An Ostern vor 25 Jahren stellte die Friedensbewegung 96 Kreuze gegen Atomraketen auf

Stummer Protest gegen die Nachrüstung

Der stumme Protest begann vor 25 Jahren: An Ostern 1984 errichtete die Friedensbewegung 96 grob gezimmerte Holzkreuze an der Hunsrückhöhenstraße. Jahrelang ragten sie wie Mahnmale in den Himmel - als Zeichen des Protests gegen die NATO-Nachrüstung und gegen die Stationierung von Marschflugkörpern in der Region. Aus einem schlichten Acker wurde ein Friedenssymbol. Jedes der 96 Kreuze stand dabei für eine von 96 atomaren Mittelstreckenraketen. Zur Erinnerung und als bleibende Mahnung blieben drei Kreuze bis heute stehen.

Autor/in:
Dieter Junker
 (DR)

«Als Theologe beeindruckte mich immer wieder die Symbolkraft dieses Ackers», sagt Clemens Ronnefeldt aus Freising. Der heutige Referent für Friedensfragen beim Internationalen Versöhnungsbund unterstützte damals die Hunsrücker Friedensbewegung. Für August Dahl waren die Kreuze «ein Zeichen des Lebens und der Hoffnung gegen den Tod, wie die Kreuze auf unseren christlichen Friedhöfen».

Der ehemalige Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Bell, zu der sowohl der Friedensacker als auch das Stationierungsgelände der Marschflugkörper gehörten, und seine Frau Jutta zählen zu den Protagonisten jener Zeit. Jutta Dahl wurde für ihren Friedenseinsatz 1988 mit dem ersten Aachener Friedenspreis ausgezeichnet.

Anfang der 80er Jahre war bekannt geworden, dass im Hunsrück 96 Cruise Missiles als Folge des NATO-Doppelbeschlusses stationiert werden sollten. Der Bundestag stimmte 1983 nach heftigen Debatten der Nachrüstung zu. Mit den 96 Kreuzen wollte die Friedensbewegung ein dauerhaftes Zeichen des Protests gegen die in unmittelbarer Nähe der Orte Bell und Hasselbach vorgesehene Stationierung der Atomraketen setzen. Zum ersten rheinland-pfälzischen Ostermarsch, der 1984 im Hunsrück stattfand, wurden die ersten Kreuze aufgestellt.

Der kleine Hunsrückort Bell entwickelte sich in diesen Jahren zu einem Zentrum des Widerstands gegen die Nachrüstung, das Kreuz wurde zu einem Symbol der Friedensbewegung. Neben den 96 Kreuzen an der Bundesstraße wurde auch ein großes Friedenskreuz am Haupttor zum Stationierungsort aufgestellt, unter dem die Kirchengemeinde Bell von 1983 an jeden Sonntag zum Friedensgebet einlud. Zusätzlich stellte der Aktionskünstler Bernhard Eitelgörge zahlreiche Kreuze an Hunsrücker Straßen auf.

Waren die Kreuze auf dem Acker an der Hunsrückhöhenstraße für die Friedensbewegung ein Zeichen der Mahnung und des Protestes, so wurden sie für andere zum Ärgernis. Insgesamt 18 Mal wurden sie herausgerissen, abgesägt oder zerstört. Immer wieder richteten Mitglieder der Friedensbewegung sie neu auf. «Das war manchmal schon frustrierend, und viele überlegten sich, ob wir die Kreuze nicht mit einem Zaun sichern sollten», erinnert sich Jutta Dahl. «Doch schnell wurde uns klar, dass wir dann dasselbe machen würden wie das Militär, das seine Einrichtungen einzäunt.»

Die Entscheidung fiel für den Weg der Geduld. Viele Hunsrücker, aber auch Gruppen und Verbände aus dem ganzen Bundesgebiet übernahmen Patenschaften für ein Kreuz. «Eure Kreuze werden unser Kreuz», lautete eine Aktion der «Sumpfdotterblume», einer gewaltfreien Aktionsgruppe kirchlicher Mitarbeiter in der Evangelischen Kirche im Rheinland. Im Vorfeld einer Großdemonstration am 11. Oktober 1986 mit über 200.000 Teilnehmern waren Bürger, Gemeinden, Friedensgruppen und ökumenische Arbeitskreise aufgerufen, für eine kurze Zeit ein Kreuz vom Friedensacker zu sich zu holen.

Überall im Rheinland nahmen Gruppen an der Aktion teil und solidarisierten sich so mit dem Hunsrücker Protest. «Es war beeindruckend, wie durch diese Patenschaften in vielen Gemeinden Deutschlands die Botschaft von Hasselbach, von Raketen und Widerstand gebracht wurde», sagt Clemens Ronnefeldt rückblickend.

Im Dezember 1987 beschlossen die USA und die damalige Sowjetunion nach langen Abrüstungsverhandlungen die Vernichtung aller landgestützten Raketen kürzerer und mittlerer Reichweite. Im Hunsrück stellte sich damit die Frage nach der Zukunft des Friedensackers. Die Friedensinitiative entschied sich im Sommer 1993 dafür, die Kreuze zu entfernen und lediglich drei von ihnen als Mahnung und Erinnerung stehen zu lassen. Sie sollen eine Aufforderung sein, nicht nachzulassen im Einsatz «gegen den atomaren Wahnsinn, für Frieden und Gerechtigkeit».