Oberstaatsanwalt erklärt Entscheidung zu Kardinal Woelki

"Nur Tatsachen entscheiden"

Keine Vorermittlungen gegen Kölns Erzbischof Woelki wegen Falschaussage, so die Kölner Staatsanwaltschaft. Die Fakten hätten nur diese Entscheidung zugelassen, erklärt Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn und weist entsprechende Kritik zurück.

Rainer Maria Kardinal Woelki / © Federico Gambarini (dpa)
Rainer Maria Kardinal Woelki / © Federico Gambarini ( dpa )

DOMRADIO.DE: Die Kölner Staatsanwaltschaft nutze nicht ihre Mittel, die sie als Vertreterin des Rechtsstaates habe, wenn es um Kirchenleute gehe. Das wirft der Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Daniel Deckers, in seinem aktuellen Kommentar der Staatsanwaltschaft Köln vor. Hintergrund ist eine Anzeige, die Kardinal Woelki Falschaussage vorgeworfen hat. Die Staatsanwaltschaft sieht aber keinen Anlass für Ermittlungen. Wir müssen den Fall zunächst vielleicht mal erklären. Da ist ein Priester, der hat mit einem Prostituierten am Bahnhof Kontakt. Wusste der Kardinal das? Diesen Priester hat er ja später dann befördert...

Ulf Willuhn (Kölner Oberstaatsanwalt): Zunächst einmal vorweg: Das Geschehen um den Priester D. und den Prostituierten im Jahr 2001 ist nicht der Fall, über den die Staatsanwaltschaft jetzt zu befinden hatte. Der Vorwurf in dem aktuell hier zu entscheidenden Fall war der der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung im Rahmen eines presserechtlichen Zivilverfahrens. Dort allerdings hat Kardinal Woelki ausdrücklich eingeräumt, zum Zeitpunkt dieser Beförderungs-Entscheidung, also zum Zeitpunkt der Entscheidung Priester D. im Jahr 2017 zu befördern, dass er zu diesem Zeitpunkt vom Vorfall mit den Prostituierten im Jahr 2001 und von weiteren Gerüchten gewusst hat. Das ist Gegenstand dieser eidesstattlichen Versicherung, und die hatten wir zu prüfen.

DOMRADIO.DE: Wusste der Kardinal dann auch, dass die Handlung des Priesters mit den Prostituierten damals strafbar waren?

Willuhn: Das können wir so womöglich gar nicht wirklich beantworten. Soweit im Rahmen des jetzigen Verfahrens bekannt geworden ist, soll es sich seinerzeit um die einvernehmliche gemeinsame Masturbation mit einem 17-jährigen Prostituierten gehandelt haben. Das war seinerzeit 2001 nicht strafbar. Das ist erst 2008 durch eine Gesetzesänderung strafbar geworden, seitdem einvernehmlicher Sex eines Volljährigen mit einem unter 18-jährigen auch strafbar geworden ist. 2001 war das noch nicht so, da war diese Schutz-Grenze erst unter 16 Jahre. Also, einvernehmlicher Sex mit 17-jährigen war damals erlaubt und nicht strafbar. Insofern ist ausgehend von dem, was wir über diesen Fall wissen, davon auszugehen, dass es seinerzeit nicht strafbar war. Ob der Kardinal das wusste oder erfahren hat, das kann ich nicht beantworten.

DOMRADIO.DE: Nun geht die Geschichte aber noch weiter. Dieser Priester ist später weiter auffällig geworden. Er habe zum Beispiel, so heißt es, mit Jugendlichen Pornos geschaut und sei mit ihnen in die Sauna gegangen. Das steht auch ausführlicher in seiner Personalakte. Kardinal Woelki sagt aber nun, er habe diese Akte nicht gekannt, und außer von diffusen Gerüchten habe er nicht gewusst, dass der Priester nachweisbar auffällig gewesen sei.

Willuhn: Da unterscheidet sich dann der Blick des Staatsanwalts wieder von dem des Journalisten. Ob Priester D. später wirklich weiter auffällig geworden ist, das weiß jedenfalls ich nicht positiv aus dem, was im Verlauf dieses Prüfungsverfahren, was Sie ja angeführt haben, bekannt geworden ist. Da wissen wir nur, dass es entsprechende Vorwürfe gegeben hat. Die sind teils anonym erhoben worden, teils betrafen sie inzwischen über 30 Jahre zurückliegende Ereignisse, die dann vom Hörensagen präsentiert worden sind. Und genau das war dann die eigentliche Frage: Ist dieser Zustand, den wir da feststellen konnten, ist der mit dem Wort Gerücht, wie ihn der Kardinal gebraucht hat in seiner eidesstattlichen Versicherung, womöglich richtig, oder, das war unsere Frage, nachweislich falsch beschrieben, weil nur dann wäre es eine falsche Versicherung an Eides statt.

