Neuseeland erzählt seine Geschichten auf der Buchmesse

Interkulturelles und Historisches

In Frankfurt am Main dreht sich wieder alles um Bücher. Auf der Buchmesse zeigen mehr als 7.000 Aussteller aus mehr als 100 Ländern Neuheiten und Trends. Neuseeland ist in diesem Jahr das Gastland. Auch die katholischen Verlage mit religiösem Sortiment präsentieren sich in Frankfurt.

Autor/in:
Thomas Völkner
 (DR)

Neuseeland kommt diese Woche als Gastland zur Frankfurter Buchmesse. Mehr als 60 neuseeländische Autoren werden auf der weltgrößten Bücherschau lesen und diskutieren. Mit dabei sind auch andere Vertreter des kulturellen Lebens: Künstler, Musiker, Filmemacher, sogar Köche und Rugbyspieler. Durch eine spezielle Übersetzungsförderung konnten 2012 mehr als 80 Bücher aus Neuseeland in deutscher Sprache erscheinen. In normalen Jahren sind es selten mehr als zehn.



Angelsächsische und Maori-Erzähltradition

Dabei gilt das Land auf der anderen Seite der Erdkugel nicht gerade als Literaturnation. Die belletristische Produktion ist überschaubar, und nur wenige Autoren dürften im Ausland einem größeren Publikum bekannt sein. Literaturfans sollten sich vom geringen Bekanntheitsgrad aber nicht abschrecken lassen. Es gibt nämlich viel zu entdecken, vereint Neuseeland doch die europäisch-angelsächsische Erzähltradition mit jener der Maori, zu der neben der mündlichen und schriftlichen Überlieferung auch Gesänge, Tänze und Tätowierungen zählen.



Als in den 1930er Jahren ein erster Sammelband mit neuseeländischen Kurzgeschichten herauskam, waren die bereits im 13. Jahrhundert eingewanderten Maori allenfalls Objekte der Beschreibung. Wenige Jahrzehnte später werden die Storys der Maori gemeinsam mit denen der Pakeha, so lautet die gebräuchliche Bezeichnung für Nicht-Maori, veröffentlicht. Das gilt auch für die Anthologie "Ein anderes Land" (dtv, 9,90 Euro), dessen 18 lesenswerte Texte ein differenziertes Bild des Landes zeichnen.



Fragen nach Herkunft und Identität umkreist Craig Cliff, wenn er in "Kopien" von einem Künstler erzählt, der Fotokopien immer wieder aufs Neue kopiert und erst die 500. Kopie zum Kunstwerk erklärt. Alice Tawhai verfolgt in "Maori-Kunst" die Namensgebung innerhalb einer Großfamilie. Während die Generation der Urgroßeltern noch selbstverständlich Maori-Namen trug, wichen deren Kinder und Enkel auf englische Namen aus, weil sie sich damit bei den Pakeha mehr Akzeptanz versprachen. Angesichts der gelebten Multikulturalität der Gegenwart entscheidet man sich heute aber wieder verstärkt für die traditionellen Namen der Urgroßeltern.



Aufeinander treffen der Kulturen

Einen beeindruckenden Roman über die Reise des Maori-Ältesten Paratene Te Manu nach England hat Paula Morris vorgelegt. "Rangatira" (Walde+Graf, 22,95 Euro) basiert auf den Aufzeichnungen ihres Vorfahren, der gemeinsam mit anderen Häuptlingen 1863 das Zentrum des Kolonialreichs bereist. Erst im Erwachsenenalter getauft, erkennt Paratene jetzt die Widersprüche zwischen den Lehren der anglikanischen Missionare und der Lebenswirklichkeit in den Elendsvierteln der englischen Städte. Auch stellt er fest, dass die Weißen mehr an Äußerlichkeiten wie Tänzen und Kleidung interessiert sind als an den Menschen und ihren Geschichten.



Dass neuseeländische Autoren nicht auf interkulturelle Themen festgelegt sind, beweist Sarah Quigley in ihrem Roman "Der Dirigent" (Aufbau-Verlag, 22,99 Euro). Ihr Gegenstand ist die Belagerung Leningrads durch die deutsche Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs und die Bedeutung eines Musikstücks, das unter dem Eindruck der Ereignisse entstand. Der weltbekannte Komponist Dimitri Schostakowitsch widmete seine 7. Sinfonie den Bewohnern seiner Heimatstadt. Trotz immenser Schwierigkeiten wurde sie von den ausgemergelten Musikern des stark dezimierten Leningrader Radiosinfonieorchesters zur Aufführung gebracht.



Die Autorin füllt gekonnt die Leerstellen der verbürgten Geschichte und führt dabei zwei Handlungsstränge parallel: Zum einen die von Schostakowitsch und anderen privilegierten Künstlern. Zum anderen die des unbedeutenden, von Selbstzweifeln geplagten Dirigenten Karl Eliasberg, der das zweitklassige Radioorchester leitet - auch er eine historische Figur. Der Roman überzeugt mit der plastischen Darstellung des Alltags in Leningrad und mit der Beschreibung des Wandels seines Titelhelden Eliasberg. Der liefert am Ende den Beweis, dass Kultur und Musik den Widerstandswillen einer bedrohten Stadt stärken können.