Wie die Aktion Mensch am Freitag in ihrem "Inklusionsbarometer Arbeit" in Bonn vorstellte, finden Menschen mit Behinderungen immer schwerer einen Job. Die Aktion Mensch sieht darin eine "Arbeitsmarktkrise".
"Die Arbeitslosigkeit bei Menschen mit Behinderung ist höher denn je und im Vergleich zu der Arbeitslosenquote von Menschen ohne Behinderung doppelt so hoch", sagte Sprecherin Christina Marx im DOMRADIO.DE-Interview. "Im Durchschnitt suchen Menschen mit Behinderung ungefähr 90 Tage länger nach einem neuen Job als Menschen ohne Behinderung."
Belastungen der vergangenen Jahre wie die Corona-Pandemie oder der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine wirkten sich auf dem Arbeitsmarkt zum Nachteil von Menschen mit Behinderungen aus. Aber auch in der Einstellung der Unternehmen sieht Marx einen Grund für den negativen Trend.
"Wir sehen, dass Unternehmen und Arbeitgeber doch immer noch Vorbehalte haben, Menschen mit Behinderung einzustellen", erklärte Marx weiter. "Dabei wissen wir aus unserer Studie, dass Arbeitgeber und Unternehmen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen, keine Leistungsunterschiede feststellen – wovor viele Angst haben. Im Gegenteil: Das sind loyale und tolle Mitarbeitende."
Dabei vereinfachten die Digitalisierung sowie flexiblere Arbeitsmodelle die Inklusion von Menschen mit Behinderung im Unternehmen. Vielen Unternehmen sei zudem nicht klar, dass sie etwa bei der Einrichtung barrierefreier Arbeitsplätze durch Lohnkostenzuschüsse unterstützt würden.
Missio München mahnt mehr Einsatz für Inklusion weltweit an
Auch das Hilfswerk missio München hat dazu aufgerufen, weltweit entschlossener die Rechte und die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung zu fördern. "Jeder Mensch ist Ebenbild Gottes – und jeder Mensch hat ein unveräußerliches Recht auf Würde, Schutz und Teilhabe", erklärte missio-Präsident Wolfgang Huber.
Er äußerte sich angesichts des anstehenden Internationalen Tags der Menschen mit Behinderung, der am 3. Dezember stattfindet. Der von den Vereinten Nationen 1992 ausgerufene Aktionstag soll die oftmals sehr schwierigen Lebensumstände von Betroffenen ins Bewusstsein rufen.
Nach wie vor würden Millionen Menschen mit körperlichen oder geistigen Einschränkungen von Bildung, Arbeit, Gesundheitsversorgung und sozialem Leben ausgeschlossen, erinnerte Huber und fügte hinzu: "Das ist nicht hinnehmbar." In vielen Ländern Afrikas, Asiens und Ozeaniens etwa führten soziale Stigmatisierung, Armut und fehlende staatliche Hilfe immer noch zu Ausgrenzung. Kinder mit Behinderung würden häufig nicht zur Schule geschickt, Erwachsene erhielten kaum Zugang zum Arbeitsmarkt und Familien blieben auf sich allein gestellt.
Zentrum für Disability Studies in Hamburg steht vor Aus
Auch in der Wissenschaft müssen Menschen mit Behinderung und jene, die sich aktiv für Inklusion einsetzen, herbe Rückschläge einstecken. Mit dem Zentrum für Disability Studies in Hamburg an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie verliert die Kritische Behindertenforschung eines von drei Instituten. Es wird aufgrund von Sparmaßnahmen geschlossen. Ebenso von Kürzungen betroffen ist die Internationale Forschungsstelle für Disability Studies an der Uni Köln.
"Studierende und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verlieren dadurch Informationen aus erster Hand", ordnete der ehemalige Leiter und Vorstand des Vereins Disability Studies Deutschland, Prof. Dr. Siegfried Saerberg, diese Entwicklung im DOMRADIO.DE-Interview ein. Die Forschung werde u.a. von Menschen mit Behinderung durchgeführt. "Das heißt, es gibt sehr klare, erfahrungsgesättigte Informationen über all das, was Behinderung in unserer Gesellschaft betrifft. Die Disability Studies sind menschenrechtsorientiert, es geht dabei um echte Partizipation und Inklusion, und sie sind von uns Behindertenwissenschaftler:innen gemacht."
Mit den Einsparungen am Kölner Institut läuft auch die zweite von drei Professuren Gefahr, wegzufallen. "Das hätte verheerende Folgen", stellte Saerberg klar. "Für ganz Deutschland ist das natürlich viel zu wenig. Man müsste eigentlich Hunderte von Professuren einrichten, um die große Nachfrage abzudecken. Zudem ist Behinderung wahrscheinlich eine Sache, die weiter zunehmen wird." Diese Entwicklung sei ein Schritt in die falsche Richtung. "Wir wollen, dass behinderte Menschen menschenrechtsorientiert versorgt werden, menschenrechtsorientiert verstanden werden, dass sie sich selbst artikulieren können. Nur so können ihre Bedürfnisse wirklich von der Politik und den Wissenschaften versorgt werden."
Prof. Saerberg ruft dazu auf, sich für den Schutz der Disability Studies einzusetzen. Mit der Unterschrift der Online-Petition oder einem Brief an die Hamburger Wissenschaftsbehörde oder die Senatorin für Wissenschaft könne Druck gemacht werden. "Ich glaube, für kritisch denkende Menschen und Unterstützer der Wissenschaftsfreiheit könnte es wichtig sein, zu den Disability Studies zu stehen. Denn wenn das schwächste Glied aus unserer solidarischen Gemeinschaft fällt, dann werden die anderen folgen. Wenn wir aber von Anfang an zeigen, dass wir zusammenhalten, dann wird man in der Politik andere Wege gehen müssen."