Papst erinnert an den Gelehrten Johannes Scotus Eriugena

"Vernunft vor Autorität"

In der theologischen Lehre muss nach Worten von Papst Benedikt XVI. die Vernunft Vorrang vor der Autorität haben. Im Zweifelsfall sei die logische Schlüssigkeit als Kriterium der Wahrheit maßgeblich, sagte das Kirchenoberhaupt bei seiner Generalaudienz am Mittwoch auf dem Petersplatz.

 (DR)

Letztlich hätten jedoch sowohl wahre Autorität als auch Vernunft ihre Quelle in der göttlichen Weisheit.

Benedikt XVI. bezog sich mit seinen Aussagen auf den mittelalterlichen Gelehrten Johannes Scotus Eriugena, einen irischen Theologen des 9. Jahrhunderts am Hof Karl des Kahlen. Unter Verweis auf dessen Werk sagte der Papst, für ein richtiges Bibelverständnis seien zugleich Fortschritte in der persönlichen Bekehrung und in der begrifflichen Analyse notwendig. Eriugena selbst sei durch seine Suche nach der Wahrheit zu einem "betenden und schweigenden Erkennen des Geheimnisses Gottes" gelangt.

"In seinem Hauptwerk De divisione naturae zeigte Johannes die Widerspruchslosigkeit von wahrer Autorität und Vernunft auf, die ja beide aus derselben Quelle hervorgehen, nämlich der göttlichen Weisheit. Dabei hat die logische Stringenz als Kriterium der Wahrheit Vorrang vor der Autorität. Für die rechte Auslegung der Heiligen Schrift braucht es eine ständige Bereitschaft zur Umkehr. Um zum tieferen Verständnis des Textes zu gelangen, sind gleichzeitig Fortschritte in der persönlichen Bekehrung und in der begrifflichen Analyse vonnöten, die fortwährende Reinigung des Auges des Herzens und des Geistes. … Die Suche nach der Wahrheit führt zu einem betenden und schweigenden Erkennen des Geheimnisses Gottes. Diese unsagbare Erfahrung mystischer Gemeinschaft und Vereinigung mit Gott bezeichnete er mit dem griechischen Ausdruck theosis - Vergöttlichung. So sind manche seiner Intuitionen, die den Ideen griechischer Autoren nahe stehen, später von den großen Mystikern weiterentwickelt worden."

Der Papst wandte sich wie üblich in mehreren Sprachen an die Pilger und Touristen auf dem Petersplatz; den deutschsprachigen Gruppen gab er folgenden Gruß mit auf den Weg: "Ein Wort des Johannes Scotus Eriugena mag uns gleichsam als Gebet begleiten: ,Nichts anderes wünsche ich als die Freude der Wahrheit, die Christus ist. Wenn du mir Christus nimmst, bleibt mir kein Gut mehr, und nichts anderes fürchte ich als sein Fehlen' (vgl. De div. nat., V). Der Herr schenke euch seine Gnade!"