Was hinter dem Gedenktag der katholischen Kirche für Missbrauchsopfer steckt

"Nicht an den Opfern vorbei Vergebung von Gott erbitten"

Der kommende Sonntag wird erstmals in der katholischen Kirche Deutschlands als Gedenktag für die Opfer sexuellen Missbrauchs begangen. Warum dieses Datum? Und was soll der Gedenktag bewirken? Bischof Stephan Ackermann mit den Antworten.

Deutsche Bischöfe im Gebet / © Frank Rumpenhorst (dpa)
Deutsche Bischöfe im Gebet / © Frank Rumpenhorst ( dpa )

DOMRADIO.DE: Am kommenden Sonntag wird der Gedenktag für Missbrauchsopfer in der katholischen Kirche in Deutschland begangen. Was wird da konkret passieren?

Bischof Dr. Stephan Ackermann (Bischof von Trier und Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz): Der Papst hat gewünscht, dass alle Bischofskonferenzen im Laufe des Jahres einen solchen Tag vorsehen. Wir haben uns dazu entschieden, dies mit dem Europäischen Tag des Kinderschutzes zu verbinden. Damit wird deutlich, dass es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem ist und nicht bloß ein kirchliches. Die Betroffenen sollen einen Raum des öffentlichen Gebetes bekommen und im Gottesdienst einen Platz haben. Wir verschweigen das dort nicht. Ich glaube, das ist ein starkes Signal.

Und natürlich geht es immer wieder darum, durch das Gebet für das Thema zu sensibilisieren. Solche Gedenk- und Gebetstage sind ein Mittel, dass das Thema nicht wieder wegrutscht.

DOMRADIO.DE: Es ist ein Thema, das uns seit langem begleitet. Im Jahr 2010 sind diesbezüglich viele Taten an die Öffentlichkeit gekommen. Seitdem sind Sie Beauftragter bei der Deutschen Bischofskonferenz für das Thema. Im September diesen Jahres ist die Studie "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz" rausgekommen. Warum hat es so lange gedauert, bis es tatsächlich dazu kommt, dass es diesbezüglich einen Gedenktag gibt. Muss es erst die Bitte von Papst Franziskus geben?

Ackermann: Es gab in den letzten Jahren immer wieder verschiedene Gottesdienste, auch die Anregungen, im Fürbittgebet der Betroffenen zu gedenken, für sie zu beten. Das ist nicht etwas, das völlig neu wäre. Nur diese gebündelte Form ist neu. Ich sage auch ganz ehrlich, dass es in den letzten Jahren Zeit bedurft hat, eine Sensibilität zu erarbeiten, wie sich das in einer guten Weise vollziehen kann. Sodass wir etwa nicht an den Opfern vorbei Vergebung von Gott erbitten.

Ich weiß, dass Betroffene da sehr sensibel sind, wenn in den Gebeten auch die Kirche darum bittet, dass Schuld vergeben wird. Denn die Betroffenen fragen natürlich, wer diejenigen sind, die vergeben – das sind doch wir. Also muss auch die Gebetssprache eine hohe Sensibilität haben und da haben wir in den letzten Jahren dazugelernt. Deswegen geben wir jetzt für diesen Gebetstag Anregungen für eine sensible Sprache. Denn beim besten Willen kann man auch Dinge falsch machen und da braucht es Fingerspitzengefühl.

DOMRADIO.DE: Jetzt sagen die Betroffenen selber, Gebete, sensible Sprache, alles schön und gut, was es aber vielmehr braucht, sind Hilfe und konkrete Entschädigung. Das sagt zum Beispiel der Sprecher des Vereins "Eckiger Tisch" Matthias Katsch. Was erwidern Sie?

Ackermann: Man kann das nicht gegeneinander ausspielen. Das ist vollkommen klar. Ich verstehe auch, dass die Betroffenen, aber natürlich auch die Öffentlichkeit, Menschen in der Kirche, in der Gesellschaft, sagen, Worte allein reichen nicht, es braucht Taten. Ich will auch ehrlich sagen, aus meiner Perspektive haben wir in den letzten acht Jahren wirklich sehr viel in dem Bereich unternommen. Auch wenn durch die Studie, die ja auf sieben Jahrzehnte und noch länger zurückschaut, der Eindruck vermittelt wird, dass es jetzt wieder ganz neue Erkenntnisse wären, gibt es eine ganze Menge von Elementen zur Aufarbeitung und Prävention, die wir implementiert haben.

Aber es geht darum, das noch weiter zu stärken und nicht nachzulassen. Und da spricht das Gebet nochmal eine andere Dimensionen an. Denn man kommt oft an Grenzen – Betroffene kommen an Grenzen, Verantwortliche heute kommen an Grenzen, etwa wenn es um die Frage von Heilung von Versöhnung geht. Und das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt, der in den Raum des Gebets hineingenommen werden muss: Darum zu bitten, dass den Betroffenen auch da Gerechtigkeit widerfährt, wo wir an Grenzen stoßen, wo ich Ihnen vielleicht in dem Sinne keine Gerechtigkeit mehr widerfahren lassen kann, wie es eigentlich nötig wäre. Und dann geht es im Gebet darum, zu bitten, dass Gott, der Schöpfer, der Vater aller Menschen, mit seiner heilenden Macht hilft.

DOMRADIO.DE: Was bis jetzt getan ist und was in Zukunft passieren wird, wird in vielen Bistümern diskutiert. Was muss in Sachen Aufklärung von der Deutschen Bischofskonferenz als nächstes passieren?

Ackermann: Ich würde es nochmal unterscheiden. Aufklärung ist ein Begriff, den ich vor allen Dingen dann verwenden würde, wenn es darum geht, Beschuldigungen aufzuklären. Und mithilfe der Studie, die ein Forschungsprojekt, aber noch keine Aufarbeitung war, liegt uns jetzt das Thema Aufarbeitung vor Augen. Das heißt, wir müssen nun über die individuellen Täter hinausschauen.

Wo liegt institutionelle Verantwortung, wie sind Bistümer und Einrichtungen innerhalb der katholischen Kirche mit den Straftaten und den Vergehen umgegangen? Haben Verantwortliche auf der Höhe der Zeit gehandelt oder hätte man es schon früher besser wissen können? Da brauchen wir wieder einen Lernprozess, um zu sehen, was Aufarbeitung in einem richtigen Sinne heißt. Das gehört zu den nächsten Schritten, die wir Bischöfe uns vornehmen. Aber auch Fachleute sagen, da braucht es Kriterien, damit das in einer Weise geschieht, die dann wirklich helfen kann.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Bischof Stephan Ackermann im Profil / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof Stephan Ackermann im Profil / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR