Neues Netzwerk in NRW berät Eltern rechtsextremer Jugendlicher

Wenn die SS-Fahne im Kinderzimmer hängt

Seit zehn Jahren beobachtet das Düsseldorfer Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit die rechtsextreme Szene in NRW. Weil sich die Nachfragen aus der Bevölkerung so stark häuften, wurde nun ein Beratungsnetzwerk gegründet. Über 70 Sozialarbeiter, Pädagogen und Psychologen aus Stadt- und Kreisjugendämtern, Beratungsstellen und Schulen gehören ihm an.

Autor/in:
Sabine Damaschke
 (DR)

An manchen Tagen steht das Telefon in Anne Brodens Büro nicht still. Aufgeregte Eltern, Lehrer oder Sozialarbeiter melden sich, und jeder hat eine Geschichte zu erzählen: vom Staatsschutz, der plötzlich vor der Haustür steht, weil der Sohn ein verbotenes Rechtsrockkonzert besucht hat; von Schülern, die rechtsextreme Pamphlete verteilen; von einem Auszubildenden, der Kollegen mit dem Hitlergruß schockierte.

«In den vergangenen drei Monaten haben mehr besorgte Eltern bei uns angerufen als in den vergangenen zwei Jahren», sagt Broden, die seit zehn Jahren das Düsseldorfer Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit (IDA-NRW) leitet. Weil sich die Nachfragen so stark häufen, hat IDA-NRW nun ein Beratungsnetzwerk in NRW gegründet. Über 70 Sozialarbeiter, Pädagogen und Psychologen aus Stadt- und Kreisjugendämtern, Beratungsstellen und Schulen gehören ihm an.

Eine öffentlich zugängliche Liste der Netzwerker gibt es nicht.
Broden und ihr Team führen die Erstgespräche und verweisen die Eltern, Lehrer und Sozialarbeiter dann an einen Berater vor Ort. «Aus Sicherheitsgründen», erklärt die Projektleiterin. Denn Hass-E-Mails oder beleidigende Anrufe seien keine Seltenheit für diejenigen, die Jugendlichen beim Ausstieg aus der rechtsextremen Szene helfen wollten. «Je länger die Jugendlichen dabei sind, um so schwieriger ist es für sie auszusteigen», beobachtet Broden.

Betroffene
Familien angewiesen auf professionelle Hilfe
Daher benötigten die Familien unbedingt professionelle Unterstützung, meint die Projektleiterin. Zumal sich manch ein Jugendlicher schon eine ganze Weile im rechtsradikalen Milieu aufhält, bevor die Eltern überhaupt von seiner extremen Gesinnung und seinen neuen Freunden erfahren. «Die Zeiten, in denen Rechtsextreme direkt an ihren Glatzen, Springerstiefeln und Aufmärschen erkennbar waren, sind vorbei», erläutert Broden. Heute agiere die Szene sehr viel verdeckter und spreche junge Menschen gezielt über Musik und Freizeitangebote an.

«Es gibt Gruppierungen wie die autonomen Nationalisten, denen man die rechtsextreme Gesinnung gar nicht ansieht», erläutert Broden. Diese Jugendlichen trügen Che-Guevara-T-Shirts und Palästinensertücher. Lediglich kleine Aufnäher mit rechtsextremen Symbolen gäben einen Hinweis auf den Hintergrund der Szene. Auch die Musik sei für Eltern häufig nicht als rechtsradikal zu erkennen. «Die Texte der Hardrockbands sind meist schlecht zu verstehen.» Freizeitangebote mit Abenteuerübernachtungen im Wald wirkten wie harmlose Pfadfindertreffen.

Erste Hinweise auf einen Kontakt zur rechten Szene zeigen sich nach Brodens Beobachtung meist in abfälligen Äußerungen über Migranten und in der Verharmlosung oder gar Legitimation des Holocausts. Doch leider würden diese Anzeichen gerne übersehen. «Es wird nicht so ernst genommen, denn das Misstrauen gegenüber Asylbewerbern gehört mittlerweile zum gesellschaftlichen Diskurs», kritisiert die Projektleiterin. Außerdem gebe es auch in vielen Familien Vorurteile gegenüber Ausländern und einen unkritischen Umgang mit der deutschen NS-Vergangenheit.

«Wir wissen, dass Jugendliche, die sich der Szene anschließen, häufig ein geringes Selbstbewusstsein haben», sagt Broden. Viele hätten Angst vor Arbeitslosigkeit und einem sozialen Abstieg. Sie suchten nach Anerkennung und Zugehörigkeit. «Die rechtsextreme Szene ist für sie attraktiv, weil hier mit Kameradschaft geworben wird und einfache Antworten auf komplexe Fragen etwa der Globalisierung gegeben werden.»

Konfrontation statt Resignation
Daher rät der Bremer Sozialwissenschaftler Franz Josef Krafeld, Eltern sollten versuchen herauszufinden, was ihre Kinder an der rechten Szene attraktiv finden. «Sie müssen dort abgeholt werden, wo sie gerade stehen», betont der Forscher, der als einer der pädagogischen Experten für den Umgang mit rechtsextremen Jugendlichen gilt. Außerdem sollten sich die Eltern mit der Ideologie der rechten Szene, mit ihren Symbolen, der Musik und der Kleidung auseinandersetzen. «So können sie in Diskussionen mit ihren Kindern auf das widersprüchliche Weltbild der Rechtsextremisten hinweisen.»

Konfrontation statt Resignation laute die Devise, meinen die Experten für Rechtsextremismus. Doch nicht nur das: «Es geht auch darum, Alternativen zur rechten Szene anzubieten», unterstreicht Krafeld. Wie das konkret aussehen kann, diskutierte Anne Broden neulich im Telefongespräch mit einem Vater. Statt die Teilnahme des 18-jährigen Sohnes an der Reise einer rechtsextremen Burschenschaft nach Helgoland zu verbieten, schlug er ihm einen längeren Italienaufenthalt vor. Mit Erfolg. «Natürlich werden die Eltern weiterhin um ihren Sohn kämpfen müssen», räumt Broden ein. «Aber sie sind auf einem guten Weg.»