Caritas zur Idee der Grundrente

Noch kein "Heilsbringer"?

Nach Plänen von Arbeitsminister Heil sollen Geringverdiener, die lange gearbeitet haben, automatisch höhere Renten bekommen. Unionspolitikern gehen die Vorschläge zu weit. Die Caritas zieht gute Ansätze, aber auch Generationengerechtigkeitsprobleme.

Eine Rentnerin hält ein paar Münzen in der Hand / © Felix Kästle (dpa)
Eine Rentnerin hält ein paar Münzen in der Hand / © Felix Kästle ( dpa )

DOMRADIO.DE: Pläne von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sehen vor, dass Millionen Geringverdiener nach einem langen Arbeitsleben automatisch höhere Renten bekommen sollen. Kleine Renten sollen um bis zu 447 Euro im Monat aufgestockt werden. Zustehen soll die Grundrente all jenen, die mindestens 35 Jahre mit Beitragszahlung, Kindererziehung oder Pflegetätigkeit aufweisen. Drei bis vier Millionen jetzige und künftige Rentner sollen profitieren. Kritik daran kommt aus Reihen der Union. Sind Sie froh über diese Debatte?

Dr. Frank Johannes Hensel (Kölner Diözesan-Caritasdirektor): Im Grunde ja, denn das Thema, ob man für eine Lebensleistung belohnt wird, auf welches Niveau man im Alter herunterfällt und ob einem die Armut droht, ist sehr präsent und nicht nur herbeigedacht, sondern real. Darum ist es gut, wenn darüber diskutiert wird.

DOMRADIO.DE: Was ist denn mit der Idee, dass alle, die 35 Jahre und mehr gearbeitet haben, 900 Euro Rente bekommen sollen?

Hensel: Es ist eine gesellschaftliche Entscheidung, zu sagen, dass 35 Jahre reichen müssen. Wenn jemand es in dieser Zeit immer geschafft hat, regelmäßig etwas einzuzahlen, wollen wir ihm das in einer Weise belohnen, die über die Grundsicherung im Alter hinausgeht. Hier kommen wir auch zum wirklich großen Problem in der Diskussion. Denn im Grunde werden zwei Systeme vermischt.

Grundsicherung ist eine Existenzabsicherung wie jedes Sozialgeld, die nichts mit einer Versicherungsleistung zu tun hat und die nichts mit den Einzahlungen zu tun hat. Es ist also ein steuerliches Solidargeld.

Das andere ist die Rente. Sie ist eine echte Versicherungsleistung, bei der man nicht bedürfnisabhängig bemessen wird, sondern an den Einzahlungen bemessen wird. Diese beiden Systeme sind ja schon im Wort vermischt und das macht die Diskussion darüber so schwer.

DOMRADIO.DE: Es wird auch kritisiert, dass bei reichen Leuten die Vermögenswerte der Rentnerinnen und Rentner nicht angerechnet werden sollen. Es soll einfach jeder das Geld bekommen, egal wie viel man hat oder nicht hat. Wie lässt sich so eine Sache als gerecht nachvollziehen?

Hensel: Ich versuche es noch einmal mit dieser gedanklichen Trennung. Eine Grundsicherung ist bedarfsabhängig. Da muss ein Bedarf nachgewiesen sein, weil das ja eine steuerliche Solidarleistung ist. Wenn man also einen Sockel in einem Alter zahlen will, zu dem man sagt, jetzt sei die Rentengrenze erreicht und es sind nicht genug Beiträge zusammengekommen - auch keine 35 Jahre -, dann kriegt man nur diese Solidarleistung aus Steuermitteln. Alles andere ist dann wiederum keine bedarfsabhängige Sache.

Wenn es gelungen ist, solange einzuzahlen oder auch so viele Beiträge zu entrichten, dass man einen Rentenanspruch hat, dann kann man auch nicht sagen: "Nur weil Du eine reiche Witwe bist, steht Dir das nicht mehr zu." Vielmehr hat man sich das auch als Versicherungsleistung mit seinen Beiträgen erarbeitet.

DOMRADIO.DE: Bundesarbeitsminister Heil meint, mit 20 Euro mehr Rente pro Mensch wäre es nicht getan. Was wäre ein wirklich großer Wurf in Ihren Augen in Sachen Rentenreform, um Altersarmut zu verhindern?

Hensel: Ich würde von der jetzigen Systematik gar nicht mal so ganz grundsätzlich abweichen. Eine höhere Grundsicherung im Alter ist sicher richtig. Genauso wie der Regelsatz zu gering ist, ist auch diese Grundsicherung im Alter zu gering. Ein höheres anrechnungsfreies Vermögen für Rentner wäre gut. Sonst würde einem etwas, was man im Leben zusammengebracht hat, so sehr hinten wieder abgezogen werden, dass das auch als sehr ungerecht zu empfinden ist.

Bei dem, was man dann als Solidarleistung bekommt, muss auch das Haushaltseinkommen eine Rolle spielen. Hat man ein Einkommen aus dem Zusammenleben mit dem Partner? Das ist ja bei jeder sozialen Hilfe so. So würde es sozusagen nicht immer noch obendrauf kommen, wenn schon ganz viele Möglichkeiten da sind, dazu anrechnungsfähige Pflegezeiten oder Familienzeiten. Und dass jeder Beitrag zählt, den man in seinem Leben geleistet hat. Das ist im Moment nicht so und das wird auch zu Recht als ungerecht empfunden.

Wenn man sehr gering verdient, in diesen 450 Euro Jobs arbeitet, dann erwirbt man damit keinen vernünftigen Rentenanspruch. Das muss so nicht sein. Jeder Euro, der verdient ist, sollte auch zu einem Rentenanspruch beitragen.

DOMRADIO.DE: Wenn dieser Vorschlag, der jetzt auf dem Tisch liegt, von Ihnen ausgefeilt werden sollte, was fehlt dann noch?

Hensel: Es fehlt eigentlich die Bedarfsnähe, die da noch hineingebracht werden muss. Es dürfen nicht alle auf eine Art Almosen angewiesen sein und nicht alle in die Bedürftigkeitsrichtung geschoben werden. Ich glaube auch, dass wir hier mit einem gewissen Streuschuss Probleme mit der Generationengerechtigkeit bekommen, weil sehr viele davon profitieren könnten. Mich würde es freuen, weil viele Frauen, die wenig verdient haben, etwas davon bekommen. Aber insgesamt ist dieses Thema "bessere Bedürftigkeit" da drin, damit man nicht alle Ungleichen gleich behandelt, noch auszufeilen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Dr. Frank Johannes Hensel / © Caritas, Erzbistum Köln
Dr. Frank Johannes Hensel / © Caritas, Erzbistum Köln
Quelle:
DR
Mehr zum Thema