Wir konnten diese Frage nicht mit Ja beantworten. Damit ist aber nicht etwa gesagt, dass wir dem Kardinal positiv bescheinigen könnten, dass er tatsächlich 2017 nur von diesem einen Vorfall aus dem Jahre 2001 und dann von weiteren Gerüchten gehört hätte. Wir haben aber nur keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Gegenteil der Fall ist. Und schon gar keine Aussage ist darüber getroffen, ob der Kardinal vor der Beförderungs-Entscheidung 2017 nicht besser in die Personalakte hätte gucken sollen. Das ist nur eine Frage, die nicht die Staatsanwaltschaft zu beantworten hat, weil sie nicht im Zusammenhang mit irgendwelchem strafbaren Handeln steht.

DOMRADIO.DE: Aber schalten wir mal gesunden Menschenverstand ein: Ist es denn realistisch, dass ein Erzbischof, der weiß, dass ein Priester mit einem Prostituierten verkehrt hat, der auch von weiteren Gerüchten hört, dass der Kardinal da nicht einmal, bevor er ihn befördert, in die Personalakte schaut, um sich zu informieren?

Willuhn: Ja, auch hier hat man als Staatsanwalt eben eine andere Brille auf. So Kategorien wie "Das kann doch gar nicht anders sein" oder "Das ist doch voll unrealistisch" sind keine tauglichen Argumente im Strafverfahren. Für uns stellte sich vielmehr nur die Frage, ob die entsprechende Behauptung Kardinal Woelkis in der eidesstattlichen Versicherung sich durch Tatsachen so sicher widerlegen lässt, dass kein vernünftiger Zweifel daran verbleibt, dass er diese Personalakte dann doch schon 2017 oder vor der Beförderung tatsächlich gelesen hat. Solche Tatsachen gibt es aber nicht bzw. sind nicht bekannt geworden.

DOMRADIO.DE: Nun wird Ihnen im Kommentar der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vorgeworfen, dass Sie nur die entlastenden Indizien geprüft haben und nicht die belastenden Indizien und dass Sie auch Zeugen hätten vorladen müssen, um sich ein eigenes Bild zu machen...

Willuhn: Eine solche Behauptung, das muss ich dann doch so deutlich sagen, ist schlicht Unsinn, weil sie die Sach- und Rechtslage, an die wir uns zu halten haben, völlig verkennt. Bevor man als Staatsanwalt mit dem Ermitteln loslegt, muss man sich immer erst mal ein eigenes Bild machen. Das geht gar nicht anders. Und dieses eigene Bild nennt sich juristisch "Anfangsverdacht". Man muss einen sogenannten Anfangsverdacht feststellen. Das heißt, es müssen tatsächliche, zureichende Anhaltspunkte, so nennt es das Gesetz, vorliegen und eben nicht nur bloße Vermutungen oder mehr oder weniger überzeugende Schlussfolgerungen, die dafür sprechen, dass jemand eine Straftat begangen hat. Erst wenn man das als Staatsanwalt feststellen kann, erst dann darf man überhaupt mit dem Ermitteln anfangen, also Zeugen vernehmen, Akten beschlagnahmen und solcherlei Dinge mehr.

Wer also den Vorwurf erhebt, wir hätten vor der Verneinung eines Anfangsverdachts erst noch Zeugen anhören oder Akten beschlagnahmen oder einsehen sollen, der hat schlicht die gesetzlichen Bedingungen für staatsanwaltschaftliches Handeln überhaupt gar nicht begriffen für das Tun, was uns das Gesetz aufgibt.

Das ist für normale Leute auch nicht so schlimm. Es ist ja auch nicht jeder Jurist und muss es ja auch nicht sein. Bevor man allerdings als renommierter Redakteur eines Leitmediums, wie es die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist, entsprechende Vorwürfe erhebt, hätte man sich womöglich informieren sollen - gerne auch bei mir. Wenn man mir die Möglichkeit gegeben hätte, dann hätte ich Herrn Deckers gerne aufgeklärt. Er hat es allerdings nicht für nötig befunden, das Gespräch mit uns zu suchen.

DOMRADIO.DE: Herr Deckers als der verantwortliche Redakteur hat Sie nicht angerufen, um sich da kundig zu machen?

Willuhn: Nein.

DOMRADIO.DE: Was hätte denn vorliegen müssen, damit ein Anfangsverdacht da ist und ein Verfahren wegen falscher Versicherung an Eides statt eingeleitet werden kann?

Ulf Willuhn, Oberstaatsanwalt

"Es hätten Tatsachen vorliegen müssen, tatsächlich Anhaltspunkte für die Annahme dafür, dass das, was Kardinal Woelki in dieser eidesstattlichen Versicherung wörtlich gesagt hat, dass das gelogen war."

Willuhn: Es hätten Tatsachen vorliegen müssen, tatsächlich Anhaltspunkte für die Annahme dafür, dass das, was Kardinal Woelki in dieser eidesstattlichen Versicherung wörtlich gesagt hat, dass das gelogen war.

Also etwa Zeugen, die eine Einsichtnahme in die Personalakten vor 2017 bestätigt hätten, irgendwelche Urkunden, die belegen würden, dass Kardinal Woelki Konkretes und nicht nur gerüchtehalber über Missbrauchstaten des Priesters D. gewusst habe, etwa Emails, Telefonate, Gesprächsnotizen, eben etwas, was beweisrechtlich das ist, was an Tatsachen anknüpfen lässt.

