An Nord- und Ostsee wird nicht mehr geschippt

Das Ende der Sandburgen

Noch bis in die 90er Jahre hinein verwandelten Sandburgen die Strände an Nord- und Ostsee in zerklüftete Mondlandschaften. Doch der Sandwall rund um den eigenen Strandkorb ist inzwischen kaum mehr zu sehen.

Autor/in:
Thomas Morell
 (DR)

Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Schaufel und Gießkanne genügten, dazu noch ein paar Muscheln, Steine oder Fähnchen. Der Ostsee-Strand der Hohwachter Bucht war vor 20 oder 30 Jahren nahezu flächendeckend in Sandburgen aufgeteilt. Wenn im Ruhrgebiet die Ferien begannen, so erinnert sich Strandkorbvermieter Rolf-Dieter Peters, wurde bis in den Abend hinein geschippt. "Die hatten wohl ihr Bergwerk vermisst." Als kleiner Junge sei er nach Muscheln getaucht, um sie an die Strandburg-Bauer zu verhökern. Früher hatte er zehn Schaufeln zum Verleih. "Heute hab ich noch eine - und die will auch keiner mehr."

Dabei ist der Burgenbau nur selten verboten. Auf Sylt etwa befürchtet man, dass durch Strandburgen der Sand zusätzlich abgetragen wird. In St. Peter-Ording dürfen keine tiefen Löcher gegraben werden, die die Flut dann weiter aushöhlen könnte. In Travemünde und Grömitz werden Strandburgen geduldet, das mecklenburgische Rerik beschränkt sie auf vier Meter Durchmesser. In Binz und Mönchgut auf Rügen dürfen sie nicht höher als 30 Zentimeter sein. Der Tenor der Kurverwaltungen ist einheitlich: Strandburgen sind heute selten und werden meist nur von Kindern gebaut.

Die ersten Strandburgen entstanden in der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts, nachdem das Reisen an Nord- und Ostsee nicht mehr allein das Vorrecht der Oberschicht war. Schon 1885 wurden von Sylt Postkarten verschickt, die den Strand von Westerland fest in der Hand von Burgenbauern zeigen.

Inzwischen hat die Wissenschaft die Strandburg entdeckt. In Göttingen trugen Chemiker eines Max-Planck-Instituts im vorigen Jahr Sand ins Labor und untersuchten ihn in einem Computer-Tomografen. Sie beobachteten, dass das Wasser den Sand durchsetzt, ohne die Luft aus den Zwischenräumen völlig zu verdrängen. Der innere Druck ist also unabhängig von der Wassermenge. Für die Festigkeit der Sandburg ist es somit egal, ob der Wassergehalt bei einem oder weit über zehn Prozent liegt. Geschicklichkeit sei zwar notwendig, so das Fazit der Forscher. Ein Rezeptbuch für die Sandmischung braucht es jedoch nicht.

Vielfältige Gründe
Die Gründe für den Rückgang der Strandburgen sind offenbar vielfältig. Angesichts der Weite des Meeres sollten sie einst ein Stück Sicherheit bieten. Sandburgen seien auch ein Ausdruck persönlicher Verunsicherung, erklärt die Starnberger Tourismusforscherin Ragnhild Fesenmeyer. Doch die Schutzfunktion hat heute weitgehend die Strandmuschel übernommen, deren farbige Kunststoff-Haut für alle sichtbar das eigene Territorium markiert.

Das Bedürfnis nach Abgrenzung sei heute weniger ausgeprägt als früher, vermutet schlicht Travemündes stellvertretende Kurdirektorin Heike Joswig. Auch Häuser seien ja heute nicht mehr so dicht durch Zäune und Hecken abgeschottet wie noch in den 70er Jahren.

Der "Makel des Müßiggangs"
Auch das Wohnmobil mag zum Niedergang der Sandburg beigetragen haben.
Nach den Worten des Kasseler Kulturhistorikers Harald Kimpel hatte der Bau von Strandburgen den Zweck, "anrüchigen Müßiggang" zu beseitigen. Das bloße Herumliegen im Sand gelte als Ausdruck von Faulheit. Mit dem Burgenbau habe der Meeresaufenthalt einen praktischen Sinn bekommen. Dem "Makel des Müßiggangs" werde heute mit dem Urlaub im Wohnmobil begegnet, in dem das gesamte Heim mitgenommen werde.

Möglicherweise haben auch Skulpturen-Wettbewerbe wie in Travemünde und St. Peter-Ording die Lust am Burgenbau gebremst. Wenn sogenannte Carver kunstvoll ihre Tiere, Figuren und Gebäude aus Sand schnitzen, wirkt jede noch so liebevoll gestaltete Strandburg dagegen blass. Hohwachts Strandkorbvermieter Peters sieht die Entwicklung dagegen ganz nüchtern: "Die Leute sind einfach zu bequem geworden."