Migrationsforscher Wolff: Mauern halten Zuwanderer nicht auf

"Nicht rechtskonform und ineffektiv"

Tausende Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten begeben sich in Lebensgefahr, um nach Europa zu kommen. Die Aufnahme von Menschen in Not ist hier aber längst keine Selbstverständlichkeit mehr.

Autor/in:
Johannes Schönwälder
Migranten an der US-Grenze / © David Maung/CNS photo (KNA)
Migranten an der US-Grenze / © David Maung/CNS photo ( KNA )

KNA: Herr Wolff, aus Furcht vor einer neuen Flüchtlingswelle setzen viele Europäer auf eine starke Außengrenze der EU. In den USA drängt Präsident Trump gar auf den Bau einer Mauer zu Mexiko. Sie halten das für keine gute Idee?

Frank Wolff (Historiker und Migrationsforscher): Starke Außengrenzen oder Mauern wie die an der Grenze der USA zu Mexiko sind eigentlich nur der verzweifelte und vergebliche Versuch, ein sehr komplexes Problem zu lösen. Sie geben sich stark, sind aber ein Ausdruck von Schwäche. Aus der Geschichte wissen wir, dass solche Grenzen nicht menschenrechtskonform umsetzbar und überdies ineffektiv sind.

Um eine dauerhafte Wirkung zu haben, benötigen sie Gewalt und Waffen und immer weiter ausgreifende Menschenrechtsverletzungen im Hinterland, wie wir einst an der DDR und heute noch in Nordkorea und immer mehr auch in den USA sehen. Europa steht hier in der Tat an einem Scheideweg in Bezug auf seine Grundregeln.

KNA: Mauern sind also keine Lösung für Migration?

Wolff: Mauern simulieren lediglich, dass es eine dauerhafte Lösung gibt. Migration kann man aber nicht lösen, sondern man muss mit ihr umgehen. Es braucht dazu flexible Systeme in einer immer komplexeren Welt. Auch wird kein Staat Mauern auf Dauer unterhalten können, wie das Beispiel DDR zeigt. Die SED benötigte am Ende einen umfassenden Repressionsapparat, um das zu schützen, was sie schützen sollte.

Ungarn hat vor 30 Jahren den Grenzzaun aus Kostengründen aufgegeben. Das zeigt, dass ganze Gesellschaften auf den Schutz einer solchen Grenze ausgerichtet werden müssten. Das ist keine Option.

KNA: Donald Trump vergleicht die von ihm geplante Mauer an der Grenze Mexikos mit der Mauer im Vatikan. Was sagen Sie denn dazu?

Wolff: Da folgt er dem, was ich in Diskussionen öfter höre. Manche Menschen wünschen sich so etwas wie Burg- oder Stadtmauern von früher zurück - einfache Lösungen eben. Sie vergessen aber, dass diese nur in ihrer Zeit funktioniert haben und dass es dabei eigentlich nie um Migration ging.

Die Idee, sich einzumauern, setzte umgebendes Land voraus, als Wirtschaftsraum und als Pufferzone. Heutige Nationalstaaten aber haben kein Umland, sondern grenzen direkt aneinander. Hier die Grenzen wieder hochzuziehen, schafft Konfliktpotenzial.

KNA: Sie haben geschichtliche Vorbilder von Mauer-Projekten erforscht. Was haben sie bewirkt?

Wolff: Die damalige deutsch-deutsche Grenze ist ein herausragendes Beispiel, ein anderes ist Nordkorea. Der Unterschied zwischen beiden Projekten ist der: Die DDR wollte auf internationaler Ebene mitspielen. Dazu musste sie sich internationalem Recht anpassen und eben auch die Menschenrechte akzeptieren.

Daran wurde sie gemessen und dies forderte die Bevölkerung zunehmend ein. Das hat schließlich die Mauer durchlöchert und zur friedlichen Revolution geführt. Nordkorea dagegen hat mit Ausnahme weniger gewogener Staaten keinerlei Austausch mit der Welt. Es sucht ausschließlich militärische Anerkennung. Das ist der Preis, wenn man sich einmauert.

