Papst verurteilt Gewalt in Tibet - China schickt weitere Truppen - Entwicklungsministerium will Gespräche auf Eis legen

China unbeeindruckt ob der Proteste

Das Vorgehen chinesischer Sicherheitskräfte in Tibet beeinträchtigt die Regierungskontakte zwischen Deutschland und China. Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) kündigte am Mittwoch in Berlin an, die im Mai anstehenden Regierungsverhandlungen mit China so lange auszusetzen, bis die Gewalt in Tibet ein Ende gefunden hat.
Papst Benedikt XVI. zeigte sich "sehr besorgt" über die Situation. Bei seiner Generalaudienz wandte er sich am Mittwoch im Vatikan gegen jede Form der Gewaltanwendung und rief zu Dialog und Toleranz auf. Peking verlegt derweil neue Truppen nach Tibet. Menschenrechtler befürchtet Folter und Tod für 1.000 inhaftierte Menschen.

 (DR)

"Mit Gewalt löst man keine Probleme, sondern erschwert sie nur", sagte Benedikt XVI. vor rund 10.000 Besuchern. Der Papst rief die Christen zum Gebet für Tibet auf: "Bitten wir den allmächtigen Gott, die Quelle des Lichts, dass er den Verstand aller erleuchtet und jedem dem Mut gibt, den Weg des Dialogs und der Toleranz zu gehen. Mein väterliches Herz fühlt die Trauer und das Leid vieler Menschen. Das Geheimnis der Passion und des Todes Jesu, das wir in dieser Heiligen Woche erleben, möge uns helfen, sensibler auf ihre Situation einzugehen." Es war die erste öffentliche Äußerung des katholischen Kirchenoberhaupts zu den Zusammenstößen in Lhasa. Dass Ausbleiben einer öffentlichen Reaktion hatte in italienischen Medien Spekulationen und Kritik ausgelöst.

Zuvor hatte hatte der Dekan des Kardinalskollegs, Angelo Sodano, nach Angaben der Tageszeitung "La Repubblica", seine Sorgen um die Menschenrechte in Tibet zum Ausruck gebracht. "Die Kirche ist sowohl Tibet als auch dem chinesischen Volk nah, aber die Menschenrechte müssen immer geschützt werden", betonte der ehemalige vatikanische Kardinal-Staatssekretär in Rom.

Der Hongkonger Kardinal Joseph Zen äußerte die Hoffnung, dass die jüngsten Ereignisse in Tibet «zu einer neuen Sicht der Dinge» führen. Gegenüber Radio Vatikan betonte er, die Pekinger Regierung müsse begreifen, dass Religionsfreiheit keine Bedrohung darstelle, sondern einen Vorteil. Zen verfasste im Auftrag von Benedikt XVI. die Meditationen für den diesjährigen Kreuzweg, den der Papst am Karfreitag am Kolosseum in Rom beten will.

Der Vatikan verhandelt mit der kommunistischen Führung in Peking seit langem über eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen, die in den 50er Jahren abgebrochen worden waren. Im vergangenen Jahr sagte der Vatikan eine geplante Papst-Audienz für den Dalai Lama, das geistliche Oberhaupt der buddhistischen Tibeter, ab. China hatte gegen die Begegnung protestiert.

China schickt neue Truppen
Die chinesische Führung schickt nach Angaben des britischen Senders BBC große Truppenkontingente nach Tibet, um die Proteste zu ersticken. BBC-Reporter berichteten am Mittwoch von Konvois mit bis zu 80 Militärfahrzeugen. Auf den Straßen der tibetischen Hauptstadt Lhasa seien uniformierte Sicherheitskräfte mit automatischen Waffen überall präsent. Chinesische Funktionäre sprächen von einem Kampf auf Leben und Tod mit der «Clique um den Dalai Lama», berichtete BBC.

Der britische Premierminister Gordon Brown verurteilte die Gewalt in Tibet fünf Monate vor den Olympischen Spielen in Peking. Brown erklärte im Parlament, er werde den Dalai Lama, das geistliche Oberhaupt der buddhistischen Tibeter, empfangen, wenn er nach London komme. Auch Papst Benedikt XVI. äußerte sich besorgt über die Lage in Tibet und rief zum Dialog auf. «Gewalt ist keine Lösung für Probleme, sondern verschlimmert sie nur», sagte er in Rom.

Dalai Lama verteidigt sich
Der Dalai Lama wies erneut Vorwürfe zurück, er habe die Ausschreitungen in Tibet angezettelt. «Niemand wird Hinweise oder gar Beweise finden, dass ich etwas mit den Protesten zu tun hätte», sagte der Friedensnobelpreisträger in einem Interview der Ulmer «Südwestpresse» (Donnerstagsausgabe). Er sei bereit, sich jeder internationalen Untersuchung zu stellen.

