Wie Kirche in einem Neubaugebiet entsteht

Neues ausprobieren

Noch ist Freiham bei München eher eine riesige Baustelle, aber es hat bereits der erste Gottesdienst stattgefunden - mittendrin auf einer Wiese. Es bleibt spannend, wie Kirche diese Freifläche zur eigenen Entfaltung nutzen wird.

Neues Stadtviertel Freiham bei München / © SebastianO Photography (shutterstock)
Neues Stadtviertel Freiham bei München / © SebastianO Photography ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wenn man mit dem Zug vom Münchner Hauptbahnhof in Richtung München Freiham fährt, dann landet man nicht etwa in einem ganz normalen Stadtteil, sondern vielmehr auf einer riesigen Baustelle. Denn Freiham ist noch nicht fertig. Über 25.000 Menschen sollen dort einmal wohnen und noch mal gut 15.000 dort arbeiten. Das dauert allerdings noch ein paar Jahre. In diesem neu entstehenden Stadtteil hat auch die katholische Kirchengemeinde ein Grundstück bekommen, das sie bebauen kann. Was genau bauen Sie da auf dem Grundstück? Eine neue Kirche?

Johannes van Kruijsbergen (Pastoralreferent im Pfarrverband München-West): Nein. Aber tatsächlich war der Gedanke da, in einem neuen Stadtteil auch ein neues Kirchengebäude zu errichten. Man merkt ja, wir tun uns schwer, unsere bestehenden Kirchengebäude vollzukriegen, weil die Religiosität und der katholische Glaube in der Gesellschaft immer stärker abnimmt. Für uns war dann klar, ein neues Kirchengebäude muss nicht sein, weil wir in 500 Metern Nähe Sankt Markus als bestehende Kirche haben, die noch super in Schuss ist und den Gottesdienstraum bietet. Deshalb haben wir uns gedacht, in Freiham haben wir die Möglichkeit, mal etwas Neues auszuprobieren.

DOMRADIO.DE: Aber wenn doch 500 Meter weiter noch eine Kirche steht, warum verlegen Sie das Neue denn nicht zentral dahin? Warum braucht es diesen Neubau dann noch?

Kruijsbergen: Weil uns wichtig ist, nicht nur zu zeigen, dass wir im alten Stadtteil sind, sondern dass wir auch wirklich Teil dieses neuen Stadtteils sein wollen, dass wir mitten drin sind, wo die Leute wohnen, leben, dass wir auch etwas Neues mit aufbauen. Es soll dort deutlich werden, dass auch die Kirche mit aufbaut, selbstverständlicher Teil in diesem Stadtteil ist und auch als Partner unter vielen, die da was machen, für die Leute planen und etwas anbieten. Da wollen wir einfach mit dabei sein, und das zeigt sich am besten, wenn wir auch wirklich vor Ort da sind.

DOMRADIO.DE: Wie sind Sie denn bei der Konzeptionierung dieses Neubaus vorgegangen? Worauf haben Sie geachtet und was genau wird es jetzt?

Kruijsbergen: Wir haben lange überlegt, ob man vielleicht eine Schule bauen könnte, weil viele junge Familien dorthin ziehen werden. Das heißt, es wird ein sehr kinderreicher Stadtteil werden. Mit einer Grundschule können wir Kontakte zu Eltern und Kindern knüpfen. Es hat sich aber gezeigt, dass ein großer Schulcampus geplant ist für 3000 Schüler inklusive Grundschulen, sodass wir wahrscheinlich viel Energie verschwenden würden.

Jetzt denken wir, weil da eine riesige Betonwüste mit vielen Hochhäusern entsteht, ob wir nicht einen Gegenort anbieten könnten. Bei uns steht dann nicht ein weiteres großes Gebäude, sondern viel freie Fläche, wo man durchatmen, zu sich kommen, im Alltag eine Pause machen und eben auch spirituell auftanken kann. Die Idee ist: Kirche als Ort, wo man Energie tanken kann und sein darf, so wie man ist.

DOMRADIO.DE: Welche Chance sehen Sie für die Kirche bzw. für Ihre Gemeinde darin, in diesem neu entstehenden Stadtteil eben auch so präsent zu sein?

