Neues Buch zur Geschichte der Juden nach 1945

Normalität in Wellenbewegungen

Rund 300 zahlende Teilnehmer bei einer Buchpräsentation an einem sonnigen Sonntagnachmittag sind auch für eine Verlegerstadt wie München bemerkenswert. Sie alle kamen, um "Die Geschichte der Juden in Deutschland - von 1945 bis heute" zu hören. Der Band hat Standardwerkqualitäten.

Autor/in:
Gabriele Riffert
 (DR)

Herausgeber ist der Münchner Historiker Michael Brenner bei C. H. Beck. Ihnen gelang sogar das Kunststück, die aktuelle Debatte über die rituelle Beschneidung ins eigentlich fertige Werk aufzunehmen. Charlotte Knobloch, seit 1985 Vorsitzende der örtlichen Kultusgemeinde, räumte in ihrem Grußwort ein, dass die Debatte nach dem Urteil des Kölner Landgerichts ihr "inneres Koordinatensystem ins Wanken" gebracht habe. Selbst ernannte Experten schwadronierten darüber, wie Juden in Deutschland ihre Religion zu leben hätten.



"In ihren schlimmsten Alpträumen" hätte sie nicht geahnt, dass es hierzulande noch so viele antisemitische Ressentiments gebe, wie sie sich etwa in Leserbriefen zeigten, sagte Knobloch. Doch sie blieb nicht bei diesem deprimierenden Resümee. "Es gibt wieder Judentum in Deutschland. Wir sind da und wir bleiben in Deutschland."



Dieses wieder vorhandene jüdische Leben in Deutschland hatte indes viele Schwierigkeiten zu meistern, wie die Podiumsdiskussion zeigte. So waren die meisten Juden, die nach 1945 in Lagern für sogenannte Displaced Persons lebten, wegen des zunehmenden Antisemitismus aus Osteuropa in die amerikanische Besatzungszone eingereist, um in die USA zu gelangen. Dauerhaft im "Land der Mörder" zu bleiben, konnte sich damals kaum eine jüdische Familie vorstellen.



Juden bekennen sich wieder zu ihrem Glauben

Zugleich gab es einen unausgesprochenen "Bann", mit dem Juden, die ihre deutsche Heimat nicht hinter sich lassen wollten, belegt wurden. 1950 setzte ihnen die zionistische Jewish Agency eine Frist von sechs Wochen für die Auswanderung; andernfalls würden sie nicht mehr als Juden gelten. "Solche Verlautbarungen wurden von Sprechern der zu einem Verbleiben in Deutschland entschlossenen Juden mit demonstrativer "Wehmut" vernommen", heißt es dazu im Buch.



Die meisten jüdischen Familien, die blieben, zogen es in den kommenden Jahrzehnten vor, ihr Judentum möglichst "unauffällig" zu leben. Erst die folgende Generation bekannte sich deutlich wahrnehmbar zu ihrer Religion und Kultur. "Es hat sich viel getan", betonte Rachel Salamander, die seit mittlerweile 30 Jahren in München ihre Literaturhandlung betreibt. Dennoch habe sie den Eindruck, die Beziehungen zwischen Juden und Deutschen seien heute nicht weiter als vor 20 Jahren. Der Prozess der Normalisierung verlaufe offenbar in "Wellenbewegungen".



Der Jenaer Historiker Norbert Frei erkannte eine Ungleichzeitigkeit in diesen Beziehungen: So hätten beispielsweise 1992 rechtsradikale Attentate stattgefunden. Zugleich hätten sich damals viele Deutsche Ignatz Bubis als Bundespräsidenten vorstellen können. Urteile wie das des Kölner Landgerichts zur Beschneidung könnten indes "Aktualisierungsschübe von Bodensatz an Antisemitismus" bewirken. Internetblogs, in denen sich jeder "auskotzen" und extreme Positionen veröffentlichen dürfe, verschärften diese Tendenz.



Der Herausgeber Michael Brenner verwies darauf, dass bis zum Fall des Eisernen Vorhangs 1990 nur rund 30.000 Juden in Deutschland gelebt hätten. "Die Geschichte der damaligen Bundesrepublik und auch der damaligen DDR wäre ohne diese 30.000 völlig anders verlaufen", da sie zum Teil beachtliche Lebensleistungen vollbracht hätten.



Hinweis: Michael Brenner, "Geschichte der Juden in Deutschland - Von 1945 bis zur Gegenwart", Verlag C. H. Beck München 2012, 542 Seiten, 34 Euro.