oder: ein Platz an der Sonne

Kinderglück

Eine tiefe, marmornere Fensterbank. Ein hohes Fenster. Ein Kissen in meinem Rücken. Ein Buch auf den Knien. Und mein Kinderglück war perfekt.

 (DR)

Als ich ein Kind war, fuhren wir in den Osterferien in ein Kloster im Spessart. Den Fensterbänken in den hohen Räumen verdanke ich die Entdeckung meines Kinderglückes.

Diese Fensterbänke waren einfach perfekt. Nicht, dass ich mich an ein wunderbares Panorama, weite Horizonte oder so erinnere. Obwohl ich noch weiß, dass das Kloster auf einem Berg lag und unten im Tal die Lahn floss. Schon. Ich weiß auch noch, dass es hohe, alte Bäume rund um das Kloster gab. Aber, was ich aus dem Fenster wirklich sehen konnte, weiß ich nicht mehr. Was mich nicht wundert.

Damals ging es mir nicht um den Blick nach draußen. Es ging vor allem um den Blick ins Buch. Lesen wollte ich immer. Gelesen habe ich immer. Buchstäblich ohne Unterlass.

Was mir, kleine Geschichte am Rande, mal ein Riesendonnerwetter einbrachte. Was war passiert? Nun, ich war aus dem Bus ausgestiegen. Aber in dem das Buch, das ich gerade las, ging es gerade so spannend zu. Da stieg ich halt aus und las gehend weiter. Wohl auch, als ich über die Straße hinter der Bushaltestelle ging. Dabei jedenfalls hatte mich meine Oma beobachtet und flugs alles meiner Mutter berichtet. Das führte dann zu dem Donnerwetter.

Lesen war also das allerallerwichtigste. Und es brauchte, ganz offensichtlich, keinen besonderen Platz dafür. Dachte ich.

Bis ich besagte Fensterbank im unserem Kinderschlafzimmer im Kloster entdeckte. Erst war mir beim Lesen auf der Marmorbank in dem ungeheizten Raum zu kalt. Aber dann stopfte ich mir einfach Kissen vom Bett in den Rücken, respektive setzte mich zur Hälfte darauf.

Und dann war - für eine lange, wunderbare Mittagspause - einfach alles perfekt. Den Dingen entrückt, um auf die Fensterbank zu gelangen musste ich einen Stuhl holen, und doch fest umrahmt, ließ ich mir die Sonne auf die Nase scheinen, seufzte tief und vergrub mich geborgen in mein Buch.

Jedes Glück hat seinen Preis: Zeit meines Lebens habe ich mich seitdem nach einem solchen Platz gesehnt.

Immerhin: diesen Text hier schreibe ich auf dem Boden meines Büros, die Zimmere cke im Rücken, den Laptop im Schoß - und mit Blick durch die bodentiefen Fenster in den gerade sonnigen Garten.