Noch regiert Virginia Raggi mit dem Segen der Kirche

Roms Oberministrantin

Seit 100 Tagen hat Italiens Hauptstadt eine neue Bürgermeisterin. Angetreten war die Außenseiterin von der Fünf-Sterne-Bewegung mit einem Ziel: Rom sollte anders und besser werden. Doch der Filz ist hartnäckig.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Roms neue Bürgermeisterin Virginia Raggi / © Angelo Carconi (dpa)
Roms neue Bürgermeisterin Virginia Raggi / © Angelo Carconi ( dpa )

Pressetermin zur Restaurierung der Spanischen Treppe: Es sprechen der Kultur-Superintendent Claudio Parisi Presicce, der Assessor für Kulturförderung Luca Bergamo und der Geschäftsführer des Sponsors Bulgari, Jean-Christophe Babin, allesamt keine Hünen. Als aber Virginia Raggi ans Pult tritt, reicht ihr das Mikrofon knapp über den Scheitel. Das ist der Moment, in dem die mächtigste Frau in Rom sich mädchenhaft-kokett für ihre mangelnde Körpergröße entschuldigt und die umstehenden Männer bittet: "Aiutatemi" - Helft mir."

Hundert Tage ist es her, dass Raggi in Italiens chaotischer Hauptstadt den Job der Aufräumerin angetreten hat - einer Metropole, die einen Berg von 12 Milliarden Euro Schulden und einen unaufgearbeiteten Mafiaskandal vor sich herschiebt, in der die Müllabfuhr nicht funktioniert und die Verkehrsbetriebe ebenso marode wie bankrott sind.

Raggi und die Kirche

An Kritik und Gegenwind hat es in den vergangenen Wochen nicht gefehlt. Es ging um angeblichen Filz und Spitzengehälter, fehlende Durchsetzungskraft und die Absage der Olympia-Bewerbung. Innerhalb ihrer Fünf-Sterne-Bewegung und auf dem Kapitol konnte sich Raggi zuletzt gerade so behaupten. Merkwürdig unbestimmt bleibt dabei ihr Verhältnis zu einer anderen Macht, die trotz aller Wechselfälle noch immer ihr Wörtchen in Rom mitredet: der katholischen Kirche.

Über die private religiöse Orientierung Raggis ist wenig bekannt. Ihr Büro will sich zu dem Thema nicht äußern. Indessen wurde aufmerksam vermerkt, dass ihr erster offizieller Besuch mit der grün-weiß-roten Bürgermeisterschärpe in die Lateran-Universität führte - exterritoriales Gelände des Vatikan.

In der Wahlkampagne hatte sich Raggi dafür starkgemacht, die Kirche solle die übliche Immobiliensteuer zahlen. Roms Kardinalvikar Agostino Vallini entgegnete damals trocken, das sei erstens bei kommerziell genutzten Gebäuden schon der Fall, und zweitens werde der neue Bürgermeister hoffentlich die geltenden Verträge zwischen Kirche und Staat respektieren.

Arbeitsaufträge vom Papst

Raggi hatte Gelegenheit, mit Papst Franziskus persönlich darüber zu sprechen - bei ihrem Antrittsbesuch am 1. Juli. "Es war eine gute Begegnung. Wir haben uns unterhalten, er hat sehr viel menschlichen Tiefgang", sagte Raggi anschließend. Details der 20-minütigen Begegnung behielten die beiden für sich. Dabei hat auch Franziskus eine Aufgabenliste für das weltliche Regiment: Jugendarbeitslosigkeit, Korruption, Gemeinwohl.

"Wenn 40 Prozent der Jungen bis 25 Jahre keine Arbeit haben, welche Hoffnung können sie haben - hier in Rom?", fragte der Papst beim Diözesankongress im Juni, wenige Tage vor Raggis Amtsantritt. Zuvor mahnte er im Mai den kommissarischen Verwalter Francesco Paolo Tronca, es gelte Legalität und Solidarität zu verbinden. Am Silvesterabend 2014 im Petersdom gab es fast einen Affront: Franziskus geißelte aktuelle Korruptionsfälle und rief nach einer "ernsten und bewussten Bekehrung". Währenddessen saß Raggis glückloser Vorgänger Ignazio Marino in der ersten Reihe.

Die Kirche auf Konfrontationskurs?

Raggi muss klar sein, dass es auch sie treffen kann. Italienische Medien witterten eine erste Attacke aus dem Vatikan, als die Papst-Zeitung "Osservatore Romano" Mitte September schrieb, die Stadt befinde sich "im Zustand der Verwahrlosung". Praktisch zeitgleich meinte Kardinalvikar Vallini, Raggis Team habe wohl noch nicht Tritt gefasst, und Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin wurde mit dem Wunsch zitiert, "die Stadtverwaltung möge sich an die Arbeit machen".

Raggi blieb einem Großtreffen katholischer Laien von der Azione Cattolica fern, was Medien wiederum als Retourkutsche deuteten. Wenig deeskalierend der Kommentar des Generalsekretärs der Italienischen Bischofskonferenz, Bischof Nunzio Galantino: "Leidgetan hätte es mir, wenn die Jugendlichen nicht gekommen wären."

Aber die Kirchenhierarchie scheint nicht wirklich auf einen Konflikt aus zu sein. Kardinalvikar Vallini, mit seinen 76 Jahren genau doppelt so alt wie Raggi, wies darauf hin, Roms Probleme seien komplex und existierten nicht erst seit gestern. Sie zu lösen, brauche "Zeit, Kompetenz, Erfahrung, Ideen und moralische Aufrichtigkeit", so der Geistliche in seiner väterlich-begütigenden Art. Raggi darf weitermachen.


Quelle:
KNA