NRW-Landtag befasst sich mit "Gewalt im Raum der Kirchen"

"Die Kirche ist kein rechtsfreier Raum"

Seit 2019 existiert die Kinderschutzkommission im Landtag von NRW. Diesen Donnerstag greift sie das Thema "Gewalt im kirchlichen Raum" auf. Welchen Spielraum hat die Politik bei Prävention und Aufarbeitung von kirchlichem Missbrauch?

NRW-Landtag / © frantic00 (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Ihre Kommission wurde 2019 ins Leben gerufen. Nun findet das erste Mal eine Anhörung zum Thema Gewalt im Raum der Kirche statt. Warum erst jetzt?

Christina Schulze-Föcking, MdL / © Ahmann & Schlieker (privat)
Christina Schulze-Föcking, MdL / © Ahmann & Schlieker ( privat )

Christina Schulze-Föcking, MdL (Stellvertretende Vorsitzende der Kinderschutzkommission NRW): Die Kinderschutzkommission im Landtag von Nordrhein-Westfalen hat sich 2019 bereits gegründet, nach den Fällen von Münster, Bergisch-Gladbach und Lügde.

Wir haben bezüglich Lügde auch einen Untersuchungsausschuss im Landtag gegründet, der sich wirklich den kompletten Fall, jede Akte anschaut. Für die Kinderschutzkommission haben wir uns erst mal einen Überblick verschafft über alle Themenfelder insgesamt, wo Kinderschutz eine Rolle spielt, also Intervention und Anschlusshilfe waren Thema, Bildung und Schule, Polizei und Justiz, um nur einige Felder zu nennen. Aber es kamen auch Themen wie Inobhutnahmen im Spannungsfeld zwischen freiwilliger Hilfe und Zwang, Jugendamtstrukturen, Präventionsstrukturen. Wir hatten die Peer to Peer-Gewalt im digitalen Kontext mit im Fokus und vieles mehr.

Christina Schulze-Föcking

"In Nordrhein-Westfalen sind wir bundesweit führend, was den Kinderschutz anbelangt."

Wir sind mit der Kinderschutzkommission wirklich tief eingetaucht und haben genau hingesehen. Diese Felder sind wichtig für den gesamten Kinderschutz, ganz egal ob im Sportverein, in Schule, Kita oder eben Kirche. Die Ergebnisse daraus sind in ganz viele Anträge und Gesetze eingeflossen. In Nordrhein-Westfalen sind wir bundesweit führend, was den Kinderschutz anbelangt.

Die Berliner haben uns schon als Avantgarde des Kinderschutzes betitelt und wir haben ja auch im vergangenen Jahr ein Kinderschutzgesetz verabschiedet. Das ist bundesweit eines der modernsten und stärksten Kinderschutzgesetze, die in Kraft getreten sind.

Ich kann nur für die Kinderschutzkommission sagen, für die Kolleginnen und Kollegen, nachdem wir diese Grundlagen ganz ordentlich aufgearbeitet haben, geht es jetzt an die spezielleren Themen in den nächsten Wochen und Monaten.

Wir haben hier vor allem geschaut, wo findet Gewalt statt und fragen uns, welche besonderen Probleme und Herausforderungen für den Kinderschutz in dem Bereich sind da. Da haben wir eben Sport, Internet, Kirche, all das.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielt denn das Kinderschutzgesetz auf Landesebene? 

Schulze-Föcking: Wir haben das Kinderschutzgesetz im vergangenen Jahr am 6. April im Parlament beschlossen und es ist direkt am 1. Mai im vergangenen Jahr auch in Kraft getreten. Dieses Gesetz werden wir kontinuierlich weiterentwickeln, denn Kinderschutz hört niemals auf. Wir haben angefangen im vergangenen Jahr vor allem mit dem Bereich Jugendamt und Kinderschutzkonzepte für Kitas und Schulen, um einen breiten Konsens hinzubekommen. Aber wir haben auch sehr deutlich gesagt, das ist ein erster Aufschlag, das ist die Grundlage, und daran arbeiten wir kontinuierlich weiter.

DOMRADIO.DE: Nun befassen Sie sich mit Gewalt im Raum der Kirchen. Wird der Bereich im NRW-Kinderschutzgesetz denn schon berücksichtigt?

Schulze-Föcking: Kirche gehört insgesamt dazu. Es geht jetzt gar nicht um ein Gesetz speziell für Kirche. Wir hatten im Übrigen auch schon eine Anhörung zum Thema Kirche im Landtag von Nordrhein-Westfalen. Was Gewalt, psychische, physische, sexualisierte Gewalt von Kindern anbelangt. Und das ist jetzt ein kontinuierliches weiter hinschauen und niemals aufhören mit dem Thema.