KNA: Wie lassen sich denn Grenzen schützen?

Wolff: Schon die Idee, Grenzen zu schützen, zäumt das Pferd von hinten auf. Ursprünglich sollen ja Grenzen Gesellschaften oder Länder schützen und diese davor bewahren, dass ein Nachbar sich ein Stück vom Territorium abzwackt. Zunehmend müssen sich dann aber Länder darauf ausrichten, die Grenzen zu schützen. Die Grenze gibt also immer mehr vor, wie die Gesellschaft strukturiert ist, wie ernst ein Staat die Menschenrechte nimmt.

Durch die Rede vom Grenzschutz rücken Migranten in die Rolle, in der früher das Militär des anderen Staates war, also in die des Grenzen angreifenden Feindes. Im Begriff des Schutzes steckt also schon der Gedanke, Migration und Flucht nicht als humanitäre oder wirtschaftliche Themen anzugehen, sondern als Bedrohung zu sehen.

KNA: Wo können denn Staatenlenker ansetzen, um Migration zu lenken oder ganz zu verhindern?

Wolff: Zum einen braucht es eine aktivere Steuerung durch ein Einwanderungsgesetz. Aus Afrika etwa nach Deutschland zu kommen, ist derzeit nur über eine Flucht möglich. Wenn wir Menschen nur Flucht anbieten, wählen sie auch die Flucht. Für Menschen, die hier arbeiten wollen, sollte es deshalb klare Regeln der legalen Einwanderung geben.

Daneben brauchen wir eine stärkere Unterstützung des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen. Der große Flüchtlingszustrom 2015 war ein Effekt seiner Unterfinanzierung. Wegen fehlender Mittel waren die Flüchtlingslager in den Nachbarstaaten Syriens unterversorgt, was dann eine Weiterwanderung der Menschen nach Europa zur Folge hatte.

KNA: Unterstützung vor Ort würde die Weiterwanderung verhindern?

Wolff: Wenn wir uns die Statistiken ansehen, ist Europa kein Hauptaufnahmeort für Flüchtlinge. Das sind viel mehr die Nachbarstaaten der Krisengebiete - vor allem auf dem afrikanischen Kontinent und im Nahen Osten. Ihnen mehr zu helfen, wäre das beste Verfahren, um Flüchtlinge zu unterstützen.

Die wollen in ihrer Mehrheit nicht ins fremde Europa oder sich nicht auf dem Mittelmeer in Lebensgefahr begeben. Die meisten würden am liebsten wieder in ihr Heimatland zurückgehen, wenn dieses befriedet ist.

KNA: Wer nach Deutschland gekommen ist, muss integriert werden. War das «Wir schaffen das» der Kanzlerin von 2015 zu ambitioniert?

Wolff: Zuerst muss man noch einmal festhalten, dass sich bis heute Hunderttausende für Flüchtlinge engagieren und dass viele Kommunen sich sehr ins Zeug legen. So wird Integration möglich, auch wenn sie mehr Dauerlauf als Sprint ist. Aber unsere heutigen Gesetze und Regeln machen das nicht leichter.

Europa schottet sich immer mehr ab mit zunehmenden menschenrechtlichen Kosten. Auch in Deutschland ist die aktuelle Gesetzgebung dazu deutlich restriktiver als 2015. Meldungen über Abschiebungen gut Integrierter häufen sich, die Aufnahme als Flüchtling wird systematisch erschwert, selbst wie - auch immer genannte - Lager werden salonfähig.

Und wir haben den Familiennachzug erschwert. Das alles sind Integrationshindernisse. Notwendig sind differenzierte Ansätze auch im Sinne der Betroffenen und nicht vermeintlich große Lösungen wie Mauern.


Quelle:
KNA