Hier ist Oskar Schindler nur einer unter vielen. Eine Vitrine zeigt das Leben des wohl bekanntesten Judenretters anhand eines kurzen Films, mit Fotos und Originaldokumenten. Rund 1.100 Juden rettete der Industrielle vor der Ermordung durch die Nationalsozialisten. Doch Schindler war nicht der einzige Deutsche, der sich der Judenverfolgung im Dritten Reich widersetzte. Gut 5.000 Juden überlebten im Untergrund dank der Hilfe von Verwandten, Freunden oder Arbeitskollegen.
An diese «Stillen Helden» erinnert seit Montag eine eigene Gedenkstätte mit eben diesem Namen in Berlin, gleich in der Nähe des Hacke'schen Marktes. An authentischem Ort: Gleich nebenan bewahrte Otto Weidt, ein Altberliner Besenbinder, in der Nazizeit einige blinde Juden vor der Vernichtung. Eine Schindler-Geschichte im Kleinen.
Die «Gedenkstätte Stille Helden» entstand in Zusammenarbeit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Auf zwei Etagen dokumentiert sie fast 300 Geschichten - Geschichten wie die von Eugen Kahl. Sein Vater war Arzt und widersetzte sich dem Aufruf der Nationalsozialisten, keine Juden mehr zu behandeln. Der 16-jährige Eugen war als Luftwaffenhelfer außerhalb Berlins eingesetzt. Eines Abends kehrte er heim und entdeckte völlig überrascht einen Mann auf dem Dachboden des elterlichen Hauses. Es war der jüdische Verlobte einer Patientin des Vaters, den die Eltern seit geraumer Zeit versteckten und dem sie später zur Flucht verhalfen. «Ich durfte mit niemandem darüber reden», erinnert sich Kahl heute. Und auch seine Eltern schwiegen. Wie so viele der «stillen Helden».
«Wir dürfen das nicht mit heutigen Maßstäben messen», weiß der Leiter der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Johannes Tuchel. «Heute gilt Widerstand gegen den Nationalsozialismus als uneingeschränkt positiv.» Gleich nach dem Krieg sei dies längst nicht so gewesen. Deshalb wurden die Namen der Retter oft erst durch die Überlebenden bekannt, die sich bei ihren Helfern bedanken wollten. Eugen Kahl drängten die eigenen Kinder, die Geschichte ihrer Großeltern aufzuschreiben.
Nicht nur Kinder der Retter, auch Nachfahren der Überlebenden gehören zu den ersten Gästen der Ausstellung. Maya Hill ist extra aus den USA angereist - ihr Vater hockte einst auf dem Kahlschen Dachboden, letztlich verdankt sie ihre Existenz der Courage des Arztes. Auch die Söhne von Lilli Michalski sind gekommen, einer getauften Jüdin, von deren Schicksal in einer anderen Vitrine erzählt wird. Eine Arbeitskollegin des Vaters half der Mutter und den Söhnen damals bei der Flucht nach Österreich. Dabei hätten sich noch viel mehr Menschen als Retter erwiesen, betont der 1934 geborene Sohn Franz: «Wir haben Nächte in Hotels verbracht. Und die Hoteliers taten so, als wüssten sie nichts davon.»
Nicht alle Geschichten, die in der Gedenkstätte erzählt werden, haben ein Happy End. Nach Schätzungen der Organisatoren gingen in Deutschland über 10.000 Juden in den Untergrund, nur die Hälfte überlebte. Flog ein Versteck auf, mussten auch die Helfer die Konsequenzen fürchten. Dass sie trotzdem halfen, ist für Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ein Vorbild für heute. «Die Erinnerung an diese tapferen Menschen ruft uns dazu auf, Angriffe auf die Würde des Menschen niemals zuzulassen», mahnt er deshalb.
Die Gedenkstätte soll also erinnern, aber auch ermutigen für die Zukunft. Durch ihre Gestaltung wird sie vor allem junge Menschen ansprechen: Computer-Datenbanken und große Touchscreens passen eher zur Enkel-Generation der Retter. Vielleicht wird der ein oder andere auch noch stilles Engagement seiner Großeltern ans Licht bringen. Namen von 3.000 Rettern und Geretteten wurden bislang zusammengetragen, insgesamt riskierten aber wohl um die 20.000 Deutsche ihr Leben für verfolgte Mitmenschen. Darum nennt Tuchel die «Gedenkstätte Stille Helden» auch eine «Dauerausstellung, die niemals fertig werden wird». Ein Anfang ist jedenfalls gemacht.
Neue Gedenkstätte erinnert an Fluchthelfer und Unterstützer der Juden im Dritten Reich
Die anderen Oskar Schindlers
In Berlin hat eine Gedenkstätte eröffnet, die an Menschen erinnert, die den von den Nationalsozialisten verfolgten Juden Unterschlupf oder Hilfe bei der Flucht boten und sie vor der Ermordung bewahrten. Die Ausstellung in einem unscheinbaren Hinterhof im Zentrum der Hauptstadt porträtiert diese "Stillen Helden", die mit ihrem Engagement ein hohes Risiko eingingen. Dokumentiert werden Fälle von geglückten, aber auch von gescheiterten Rettungsversuchen.
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