DOMRADIO.DE: Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Kirchen aus? Bekommen Sie da Widerstand oder Unterstützung?

Schulze-Föcking: Wir haben da überhaupt keine Scheu. Ganz im Gegenteil. Wir sind mit kirchlichen Vertretern im Austausch, aber genauso mit Betroffenen. Und das ist wahnsinnig wichtig. Der Austausch mit Betroffenen ist elementar, denn die können uns am besten sagen was wichtig ist. Das gilt nicht nur für Kirche, sondern auch für jeden anderen Bereich.

Ich habe angefangen mich mit dem Thema Kinderschutz auseinanderzusetzen, indem ich mit Betroffenen gesprochen habe. Wir alle, die das nicht erfahren haben, nicht erleben und ertragen mussten, können uns nicht ansatzweise vorstellen, wie schlimm ein solcher Missbrauch tatsächlich für die Betroffenen ist. Und deshalb war es mir ganz wichtig, dass wir eben mit Betroffenen sprechen.

Christina Schulze-Föcking

"Warum haben wir als Gesellschaft ihnen damals nicht die Hand reichen können, um sie daraus zu befreien?"

Für die Kinderschutzkommission ist klar, dass auch bei Anhörungen immer Betroffene mit vertreten sind. Aus deren Augen müssen wir versuchen in diese Thematik tiefer einzusteigen, um zu verstehen, warum wurden sie nicht gesehen, nicht gehört? Warum haben wir als Gesellschaft ihnen damals nicht die Hand reichen können, um sie daraus zu befreien? Wie können wir heute Strukturen verändern? Wo haben wir vielleicht gesetzliche Lücken, die wir schließen müssen, um das Sicherheitsnetz um unsere Kinder enger zu ziehen?

Beim Thema Kirche ist es natürlich doppelt schrecklich, weil man geglaubt hat, Kirche gibt Geborgenheit. Da ist die Gemeinschaft. Wenn man da etwas Furchtbares erlebt und diese Taten dann ans Licht kommen, ist es umso schlimmer. Da müssen wir genauer weiter hinschauen und Dinge verändern. Was in den Kirchen passiert ist, das erschüttert zutiefst.

DOMRADIO.DE: Inwiefern greifen denn Ihre gesetzlichen Regelungen im kirchlichen Bereich?

Schulze-Föcking: Die Kirche ist kein rechtsfreier Raum. Es ist gut, dass Kirche aufarbeitet. Und es ist gut, wie sie sich auf den Weg macht, und sich selber auch hinterfragt. Ich bin da mit verschiedenen Akteuren im Gespräch.

Christina Schulze-Föcking

"Kirchen unterliegen selbstverständlich ebenso den staatlichen Gesetzen, sodass gesetzliche Vorgaben auch im kirchlichen Bereich gelten."

In den Bistümern läuft der Prozess der Aufarbeitung mit den Gutachten bereits. In den meisten Bistümern läuft es wirklich sehr gut. Ich muss aber auch sagen, dass ich von Einzelnen da teilweise erschüttert bin. Aber man muss ganz klar sagen: Kirchen unterliegen selbstverständlich ebenso den staatlichen Gesetzen, sodass gesetzliche Vorgaben auch im kirchlichen Bereich gelten.

Wenn strafrechtliche Handlungen innerhalb der Kirche begangen werden, können staatliche Strafverfolgungsbehörden Ermittlungen durchführen und strafrechtliche Verfahren einleiten, um die Täter auch zur Verantwortung zu ziehen. Das wird auch so gemacht, wenn Anzeige erstattet wird.

Trotz der Trennung von Kirche und Staat können politische Institutionen Gesetze und Regulierungen erlassen, die auch religiöse Organisationen betreffen. Beispielsweise können Gesetze erlassen werden, um Kindesmissbrauch zu bekämpfen, unabhängig davon, ob die Taten in einer religiösen Institution begangen wurden oder eben nicht. Nehmen wir mal das Kinderschutzgesetz.

Nach dem Gesetz muss jeder der Angebote, nach dem Kinder- und Jugendfördergesetz in Anspruch nimmt, ein Schutzkonzept vorlegen. Für Einrichtungen und Angebote in der Kinder und Jugendhilfe gilt das Gleiche. Völlig egal, wer der Träger ist. Das ist auch absolut notwendig und selbstverständlich.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Quelle:
DR