Kruijsbergen: Wir sehen die große Chance, eine neue Gemeinde aufzubauen und neue Gemeinschaft zu ermöglichen. Aber auch als Kirche mal neue Wege zu gehen, weil wir dort keine vorgefertigten Strukturen haben, sondern auch wirklich mal genau darauf eingehen können: Welche Leute wohnen da? Was brauchen die denn? Weil wir merken, Religion oder Spiritualität ist den Menschen immer noch sehr wichtig und hoch im Kurs.

Vielleicht ist die Kirchenbindung nicht mehr so bedeutsam, aber es gibt das Bedürfnis nach religiösen, spirituellen Angeboten, die einfach eine Tiefe im Leben geben und auch weiterbringen, und das wollen wir dort ermöglichen. Heißt aber für uns, wir müssen auch unser Programm ein bisschen umstellen und neu denken und uns neu auf die Leute einlassen, die dort hinziehen.

DOMRADIO.DE: Ist das vielleicht auch so ein bisschen exemplarisch für die Zukunft der Kirche, wenn die Kirchenbindung weiter abnimmt?

Kruijsbergen: Das sehe ich auch so, dass wir testen und mal schauen, was die Leute heute von der Kirche und vom Glauben brauchen. Die bestehenden Pfarreien und Kirchen haben eine jahrhundertealte Tradition. In Freiham können wir auf einer freien Fläche neu etwas aufbauen und schauen, wo ist die Kirche heute nötig? Wo sind die Bedürfnisse der Menschen, wo können wir was anbieten? Aber vielleicht auch kritisch zu merken, wo es nicht gebraucht wird, weil andere das besser machen können. In Freiham ist tatsächlich spannend für uns als Kirche mit den Leuten das herauszufinden und auch zu entwickeln.

DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie vor Kurzem schon den ersten Gottesdienst auf dem Grundstück gefeiert. Wie war es?

Kruijsbergen​​​​​​​: Das war sehr schön, Gott sei Dank hatten wir wunderschönes Wetter. Wir haben ja bis jetzt nur eine große Wiese, die auch ein bisschen hügelig ist. Die Älteren haben sich ein bisschen schwergetan. Aber trotzdem hat man gemerkt, wie schön es ist, wenn die Gemeindemitglieder aus den Altpfarreien zusammenkommen.

Gleichzeitig ist links und rechts davon die Baustelle mit Baucontainern, wo häufig Arbeiter aus Osteuropa arbeiten, die ihr Handy gezückt, den Gottesdienst beobachtet und zum Teil auch aufgenommen haben oder teilweise sogar herüber gekommen sind. Da hat man gemerkt, das, was wir tun, hat schon Auswirkungen und strahlt nach außen. So was wollen wir auf jeden Fall weiterführen.

DOMRADIO.DE: Ich habe gehört, bei dem Gottesdienst, da kam ein ganz besonderer Rasenmäher zum Einsatz.

Kruijsbergen​​​​​​​: Das ist das Schöne an diesem Stadtteil, weil man einfach viel Neues entdeckt. Vor den Sommerferien im Juni oder Juli war ein Schäfer unterwegs im Münchner Westen, der eine Herde von 500 Schafen und 80 Ziegen hatte. Er ist an der Autobahn entlang gezogen. Wir hatten noch das Problem, wenn wir dort Gottesdienst feiern wollen, muss irgendwie das große Gestrüpp gemäht werden. Und so habe ich den Schäfer gefragt, ob er nicht einfach mit seinen Schafen auf das Grundstück kommt und die Schafe dort grasen können.

Das hat tatsächlich auch geklappt. Zwei Tage lang waren 500 Schafe und Ziegen da, haben wunderschön das Gras heruntergefressen, sodass wir jetzt im Herbst nur noch leicht mähen mussten und dann einfach schon den perfekten Ort hatten. Gleichzeitig war es ein unglaublich schönes Bild, so eine riesige Schafherde zu sehen mit den Kränen und Baustellen im Hintergrund, weil das auch ein Bild von Kirche ist. Als Kirche haben wir ein Hirtenamt, das heißt, die Sorge für die anderen Menschen, wo wir aufeinander aufpassen wollen. Und es wurde da eigentlich leibhaftig sichtbar und auch erfahrbar.

Das Interview führte Hannah Krewer.


Quelle:
DR