Niebel hält am Einsatz deutscher Helfer in Afghanistan fest

"Wir können es verantworten"

Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel will trotz der am Wochenende getöteten Soldaten die deutschen Zivilhelfer nicht aus Afghanistan abziehen. Die Entwicklungserfolge vor Ort seien groß. Über die Freigabe der zweiten Hälfte der Hilfsmittel 2011 will der FDP-Politiker im Sommer entscheiden.

 (DR)

dapd: Am Wochenende sind wieder Bundeswehrsoldaten in Nordafghanistan getötet worden. Kann die Bundesregierung es verantworten, dort deutsche Zivilhelfer einzusetzen?

Niebel: Ja, wir können es verantworten, zivile Helfer dort hinzuschicken. Die Entwicklungserfolge in Afghanistan sind groß, auch dank unseres Ansatzes der vernetzten Sicherheit, bei dem sich militärisches Engagement und ziviler Wiederaufbau ergänzen und gegenseitig verstärken. Denn die Bundeswehr schafft die Rahmenbedingungen, damit ziviles Engagement funktionieren kann. Deshalb ist Vernetzung so wichtig. Bundeswehr und Polizeiausbilder verfolgen in Nordafghanistan das Ziel, die Verantwortung für die Sicherheit an die afghanischen Kräfte zu übergeben. Unser Ziel mit unseren Aufbauhelfern richtet sich auf die Zivilgesellschaft und die Regierungsfähigkeit der afghanischen Autoritäten. Und das können wir leisten.



dapd: Müssen dazu die zivilen Helfer in die Strukturen der Bundeswehr vor Ort "eingebettet" werden?

Niebel: Nein, es wird keine "embedded Entwicklungshelfer" geben. Es gibt im Rahmen unseres Ansatzes der vernetzten Sicherheit eine abgestimmte Kooperation. Es geht mir dabei nicht um eine Unterordnung des zivilen Aufbaus unter das militärische Engagement, wohl aber um gegenseitige Abstimmung und Ergänzung. Wir wollen in Zukunft noch enger zusammenarbeiten, um die Lebensbedingungen der afghanischen Bürgerinnen und Bürger möglichst schnell zu verbessern und dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen. Das Primat der Politik gilt auch in Afghanistan.



dapd: Gibt es Konflikte bei dieser vernetzen Sicherheit, dem Zusammenwirken von Soldaten und Zivilhelfern?

Niebel: Tagtäglich sind sie ja nicht zusammen - ausgenommen meine Ministeriumsmitarbeiter, die in den Aufbauteams in den Provinzen, den PRTs, tätig sind und regelmäßig den Austausch pflegen. Aber es gibt bei allen Kooperationen von Menschen, egal in welchen Institutionen sie tätig sind, immer auch Konflikte. Aber es ist nicht so, dass es in Afghanistan ein Gegeneinander geben würde. Die Steuerzahler haben ein Recht darauf, dass die öffentlichen Stellen der Bundesrepublik mit den öffentlichen Mitteln der Bürger aus Deutschland das gleiche gemeinsame Ziel erreichen.



dapd: Afghanistan hat erst 133 Millionen Euro und damit nur etwa die Hälfte der für 2011 zugesagten Entwicklungsmittel aus Deutschland bekommen. Die zweite Tranche gibt es nur bei Fortschritten in afghanischer Regierungsführung und Zusammenarbeit. Wann ist es so weit?

Niebel: Wir haben eine Überprüfung im Sommer vereinbart. Soweit sind wir noch nicht. Und wir haben nachprüfbare Ziele vereinbart, die erreicht sein müssen, damit das Geld freigegeben werden kann. Wenn sie nicht erreicht sind, dann müssen wir nachverhandeln und klären, was noch zu tun ist, damit die zweite Tranche freigegeben werden kann.



dapd: Im Nachbarland von Afghanistan, in Pakistan, wurde Al-Kaida-Chef Osama bin Laden entdeckt und getötet. Hat dieser Vorfall Auswirkungen auf die deutschen Hilfsangebote für Pakistan?

