"Schenke unserem Anführer Weisheit, denn er ist Dein Diener, sich seiner eigenen Schwäche und der Kürze seines Lebens bewusst. Wenn die Weisheit, die von dir kommt, nicht mit ihm ist, wird er keine Achtung finden."
Salbungsvollen Worte, die der New Yorker Kardinal Timothy Dolan jüngst vor versammelten Würdenträgern im Kapitol in Washington fand. Gerichtet war das Gebet an den neuen US-Präsidenten Donald Trump, der währenddessen hinter Dolan stehend auf seine anstehende Amtseinführung wartete.
Gebet bei der Einführung von US-Präsident Donald Trump
Es entbehrt dabei nicht einer gewissen Komik, dass der Erzbischof besonders auf die göttliche Weisheit, die der neue Präsident benötigt, wie auch dessen Bewusstsein für die eigene Schwäche so hervorhebt. Denn Trump ist für vieles bekannt; Bescheidenheit und Selbstreflexion gehören aber ganz sicher nicht zu seinen Tugenden.

Auch eine weitere Äußerung aus Dolans Gebet sticht im Nachhinein hervor. So betonte der Kardinal, der Mensch könne nicht irren, wenn er sich an die Bibel halte, "auf die unser Präsident bald seine Hand zum Schwur legen wird".
Was Dolan zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnte: Trump leistete den Schwur, ohne die beiden ihm vorgelegten Bibeln – eine in burgunderfarbenen Samt gebundene Bibel des früheren Präsidenten Abraham Lincoln aus dem Jahr 1861 und sein persönliches Exemplar - ansatzweise zu berühren.
Langjähriger Trump-Unterstützer
Ob das den Kardinal nun geschockt hat? Eher unwahrscheinlich. Dolan zählt schon seit längerem zu Trumps Unterstützern und pflegt auch privat offenbar ein gutes Verhältnis zum Präsidenten. So stützte er nach einem Treffen mit Kirchenführern 2020 Trumps Aussage, dass dieser "der beste Präsident" für die katholische Kirche sei. Zudem brüstete sich der Kardinal damals auch damit, häufiger mit dem Präsidenten zu telefonieren als mit seiner eigenen Mutter; scherzhaft, sicher – und doch wohlkalkuliert.

Dolan, der am 6. Februar sein 75. Lebensjahr vollendet, gehört seit bald einem Vierteljahrhundert zur kirchlichen Führungsriege in den USA. 2001 ernannte Papst Johannes Paul II. den studierten Kirchenhistoriker aus St. Louis zum Weihbischof, ein Jahr später wurde er bereits auf den erzbischöflichen Stuhl von Wisconsin berufen.
Papst Benedikt XVI. machte ihn 2009 dann zum Erzbischof der Millionenstadt New York und nahm ihn drei Jahre später auch ins Kardinalskollegium auf. Gerüchte, wonach er selbst Aussichten auf das Papstamt gehabt habe bei der Wahl 2013, aus der Franziskus hervorging, wies Dolan stets zurück. "Wer das behauptet, hat Marihuana geraucht", sagte der damals 63-Jährige der italienischen Zeitung "La Stampa".
Zwischen den Flügeln
Also blieb Dolan in seiner Metropole New York, in der der beredte Erzbischof sich auch sichtlich wohl zu fühlen scheint. Inner- wie außerhalb der USA zählt er zu den kirchlichen Schwergewichten; gleichwohl lässt er sich in seinen Positionen nicht immer eindeutig zuordnen.
In der notorisch zwischen einem liberalen und einem konservativen bis traditionalistischen Flügel gespaltenen US-Bischofskonferenz, der er von 2010 bis 2013 vorstand, laviert Dolan oft zwischen den Polen. Weder lässt er sich entschiedenen Papst-Kritikern wie seinem Amtsbruder Kardinal Raymond Leo Burke oder dem Erzbischof von San Francisco, Salvatore Cordileone, zuordnen. Aber ebenso wenig ist er ein entschiedener Vertreter des Franziskus-Flügels.
Flexibel bei Reizthemen
Beim Reizthema Homosexualität und und LGBTQ-Rechte zeigt sich Dolans Flexibilität sehr deutlich. Bei der Diskussion um die "Ehe für alle" löste Dolan 2009 noch eine Kontroverse aus, als er Homosexualität zwar von Gott gegeben ansah, ihr offenes Ausleben aber verurteilte.
In einer gemeinsamen Note mit seinem Amtsbruder Kardinal Blase Cupich aus Chicago – einer der wichtigsten Franziskus-Unterstützer – hieß er 2022 noch transgeschlechtliche Menschen in katholischen Krankenhäusern des Landes willkommen - betonte aber gleichzeitig, dass dort niemals Geschlechtsangleichungen durchgeführt würden.
Diese Position entspricht zwar nicht einer Dämonisierung von transgender Personen, wie sie die Trump unterstützende extreme Rechte in den USA betreibt. Sie kommt aber ebenfalls nicht an Offenheit heran, wie sie die päpstliche Erklärung "Fiducia supplicans" von 2023 signalisierte.
Bei Migration päpstliche Linie
Anders sieht die Situation in der Migrations-Frage aus. Hier vertritt Dolan, wie auch einige andere eher konservativ eingestellte Bischöfe, die offene Linie des Papstes. Vor dem Hintergrund seiner Trump-Nähe ist das nun besonders hervorzuheben, steht Massenabschiebung doch ganz oben auf der Agenda des neuen Präsidenten.

Tatsächlich kritisierte Dolan schon im Vorfeld der ersten Inaugurationszeremonie Trumps im Januar 2017, bei der er ebenfalls ein Gebet sprach, sowie auch jüngst wieder die Pläne der Republikaner zur Einwanderungspolitik. Den Bau einer Grenzmauer zu Mexiko sowie geplante Massenabschiebungen verurteilte er öffentlich. Und wenn es etwas gibt, was der notorische Narzisst Trump nicht ausstehen kann, dann ist es Kritik.
Zu spüren war von Dolans Kritik bei der zweiten Amtseinführung nun nichts. Vielmehr betete er ausdrücklich um göttlichen Segen für die "Bestrebungen" des Präsidenten. Die deutliche Kritik des Papstes an den geplanten Ausweisungen noch am selben Tag fand keinen Platz mehr in dem zweieinhalbminütigen Gebet.
Papst kann über Rücktritt entscheiden
Wird das nun Franziskus' Entscheidung beeinflussen? Denn mit Erreichen der Altersgrenze von 75 Jahren müssen Bischöfe dem Papst ihren Rücktritt vom Amt zumindest anbieten. Dieser kann dann entscheiden, ob er ihn annimmt oder nicht. So ist besagter Cupich, der im vergangenen Jahr 75 Jahre alt wurde, weiter im Amt; bei dessen Jahrgangsgenossen Kardinal Daniel DiNardo, vormalig Erzbischof von Galveston-Houston und weniger überzeugter Reformer, nahm Franziskus den Rücktritt an – ausgerechnet am 20. Januar, dem Tag der Inaugurationsfeier.