Orthodoxe tadeln Einführung der Homo-Ehe in Griechenland

Kirche und Staat gehen auf Distanz

Auch im "Mutterland" der Orthodoxie nimmt die Säkularisierung zu. Kürzlich beschloss das Parlament in Athen, die gleichgeschlechtliche Ehe in Griechenland einzuführen. Die orthodoxe Kirche kritisiert das Gesetz.

Homosexuelles Paar heiratet / © Geoff Goldswain (shutterstock)
Homosexuelles Paar heiratet / © Geoff Goldswain ( shutterstock )

KNA: Hat Sie die Billigung der gleichgeschlechtlichen Ehe durch das Parlament überrascht oder war der Schritt erwartbar?

Prof. Stefanos Athanasiou (Orthodoxer Theologieprofessor und Priester): Dass die Einführung der gleichgeschlechtlichen standesamtlichen Ehe in Griechenland jetzt so schnell ging, hat mich ehrlich gesagt schon überrascht. Es gab zuvor keine monatelange Debatte, die für ein so wichtiges Thema meines Erachtens notwendig und wichtig wäre. In sehr kurzer Zeit hat die griechische Regierung das Thema abgehandelt, ohne wirklich eine gesellschaftliche Diskussion zuzulassen oder wenigstens anzuregen.

Es gab in Vorfeld zwar ein Treffen zwischen dem Erzbischof von Athen und dem Ministerpräsident, bei dem Mitsotakis die Kirche über das Vorhaben informiert hat, jedoch ohne eine Diskussionsmöglichkeit zuzulassen. Die Reaktion der orthodoxen Kirche von Griechenland auf den Beschluss des Parlaments war im Vorfeld klar. Die Synode der Kirche von Griechenland hat einstimmig beschlossen, dass eine Homoehe nicht mit der Auffassung des orthodoxen Ehebegriffes zu vereinbaren ist.

Stefanos Athanasiou

"Die Synode der Kirche von Griechenland hat einstimmig beschlossen, dass eine Homoehe nicht mit der Auffassung des orthodoxen Ehebegriffes zu vereinbaren ist."

KNA: War die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zuvor ein Thema im Wahlkampf?

Athanasiou: Wie gesagt, leider nicht. Die Regierung hatte im Wahlkampf dieses Thema gar nicht angesprochen. Inwieweit dies tatsächlich die gesellschaftliche Realität widerspiegelt oder nicht, wird dann wohl der nächste Urnengang zeigen.

KNA: Der orthodoxe Glaube hat für Griechenland eine besondere Bedeutung. Wirkt die Entscheidung des Parlaments zurück auf das Selbstverständnis der Griechen?

Griechisch-orthodoxer Gottesdienst / © John Wollwerth (shutterstock)
Griechisch-orthodoxer Gottesdienst / © John Wollwerth ( shutterstock )

Athanasiou: Nach der ersten griechischen Verfassung aus dem 19. Jahrhundert war es tatsächlich so, dass man zuerst Christ sein musste, um Grieche zu sein. Sofern gehört zum Grieche-Sein ein Bezug zur orthodoxen Tradition des Landes. Mittlerweile hat sich die Verfassung mehrmals geändert und die religiöse Zugehörigkeit ist nicht maßgeblich für die griechische Staatsbürgerschaft, wie dies außerdem in jedem westlichen Rechtsstaat der Fall ist. Allerdings spielen die orthodoxen Traditionen immer noch eine gesellschaftliche Rolle. 

Natürlich gibt es auch religiöse Minderheiten in Griechenland. Etwa Muslime im Norden des Landes, Juden wie auch Katholiken auf manchen Inseln - religiöse Gruppen, die schon historisch seit langer Zeit im griechischen Staatsgebiet anwesend sind. Zu betonen wäre eventuell an dieser Stelle, dass die katholische Bischofskonferenz von Griechenland die erste religiöse Institution war, die das Vorhaben der Regierung bezüglich der Homoehe verurteilt hat. Die orthodoxe Kirche folgte ein paar Tage später, im gleichen Geist.

KNA: Staat und Kirche stehen in Griechenland traditionell in einem engen Verhältnis. Erwarten Sie, dass sich das nun ändern wird?

Athanasiou: Es hat sich durch diese Entscheidung eine weitere säkulare Ansichtsweise durchgesetzt, die mit dem orthodoxen Eheverständnis nicht übereinstimmt. Es ist sicherlich ein Schritt des griechischen Staates, mit dem er sich weiter von der orthodoxen Ethik und Tradition entfernt.