Nichts davon war festzustellen, sondern eben nur die Behauptung: Er hat das ganz bestimmt gewusst, er hätte es wissen müssen und es wäre eigentlich aus seiner Sicht geboten gewesen, sich die Klarheit darüber zu verschaffen. Das ersetzt aber eben keine Tatsachen, die das belegen würden.

DOMRADIO.DE: Also wenn jetzt zum Beispiel jemand an Eides statt versichert hätte, dass er mit dem Kardinal über diese Personalakte gesprochen hat und damit belegt, dass er die Personalakte auch eingesehen hat, das wäre dann so ein Beweis gewesen?

Willuhn: Ganz genau. Das wäre ein tatsächlicher Anhalt, der durch ein Beweismittel, das in der Strafprozessordnung vorgesehen ist, durch den Zeugenbeweis dann eben vorgetragen worden wäre. Dann hätte man etwas in der Hand gehabt. So etwas hatten wir aber nicht.

DOMRADIO.DE: Aber jetzt mal ganz ehrlich: Hat das nicht ein Geschmäckle, wenn die Staatsanwaltschaft in ihrer Entscheidungsbegründung nur den Anwälten von Kardinal Woelki folgt und sich kein eigenes Bild macht?

Strafrechtler Björn Gercke bei der Pressekonferenz zum Umgang des Erzbistums Köln mit sexuellem Missbrauch / © Ina Fassbender/AFP Pool (dpa)
Strafrechtler Björn Gercke bei der Pressekonferenz zum Umgang des Erzbistums Köln mit sexuellem Missbrauch / © Ina Fassbender/AFP Pool ( dpa )

Willuhn: Auch das ist leider eine unrichtige Behauptung und das ist auch ein bisschen ärgerlich, sich solchen Vorwürfen ausgesetzt zu sehen. Wir sind ja mit unserer Entscheidung nicht dem Anwalt des Kardinals gefolgt, sondern haben völlig unabhängig von dessen Vortrag entschieden.

Dass wir da zum gleichen Ergebnis gekommen sind, wie es auch der Anwalt des Kardinals für sich als Ergebnis festgestellt hat, das mag den Herrn Deckers von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung als auffällig erscheinen, es liegt aber letztlich nur daran, dass sich der Anwalt des Kardinals, Professor Gercke, über die Grundlagen dieser Erwägungen, die man anstellen muss, im Klaren ist. Das ist sein Beruf. Es hat schon seinen Grund, warum man Jura eine Weile lang studieren muss, auch wenn im Strafrecht alle immer glauben, die Dinge auch ohne Fachkenntnisse richtig einschätzen zu können.

Man muss sich hier wirklich darüber im Klaren sein, was der Anfangsverdacht ist und was überhaupt staatsanwaltschaftliches Handeln auslösen kann. Und wenn man da schlicht festzustellen hat, dass es da nichts zu gibt, dann kommt eben Professor Gercke als Anwalt des Kardinals zu diesem Ergebnis - genauso wie das der Staatsanwalt tut, der sich die Dinge anschaut. Und nur ein Journalist, der sich über die Dinge nicht wirklich im Klaren ist, kann zu einem anderen Ergebnis kommen.

DOMRADIO.DE: Daniel Deckers geht ja sogar so weit, der Staatsanwaltschaft vorzuwerfen, Kirchenleuten Sonderrechte zuzubilligen. Was sagen Sie denn dazu?

Willuhn: Das ist dann nur noch blanker Populismus. Die Staatsanwaltschaften verfolgen Angehörige des Klerus genauso wie alle anderen, aber eben auch nicht anders. Und nur weil offenbar ein Teil der am Diskurs Beteiligten zu wissen glauben, dass der Kardinal in Köln ein Schuft ist und ihm immer nur das Schlechte zuzutrauen ist, das enthebt uns als Staatsanwälte nicht von unseren Prüfungspflichten. Denen kommen wir gerade wegen der aufgeheizten Debatte sogar besonders akribisch nach, würde ich behaupten. Dass dann Herr Deckers das als Chuzpe kommentiert, belegt weniger die Fehlerhaftigkeit unserer Entscheidung als die emotionale Verstrickung des Kommentators, der dann da an objektiver Aufklärung wohl nicht mehr wirklich interessiert ist.

Das Interview führte Johannes Schröer.

Staatsanwaltschaft sieht keine Falschaussage

Der Kölner Erzbischof Kardinal Woelki muss endgültig keine Strafverfolgung wegen Falschaussage fürchten. Auch in einem zweiten bisher noch offenen Fall lehnt die Staatsanwaltschaft Köln Ermittlungen gegen den Erzbischof ab.

Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki predigt beim Pontifikalamt zur Feier der Weihe der Kölner Domkirche im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti (DR)
Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki predigt beim Pontifikalamt zur Feier der Weihe der Kölner Domkirche im Kölner Dom / © Beatrice Tomasetti ( DR )