Niebel: Ich weiß nicht, ob Osama bin Laden von pakistanischen Behörden geduldet wurde oder nicht. Ich weiß nur, dass die pakistanische Regierung ein großes eigenen Interesse daran hat aufzuklären, ob er Unterstützer hatte und wenn ja, welche. Das ändert aber nichts daran, dass wir unsere Zusammenarbeit weiter fortsetzen. Denn sie stützt nicht die Regierungsstellen, sondern verbessert die Lebensbedingung der Menschen. Insbesondere trägt sie dazu bei, dass Extremisten keinen Nährboden finden beziehungsweise er ihnen entzogen wird.



dapd: Wie kann die deutsche Entwicklungszusammenarbeit dabei helfen?

Niebel: Wir engagieren uns sehr im Bereich der Energieversorgung, insbesondere bei erneuerbaren Energien. Aber auch bei der Frage, wie man ein Tarifsystem aufbauen kann, das einerseits von der Bevölkerung akzeptiert wird und andererseits doch so ausgestaltet ist, dass private Investoren das notwendige Geld ausgeben, um die Infrastrukturvorhaben für die Zukunft auch sicherzustellen. Das ist etwas, was unmittelbar den Menschen dient.



dapd: Und wie profitieren die Menschen in Pakistan von diesen Strukturen?

Niebel: Der Ausfall von Energieversorgung zehn bis zwölf Stunden pro Tag ist für keinen Industriebetrieb tragbar. Es schadet der Arbeitsplatzschaffung. Ohne Arbeitsplätze keine Einkünfte, und ohne Einkünfte keine Armutsbekämpfung. Das heißt also, eine Maßnahme, die ausdrücklich den Menschen im Lande hilft.



dapd: Staaten in Nordafrika und andere arabische Länder wie Jemen und Syrien sind im Umbruch. Wird die Bundesregierung deshalb ihr Engagement in Afghanistan und Pakistan verringern?

Niebel: Wir werden nicht zulasten des einen bei dem anderen aufstocken. Sondern wir werden mit zusätzlichem Engagement in Nordafrika tätig sein. Wir haben jetzt schon drei große Fonds aufgelegt mit einem Volumen von etwa 35 Millionen Euro als Sofortmaßnahme. Das Geld wird für Demokratisierung, Bildung - vor allem berufliche Bildung - und wirtschaftliche Entwicklung eingesetzt. In den kommenden zwei Jahren werden noch weitere 100 Millionen Euro folgen, über den Etat des Auswärtigen Amtes, gemeinsam mit uns. Und die Bundeskanzlerin hat jetzt gerade beim G-8-Gipfel in Deauville eine Schuldenumwandlung zugesagt von 300 Millionen Euro für die nächsten vier Jahre, zum Zwecke der besseren beruflichen Bildung, zum Schaffen von Arbeitsplätzen und zur Unterstützung auch von universitärer Kooperation.



dapd: Sind damit Bedingungen verbunden? Ist die Konditionierung von Entwicklungsmitteln überhaupt ein Thema?

Niebel: Konditionierung ist auf jeden Fall ein Thema. Das zeigt auch das Beispiel Afghanistan. Das ist eine Konditionierung, die mit unseren Partnern vereinbart ist: Wir sagen im Rahmen dessen, was wir als Entwicklungsmaßnahmen planen, unter welchen Voraussetzungen wir bereit und in der Lage sind, unterstützend tätig zu werden.



dapd: Gilt das auch für die Zusagen von Bundeskanzlerin Angela Merkel?

Niebel: Das Angebot der Schuldenumwandlung ist nicht mit einer Konditionierung verbunden. Aber die jeweilige Partnerregierung muss zustimmen, dass Schulden zwar nicht zurückgezahlt werden müssen, das Geld aber in die Maßnahmen investiert werden muss, die wir zum Zwecke von beruflicher Ausbildung und Arbeitsplatzschaffung gemeinsam vereinbaren werden. Das heißt also, es ist eine Kooperation.