KNA: Glauben Sie, dass die Stellung der orthodoxen Kirche innerhalb dieses Staatswesens damit Schaden nimmt?

Athanasiou: Die Synode der orthodoxen Kirche Griechenlands hat sich zwar negativ geäußert, hat jedoch gleichzeitig signalisiert, dass es keine größeren Protestkundgebungen geben wird. Die Kirche hat ihr Verständnis der Ehe klargestellt. Wenn der Staat für sich beschließen möchte, dass er sein Eheverständnis nun säkularer betrachteten möchte, ist es sein Recht. Jedoch stellt dies klar einen Bruch mit der orthodoxen Tradition dar. 

Stefanos Athanasiou

"Die Synode der orthodoxen Kirche Griechenlands hat sich zwar negativ geäußert, hat jedoch gleichzeitig signalisiert, dass es keine größeren Protestkundgebungen geben wird."

Wissen Sie, die Kirche lebt und wirkt in jedem Staatswesen; ob es Demokratien, Diktaturen oder Monarchien sind. Es gibt Gesellschaften und Staatsformen, die mit der Kirche und ihren Traditionen übereinstimmen und solche, die wenig oder auch gar nicht dem kirchlichen Leben entsprechen. Ich glaube persönlich nicht, dass durch diesen Beschluss die Kirche Schaden nehmen wird. Es ist eine weitere Gelegenheit für die Kirche, aus staatlicher Sicherheit heraus zu einer mehr bezeugenden Gemeinschaft zu werden.

KNA: Wird es eine Wirkung auf andere orthodoxe Länder geben?

Athansiou: Ich kann mir vorstellen, dass der politische Druck vor allem gegenüber orthodoxen Ländern, die in der Europäischen Union oder in anderen verschiedenen westlichen Gemeinschaftsverbunden sind, wachsen wird.

KNA: Sie sind orthodoxer Theologe und theologischer Ethiker. Wir beurteilen Sie die Entwicklung aus sozialethischer Perspektive?

Athansiou: Wir sprechen hier über zwei unterschiedliche Sachverhalte. Einerseits geht es zunächst um die Eheerlaubnis für zwei gleichgeschlechtlichen Menschen. Hier ist die orthodoxe Position klar, wie ich schon dargestellt habe. Andererseits geht es um das Thema der Homosexualität an sich. Das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel hat im Jahr 2020 ein Sozialethos Dokument herausgegeben dort heißt es im Paragraf 19:

"Wir leben in einer Zeit, in der Sexualität mehr und mehr als persönliches Geschick, ja sogar als Privatsache verstanden wird. Viele politische und gesellschaftliche Debatten in der modernen Welt drehen sich um die unterschiedlichen Ansprüche und Bedürfnisse von heterosexuellen, homosexuellen, bisexuellen und anderen sexuellen 'Identitäten'. Als einfache physische und psychologische Tatsache ist die Art des individuellen sexuellen Verlangens in der Tat nicht einfach eine Folge privater Entscheidungen im Hinblick auf diesen Bereich; viele der Neigungen und Sehnsüchte des Fleisches und des Herzens kommen in hohem Maße mit uns auf die Welt und werden in uns schon in jungen Jahren genährt oder vereitelt, angenommen oder gehemmt. Darüber hinaus muss es für jeden Menschen ein Grundrecht sein - das zu verletzen keine staatliche oder zivile Behörde sich anmaßen darf -, frei zu bleiben von Verfolgung oder rechtlicher Benachteiligung aufgrund der eigenen sexuellen Orientierung. Die Kirche versteht die menschliche Identität jedoch so, dass sie in erster Linie nicht in der Sexualität oder in einer anderen privaten Eigenschaft liegt, sondern vielmehr im Bild und Gleichnis Gottes, wie es in uns allen gegenwärtig ist. Alle Christen sind aufgerufen, stets im anderen das Bild und Gleichnis Gottes zu suchen und sich jeder Form der Diskriminierung ihrer Nächsten, ungeachtet der sexuellen Orientierung, zu widersetzen. Christen sind zu einem Leben in sexueller Keuschheit innerhalb und außerhalb der Ehe berufen, gerade wegen der Heiligkeit des Sexuallebens in der Schöpfungsordnung. Christen sind jedoch niemals zu Hass oder Verachtung gegenüber anderen aufgerufen."

