Nicaragua verbietet Prozessionen und Kreuzwege

Ortegas Krieg gegen die Kirche

Erstmals in der Geschichte Nicaraguas wird es dieses Jahr in der Karwoche keine Prozessionen und Kreuzwege geben. Ein erneuter Schlag von Staatspräsident Daniel Ortega in seinem Feldzug gegen die katholische Kirche.

Ein Junge während einer Oster-Prozession in Nicaragua / © TLF Images (shutterstock)
Ein Junge während einer Oster-Prozession in Nicaragua / © TLF Images ( shutterstock )

Seit fünf Jahrhunderten sind die Prozessionen in der Fastenzeit der Höhepunkt des religiösen Jahres in Nicaragua: bunte, festliche Veranstaltungen mit hunderttausenden Gläubigen; die Volksfrömmigkeit in dem kleinen zentralamerikanischen Land ist groß. Doch in diesem Jahr wird es dort auf den Straßen an Ostern still bleiben: Staatpräsident Daniel Ortega hat Gemeinden schon vor Monaten öffentliche religiöse Handlungen verboten: Patronatsfeste, Prozessionen und auch die Kreuzwege an Karfreitag dürfen nur noch im Inneren von Kirchen und auf speziellen Geländen abgehalten werden.

Daniel Ortega, Präsident von Nicaragua / © Alfredo Zuniga (dpa)
Daniel Ortega, Präsident von Nicaragua / © Alfredo Zuniga ( dpa )

Ein weiterer Höhepunkt im Konflikt zwischen dem nicaraguanischen Regime und der katholischen Kirche, die in den vergangenen Jahren zu einer der schärfsten Kritikerinnen des Regimes wurde. Allein zwischen 2018 und 2022 gab es über 400 Angriffe auf Priester, kirchliches Personal und kirchliche Einrichtungen. Das geht aus der Studie "Nicaragua: ¿Una iglesia perseguida?” ("Nicaragua: Eine verfolgte Kirche?") der Menschenrechtsanwältin Martha Patricia Molina hervor. Das katholische Hilfswerk "Kirche in Not" spricht von "Terror" und "Angst" unter Gläubigen: Sicherheitskräfte würden Geistliche und Gemeinden überwachen, in Gottesdiensten überprüften Beamte in Zivil, ob die Predigt regierungskritisch sei, erzählt eine Kontaktperson, die aus Angst vor Repressalien nicht genannt werden möchte.

26 Jahre Haft für Bischof

Prominentestes Opfer ist bislang der Bischof des Bistums Matagalpa: Rolando José Álvarez war bereits im August 2022 unter Hausarrest gestellt und im Februar 2023 zu einer Haftstrafe von 26 Jahren verurteilt worden. Álvarez hatte Ortega öffentlich kritisiert und zuletzt gegen die Schließung katholischer Radiostationen in dem Land protestiert, die als die letzten unabhängigen Medien dort galten. Der Richter legte ihm Landesverrat, Verbreitung falscher Nachrichten und schwere Behinderung der Behörden zur Last.

Rolando Alvarez, Bischof von Matagalpa / © Moises Castillo (dpa)
Rolando Alvarez, Bischof von Matagalpa / © Moises Castillo ( dpa )

Auch bei den Laien sorgt das mittlerweile für Angst: Mancherorts würden Gläubige bedroht, wenn sie Pfarreien oder Priestern helfen. Einige würden schikaniert, heißt es bei "Kirche in Not". Aus diesem Grund und wegen der sozioökonomischen Situation haben bereits viele Katecheten, Leiter von pastoralen Diensten und Pastoralreferenten das Land verlassen.

Temporäre Verbündete

Nicht immer war das Verhältnis zwischen Kirche und Staat in Nicaragua so zerrüttet: Als Daniel Ortega in den 1970er Jahren als Führer im Guerillakampf Diktator Anastasio Somoza stürzte, gab es - vor allem in der Bewertung der sozialen Ungleichheit - Schnittmengen mit den Befreiungstheologen. Der vor allem in Europa von Linken und Linksliberalen verehrte Priester Ernesto Cardenal wurde in den 1980er Jahren Minister der ersten Regierung von Daniel Ortega, was allerdings zu einem massiven Konflikt mit Papst Johannes Paul II. führte.

Als Ortega 2006 seine Wiederwahl anstrebte, erweiterte er seine politische Basis durch einen Schulterschluss mit der katholischen Kirche, indem er sich für ein totales Abtreibungsverbot einsetzte. Seine Rechnung ging auf, er wurde Präsident und sichert sich das Amt seitdem mittels Wahlmanipulationen und Unterdrückung der Opposition.

