Neue Spekulationen und wenig Klarheit in Sachen "Vatileaks"

Entscheidung Ende der Woche

Spätestens Ende der Woche will die vatikanische Justiz über die weiteren Schritte gegen den päpstlichen Kammerdiener Paolo Gabriele entscheiden. Nach drei Anhörungen des Beschuldigten muss Staatsanwalt Nicola Picardi seine Anklage fertigstellen. Danach wird Richter Piero Antonio Bonnet entscheiden, ob ein Prozess gegen den untreuen Butler, dem schwerer Diebstahl vertraulicher Papst-Dokumente zur Last gelegt wird, eröffnet, oder ob der Fall niedergeschlagen wird - was weniger wahrscheinlich ist.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Eigentlich war der Abschluss der Ermittlungsphase schon für Montag erwartet worden. Aber die Justiz brauche noch einige Tage länger, war am Wochenende aus dem vatikanischen Presseamt zu hören. Und während Gabrieles Verteidiger Carlo Fusco mit einem Prozessbeginn im Herbst rechnet, tauchen in den Medien neue Versionen und Spekulationen über Tathergang und Hintergründe von "Vatileaks" auf, in die der Kammerdiener verwickelt ist.



So titelte die Zeitung "Corriere della sera" am Sonntag: "Der Rabe gesteht: So habe ich gehandelt". Statt spannender Enthüllungen erfährt der Leser freilich nur, dass Gabriele selbst der vermummte vatikanische "Zeuge" in der ersten Enthüllungssendung im Fernsehen am 22. Februar gewesen sein soll. Das hatten Insider aufgrund von Gestik, römischem Akzent und maßgeschneiderter Jacke bereits seit längerem vermutet. Dann lässt der "Corriere" wissen, dass der Butler die gestohlenen Papst-Dokumente auch in der Playstation seines Sohnes versteckt habe. Im übrigen behauptet das Blatt, dass Gabriele die Tat gestanden und sich als Einzeltäter bezeichnet hat.



Das erste Enthüllungsbuch des Journalisten Gianluigi Nuzzi "Vatican Spa" (über die Vatikanbank IOR) habe den Kammerdiener so beeindruckt, dass er den Kontakt zu diesem aufgenommen habe. Mit Nuzzis Hilfe wollte er das vom Papst eingeleitete "Werk der Reinigung" an der Kurie befördern. Diese These decke sich, so der "Corriere", mit Nuzzis Vorwort in seinem aktuellen Buch "Sua Santita" über die Papst-Dokumente. Danach wäre dieses ohne "Vatican Spa" nicht zustande gekommen. Allerdings hatte Nuzzi an gleicher Stelle von einer Gruppe von Informanten gesprochen und behauptet, seine Quelle sei im Staatssekretariat tätig. Offen lässt der "Corriere", ob die Informationen aus Justizprotokollen, von Gabrieles Anwalt oder von dem unter Hausarrest stehenden und mit Sprechverbot belegten Butler selbst stammen.



Kein Einzeltäter?

Unterdessen stößt die These vom reuigen Einzeltäter, wie sie auch Gabrieles Verteidiger Fusco propagiert, weiterhin auf Skepsis. Zwar fehlt nach wie vor eine schlüssige Erklärung für den Dokumenten-Diebstahl, der ein Klima des Misstrauens geschaffen hat.  Auch die These einer großen deutschen Tageszeitung, wonach Neid und Missgunst von drei namentlich genannten Vatikanvertretern hinter "Vatileaks" stehen sollen, wurde offenbar so energisch dementiert, dass sie in den Medien keine Rolle mehr spielt. Aber weiterhin scheint unwahrscheinlich, dass der als "eher schlicht" bezeichnete Gabriele ohne Start- oder Nachhilfe von außen ganz allein diese kriminelle Energie entfaltet haben soll.



Bleibt die Frage nach Verlauf und möglichem Resultat eines vatikanischen Gerichtsprozesses. Offen ist auch, ob Papst Benedikt XVI. möglicherweise seinem untreuen Butler verzeiht. Ein solches Verzeihen würde jedoch nicht zugleich auch Gnade vor Gericht oder Freispruch bedeuten. Auch Johannes Paul II. hatte seinem Attentäter Ali Agca unmittelbar nach der Tat verziehen und ihn später im Gefängnis besucht.



Zum Abschluss der Anhörungen hatte Benedikt XVI. am 26. Juli die vatikanischen Ermittler und Justiz-Instanzen aufgefordert, dem Fall "mit Sorgfalt" nachzugehen. Das bedeutet, dass es ihm um Transparenz und Klarheit über "Vatileaks" geht. Denn nur dadurch, so hört man immer wieder in Rom, ließen sich der große Ansehens- und Vertrauensverlust für die vatikanische Kurie wieder reparieren.