Sr. Karoline schaut Iwan an. Seine verlausten Haare, die verfilzten, zerrissenen Kleider. Der ganze Körper gezeichnet von billigen Drogen, Klebstoffschnüffeln zum Beispiel. Früher war Iwan Mathematiklehrer. Ging über die Straßen, die Menschen grüßten ihn. Heute macht das niemand mehr. Iwan geht auch nicht mehr über die Straßen. Irgendwann hatte er keine Kraft mehr, sich aufzurichten. Seitdem kriecht er. Bewegt sich nur noch auf allen vieren, Händen und Füßen.
Iwan lebt in den Straßen um das kleine Häuschen von Sr. Karoline, in dem außer ihr noch zwei weitere Schwestern wohnen. Die Mutter Teresa Lateinamerikas nennen die Menschen sie. Ihr Werk ist heute riesengroß, erstreckt sich auf Chile, Bolivien, Peru. Überall entstehen von Kinderkrippen über Berufsschulen, Gesundheitszentren, Werkstätten, Drogenzentren, Orte für Menschen mit Behinderungen oder solche ohne Wohnung, Zufluchtsorte. Hoffnungsorte.
Orte, an denen all die Menschen, die an eine andere Welt glauben, einen Platz finden, an dieser Welt mitzubauen. Wie Marla aus dem Reichenviertel. Ihre Familie lebt dort, wo die Straßen breite Alleen sind und die Bäume am Rand langgestreckte Auffahrten zu den Villen hinter hohen Mauern säumen. Marla muss ihr Leben dort nicht aufgeben. Aber ihre Arbeitszeit schenkt sie den Armen an den Rändern der Stadt. Sie leitet das Gesundheitszentrum. 22 000 Menschen aus den Armenvierteln bekommen hier modernste Medizin. Umsonst.
Sr. Karoline hat in der Küche Essensreste gewärmt, füllt sie auf einen Teller. Nimmt Messer und Gabel. Dann geht sie zu Iwan, der auf der Schwelle zu ihrem Eingang kauert. Greift ihm unter die Arme. Zieht ihn hoch. Schaut ihm in die Augen. "Wie heißt Du?" fragt sie ihn. "Iwan." – "Iwan, Du bist ein Mensch. Menschen haben einen Namen und Menschen gehen auf ihren Füßen. Ihre Hände brauchen sie anders. Hier, ich habe etwas zu Essen für Dich. Setz Dich und iss wie ein Mensch isst."
Iwan lebt immer noch auf der Straße. Schnüffelt immer noch Drogen. Aber seit diesem Tag geht er wieder auf zwei Beinen.
Worte können Menschen aufrichten. Buchstäblich. Wenn sie voller Liebe gesprochen werden, tragen sie Würde selbst zu denen, die selbst ihr Würde aufgegeben haben. Wenn das nicht Ostern ist.