Seit 2018 Staatsfeind Nr.1

Der Bruch mit der Kirche erfolgte, als 2018 in Nicaragua hunderttausende Menschen gegen geplante Sozialreformen auf die Straße gingen. Das Regime reagierte mit brutaler Härte, 300 Menschen wurden getötet und Tausende wurden verletzt. Damals stellte sich die katholische Kirche an die Seite der Protestierenden, gewährte Verfolgten Unterschlupf und setzte sich öffentlich für eine friedliche Lösung ein. Seitdem ist sie für Machthaber Ortega der Staatsfeind.

Symbolbild: Die Ordensgemeinschaft der "Mutter-Teresa-Schwestern" leistet Dienst an den Armen und ist auf der ganzen Welt verbreitet. / © Alessio Mamo (KNA)
Symbolbild: Die Ordensgemeinschaft der "Mutter-Teresa-Schwestern" leistet Dienst an den Armen und ist auf der ganzen Welt verbreitet. / © Alessio Mamo ( KNA )

Im Juli vergangenen Jahres wurden die Mutter-Teresa-Schwestern ausgewiesen, nachdem sie mehre Jahrzehnte in Nicaragua Gemeinde- und Sozialarbeit geleistet hatten. Im März dieses Jahres lies die Regierung die Caritas und zwei katholische Universitäten schließen. Kürzlich beschimpfte Ortega die Kirche als "Mafia-Organisation" und die Geistlichen als "Teufel in Soutane" und "Terroristen".

Ende des Schweigens

Die nicaraguanische Bischofskonferenz hat dazu lange geschwiegen, um den Konflikt nicht weiter zu eskalieren. Möglicherweise aber auch, weil unter den Bischöfen keine Einigkeit herrscht, denn es gibt auch Geistliche, die mit Ortega sympathisieren. "Viele – auch kritische Projektpartner – sind der Ansicht, dass sich gerade in sozialer Hinsicht einiges unter Ortega verbessert hat", sagt die Mitarbeiterin einer anderen deutschen Hilfsorganisation, die nicht genannt werden möchte, weil sie selbst erst kürzlich an der Einreise in Nicaragua gehindert wurde und sich um die Sicherheit ihrer Kontaktpersonen vor Ort sorgt. Sie spricht von "Totalitarismus", der das Land beherrsche.

Tatsächlich hat Nicaragua unter der sandinistischen Regierung ein Wirtschaftswachstum erlebt: Eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung, Zugang zu Bildung und das 2007 aufgelegte "Null-Hunger-Programm" sicherten Ortega die Unterstützung ärmerer Bevölkerungsschichten. Die Diskussionen um Demokratieabbau und Aushöhlung des Rechtsstaates sind da weit weg. Und auch unter Katholiken gebe es einige, die überzeugt sind, dass Ortega viel für das Volk getan habe, sagt die Expertin.

Bruch mit Rom

Auch aus Rom war zu den Übergriffen auf die Kirche monatelang nichts zu hören, bis Papst Franziskus nach der Verurteilung von Bischof Alvarez Mitte März schließlich der Kragen platze: In einem Interview nannte er Nicaragua eine "grobschlächtige Diktatur" die man mit den Nationalsozialisten oder den Kommunisten vergleichen könne. Der Reaktion folgte prompt: Nicaraguas Regierung legte die diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl auf Eis, woraufhin der Vatikan seine Vertretung dort schloss; der apostolische Nuntius Waldemar Sommertag war bereits im Jahr 2022 ausgewiesen worden.

Papst Franziskus bei einer Generalaudienz / © Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus bei einer Generalaudienz / © Romano Siciliani ( KNA )

Für die Mitarbeitenden der Kirche und kirchlicher Einrichtungen sei das verheerend, sagt die Vertreterin der deutschen Hilfsorganisation: Durch die Repressalien gegen zivile Einrichtungen komme schon jetzt immer weniger Hilfe ins Land; Gelder und Unterstützung, die dort fehlen, wo es am nötigsten ist. "Und mit der diplomatischen Vertretung ist nun auch eine wichtige kirchliche Stimme, ein Rückhalt weg", sagt sie. "Die Gläubigen fühlen sich jetzt wie Freiwild!"

Bischof Alvarez in Nicaragua zu 26 Jahren Haft verurteilt

Mit einem drakonischen Urteil will das sandinistische Regime in Nicaragua ein Exempel statuieren, um kritische Stimmen im Land einzuschüchtern: Der Bischof von Matagalpa muss für mehr als 26 Jahre ins Gefängnis. "Ich will keinen neuen Märtyrer-Bischof in Lateinamerika": Mit diesen Worten beorderte Papst Franziskus Managuas Weihbischof Silvio Baez schon vor einigen Jahren ins Exil. Nur widerwillig und "im Geiste des Gehorsams" verließ der prominente Kritiker des sandinistischen Regimes Ende April 2019 seine Heimat Nicaragua.

Schattenumriss Gefängnis / © Felix Kästle (dpa)
Schattenumriss Gefängnis / © Felix Kästle ( dpa )
Quelle:
DR