die Bibelstelle aber auf und ich frage noch nach der Lieblingsbibelstelle und man kann mir vielleicht schon ein Glaubensbekenntnis sagen, dann habe ich wenigstens eine Ahnung, dass da jemand sitzt, der sich mit dem Thema auseinander gesetzt hat. In diesem Fall kann ich immerhin eine Bescheinigung ausstellen, dass sich dieser Mensch bei mir zur Taufe angemeldet hat. Mehr werde ich nicht dokumentieren, denn dazu müsste man sich näher kennenlernen.

Das Interview führte Tobias Fricke

 


Quelle:
DR