Nigerias Bevölkerung wächst rasant - auf Kosten der Bildung

Afrikas Riese ohne Schulabschluss

Vier Jahre lang hat Nigeria noch Zeit, um die Millenniums-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu erreichen. Das Land hat sich verpflichtet bis 2015 eine flächendeckende Grundschulausbildung sicherzustellen. Doch die Prognosen dafür sind düster.

Autor/in:
Katrin Gänsler
 (DR)

Sie flitzen durch die Straßen von Lagos und haben einen Schwamm und eine kleine Flasche mit Spülmittel in der Hand. Jedem Autofahrer sind die kleinen Jungen, die unaufgefordert und blitzschnell die Scheiben putzen und dafür ein paar Naira verlangen, ein Graus. Ähnlich unbeliebt sind jene kleinen Bettler im muslimisch geprägten Norden: An Ampeln, Straßenrändern und auf Busbahnhöfen stehen sie in zerrissenen T-Shirts, haben verdreckte Plastikschüsseln in der Hand und verlangen etwas Geld und Essen. Und all das zur besten Vormittagszeit - eigentlich sollten sie in der Schule sein.



Besonders alarmierend in Nigeria ist: Angeblich bis zu zwölf Millionen Kinder gehen nicht zur Schule. Sorge bereiten aber auch die explosionsartige Bevölkerungsentwicklung und der Widerstand gegen jede Form der Familienplanung.



Vier Millionen Mädchen gehen nicht zur Schule

Auch die Mitglieder von SERAP (Socio-Economic Rights and Accountability Project), dem nichtstaatlichen Projekt für sozio-ökonomische Rechte und Verantwortung mit Sitz in Lagos, kennen das Problem. "Unseren Informationen zufolge sind 12 Millionen Kinder nicht in der Schule und ziehen stattdessen durch die Straßen", sagt Adetokunbo Mumuni, Direktor der Organisation. Deshalb fordert er nun alle Nigerianer auf, Präsident Goodluck Jonathan via Facebook mit Nachrichten zu bombardieren und sich für eine kostenfreie Grundbildung einzusetzen. Bislang allerdings ohne Erfolg. Obwohl Jonathan regelmäßig auf dem sozialen Netzwerk die gut 623.000 Anhänger über politische Ideen informiert, hat er sich zur SERAP-Forderung noch nicht geäußert.



Allerdings scheint sich nun Familienministerin Hajia Zainab Maina des Problems anzunehmen: Die Politikerin, der große Führungsstärke nachgesagt wird, tourt derzeit durchs Land und wirbt für bessere Bildungsbedingungen - vor allem für Mädchen. Die schlechte Statistik kann auch sie nicht verschweigen. Gerade erst musste sie bekanntgeben, dass allein rund vier Millionen Mädchen nicht zur Schule gehen.



Das Ziel, bis 2015 allen Kindern eine Grundschulausbildung zu ermöglichen, könnte auch am Bevölkerungswachstum scheitern. Nigeria ist mit rund 150 Millionen Menschen schon heute das einwohnerstärkste Land Afrikas. Doch bis zum Ende des Jahrhunderts könnten es bis zu 730 Millionen werden, schätzen die Vereinten Nationen. Nigeria würde damit hinter China und Indien auf Platz drei der Einwohnerstatistik liegen.



Ein wenig Hoffnung bleibt

Ahmed Haruna kann über all diese Diskussionen nur lächeln. Er ist Muslim und lebt mit seiner Familie im Bundesstaat Kano. Er hat zwei Frauen, 13 Kinder und schließt eine dritte Ehe nicht aus. "Selbstverständlich gehen meine Kinder zur Schule", sagt er mit einem Ton der Befremdung. "Zumindest die Jungs und fast alle Mädchen." Seine Lebensweise sei die eines guten Muslims, so Haruna. Der Islam wolle schließlich eine große Familie.



Laut Ismaila Zango, Soziologe an der Bayero University in Kano, haben die allermeisten Menschen im Norden des Landes noch einen weiteren Grund, große Familien zu gründen. "Kinder werden als Arbeitskräfte auf den Farmen und als Verkäufer geschätzt." Deshalb gibt er Maßnahmen zur Familienplanung kaum Chancen. Versuche hätte es zwar immer wieder gegeben, etwa 1998, als die Regierung die Richtlinie ausgab, jede Frau solle maximal vier Kinder zur Welt bringen. "Im Schnitt liegen wir aber immer noch bei 5,7 Kindern. Anders als in China findet bei uns weder Aufklärung noch staatlicher Druck statt", so der Soziologe.



Ein wenig Hoffnung bleibt ihm trotzdem. Mittlerweile würden sogar religiöse Oberhäupter die Bevölkerungsexplosion thematisieren und auf Probleme wie fehlende Bildung und Arbeitsplätze aufmerksam machen. Doch für das Erreichen der Millenniums-Ziele in vier Jahren ist das wohl längst zu spät.