Der Dalai Lama bekräftigte sein Nein zu einem Boykott der Olympischen Spiele. «Ein Boykott erscheint mir zu radikal und der Bedeutung Chinas nicht angemessen», sagte er. Zugleich erinnerte der 72-Jährige die Sportfunktionäre an ihre Verantwortung. «Als die Spiele an Peking vergeben wurden, hat sich die chinesische Führung der Weltgemeinschaft gegenüber verpflichtet, die universellen Werte wie politische Freiheit, Demokratie, Presse- und Redefreiheit zu respektieren.» Daran müsse China immer wieder erinnert werden.

Der Entwicklungsexperte Franz Nuscheler sprach sich für ein Einfrieren der Entwicklungshilfe an China aus. «Es muss Druck erzeugt werden, das darf man den Chinesen nicht durchgehen lassen», sagte der Politologe in einem epd-Gespräch zu den Entwicklungen in Tibet. Die EU-Staaten müssten jedoch geschlossen auftreten, um etwas zu bewirken. Im vergangen Jahr hatte Deutschland China rund 68 Millionen Euro zugesagt, davon drei Viertel als Darlehen.

ZdK: Politischen Druck erhöhen
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hat die EU und die Bundesregierung aufgefordert, den politischen Druck auf China wegen des Vorgehens in Tibet zu erhöhen. Die "gewaltsame und menschenverachtende Unterdrückung des tibetischen Volkes" müsse ein Ende finden, erklärte ZdK-Vizepräsident Christoph Braß im domradio.

Braß bedauerte, wenige Monate vor Beginn der Olympischen Spiele werde die Hoffnung auf politische Reformen in China "bitter enttäuscht". Auch deutsche und europäische Firmen, die mit China Geschäfte machen, und deutsche Verbraucher, die Waren aus China kaufen, könne die Menschenrechtssituation dort nicht gleichgültig sein, hieß es weiter.

"Die brutale Niederschlagung der Proteste in Tibet und der Versuch, diese vor der Weltöffentlichkeit zu verbergen, stellen nicht hinnehmbare Menschenrechtsverletzungen dar", erklärte Braß.

Die chinesische Besatzungspolitik versuche seit 50 Jahren, die kulturelle Identität des tibetischen Volkes zu unterdrücken und die Menschen an der Ausübung ihrer Religionsfreiheit zu hindern. Diese Praxis habe einen neuen Höhepunkt erreicht. In Tibet stehe in diesen Tagen nicht nur die Glaubwürdigkeit der chinesischen Führung auf dem Spiel, sondern auch die der westlichen Welt, so die katholische Laienorganisation weiter.

Menschenrechtler: 1.000 Tibeter nach Protesten festgenommen
Etwa 1.000 Tibeter sind Menschenrechtlern zufolge nach den Protesten der vergangenen Tage von den chinesischen Behörden festgenommen worden. Ihnen drohe Folter und Tod, teilte die Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen am Mittwoch mit. Die Zahl habe das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie im indischen Dharamsala zusammengetragen, erläutert der Asien-Experte der Organisation, Ulrich Delius. Es seien Schätzungen, weil gesicherte Informationen nicht zu erhalten seien. Dharamsala ist Sitz der tibetischen Exilregierung.

Dass sich Tibeter, die sich an den Protesten beteiligt haben, nach der Aufforderung der chinesischen Regierung freiwillig gestellt hätten, hält Delius für unwahrscheinlich. Angesichts der Strafen, die ihnen drohten, auch wenn Peking Milde angekündigt habe, sei dies kaum vorstellbar. Laut chinesischen Presseberichten stellten sich 105 Teilnehmer gewaltsamer Ausschreitungen den Behörden. Die Polizei hatte den Demonstranten ein Ultimatum bis Montagnacht gestellt.

Auch wenn China die Anti-Folter-Konvention unterschrieben habe, seien in der Vergangenheit Tibeter an den Folgen von Misshandlungen gestorben, die ihnen im Gefängnis zugefügt wurden, sagte Delius. Dieses Schicksal drohe nun auch denjenigen, die gegen die chinesische Besetzung auf die Straße gegangen seien. Besonders Pekings Ankündigung, wonach es Beweise gebe, dass der Dalai Lama die Proteste angestachelt habe, lasse darauf schließen. «Denn diese Beweise werden sie sich auch mit Folter holen», so Delius.