In diesem Sinne stellt das Dokument fest, dass Homosexualität als sexuelle Neigung existiert und stellt sich klar gegen jegliche Verfolgung und Diskriminierung von Menschen mit solchen Neigungen. Das Dokument ruft jedoch die Gläubigen auch auf, in Keuschheit innerhalb und außerhalb der Ehe zu leben, die im Sinne der Schöpfungsordnung zur Heiligkeit führen soll.

KNA: Wenn eine Kirche so tief mit der Tradition nicht nur des Landes, sondern auch des Staates verwoben ist, wie die orthodoxe Kirche Griechenlands, verändert sich nicht die Sicht der Kirche auf diesen Staat?

Athanasiou: Natürlich entsteht eine Diskrepanz zwischen dem Ethos der Kirche und dem Ethos des Staates. Aber ich möchte hier betonten, dass die Orthodoxe Kirche nicht nur in Griechenland, sondern in fast allen Ländern der Welt mit ihren jeweiligen politischen Systemen und Gesetzgebungen vertreten ist. Manche Länder vertreten die ethischen Ansichten der Orthodoxen Kirche, manche wiederum nicht. Es gibt Länder, wo etwa Todesstrafe oder Polygamie erlaubt sind; beide sind nicht mit dem orthodoxen Ethos zu vereinbaren. Die Kirche kann sich immer nur an ihre Gläubigen wenden und sie aufrufen, ein spirituelles Leben zu führen, damit diese die Theosis - Vergöttlichung erlangen.

Für das Erlangen der Theosis besitzt die Kirche eine spirituelle Erfahrung, die sie durch heilige Frauen und Männer weiterträgt. Jeder ist frei daran teilzunehmen oder nicht. Wenn ich hier von Kirche spreche, meine ich nicht primär die Kirche als Institution, die sich als Institution von politischen Meinungen und Ansichtsweisen beeinflussen lassen kann, sondern von der Kirche als Ort der Gotteserfahrung - der Erfahrung des Heiligen. Daran wird sich in Zukunft die institutionelle Kirche immer mehr messen müssen. Besonders in einer Phase, da diese in Staaten, in denen sie bislang in politischer Sicherheit gelebt hat, ihre Stellung etappenweise verliert. Ich hoffe jedoch, dass dies der Kirche gut tun wird. Heiligkeit braucht Askese.

KNA: Der französische Ethnologe Emmanuel Todd meint, mit der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe habe eine Gesellschaft ihr religiöses Substrat hinter sich gelassen. Von diesem Zeitpunkt an habe Religion auch als «Zombie» keinen Einfluss mehr auf die säkulare Sphäre. Geht der Soziologe für den Theologen da zu weit?

Athanasiou: Ich würde sagen, dass diese Meinung für mich zu einseitig ist. Nur an dem einen Punkt bestimmen zu wollen, wie christlich oder religiös eine Gesellschaft ist oder nicht, geht zu weit. Ich würde vielmehr sagen, dass es wie mit einer Ehe ist. Es müssen viele Dinge geschehen die letztlich dazu führen, dass der eine im anderen sich selbst nicht wiedererkennt oder jemand völlig Fremden sieht. Dabei gibt es Taten und Beschlüsse, die eine größere oder kleinere Rolle spielen. Am Ende aber wird die langsame Entfremdung den Bruch bringen. Nichts anderes geschieht in der Beziehung zwischen Kirche und Staat.

Das Interview führte Simon Kajan.

Orthodoxe Kirche

Als orthodoxe Kirche wird die aus dem byzantinischen (Oströmischen) Reich hervorgegangene Kirchenfamilie bezeichnet. Sie besteht je nach Standpunkt aus 14 beziehungsweise 15 selbstständigen ("autokephalen") Landeskirchen. "Orthodox" ist griechisch und bedeutet "rechtgläubig". Trotz großer nationaler Unterschiede und innerer Konflikte versteht sich die Orthodoxie in Bekenntnis und Liturgie als eine einzige Kirche. Ehrenoberhaupt ist der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I. (84).

Christlich-orthodoxes Holzkreuz und Kirche in der Nähe von Kharkiv in der Ukraine / © aquatarkus (shutterstock)
Christlich-orthodoxes Holzkreuz und Kirche in der Nähe von Kharkiv in der Ukraine / © aquatarkus ( shutterstock )
Quelle:
KNA