Neue Bücher zu den Zehn Geboten

Gier ist wieder verwerflich

Seit Monaten hält die weltweite Finanzkrise die Menschen in Atem. Der Ruf nach einer neuen Ordnung der Systeme wird laut. Plötzlich ist Moral gefragt, Gier ist wieder verwerflich. Dazu passt, dass selbst die Zehn Gebote neues Interesse finden.

Autor/in:
Renate Kortheuer-Schüring
 (DR)

Zwei neue Bücher sind in diesem Herbst erschienen, die sich den Zehn Geboten widmen und nicht nur anlässlich des Buß- und Bettags zum Nachdenken anregen. Der Benediktiner-Abtprimas Notker Wolf und der Journalist Matthias Drobinski haben im Herder-Verlag ihre Auslegung der Zehn Gebote ("Regeln zum Leben") veröffentlicht. Ein weiteres Buch stammt von dem evangelischen Theologe Roland Rosenstock ("Die zehn Gebote", Rowohlt-TB). In beiden Fällen versuchen die Verfasser die strengen Vorschriften des altestamentlichen Gottes als Lebenshilfe für heute zu interpretieren.

Unzählige Male künstlerisch verarbeitet, etwa in dem bekannten Monumentalfilm "Die Zehn Gebote" mit Charlton Heston von 1956, gilt der Dekalog als Grundlage der christlich-jüdischen Ethik. Moses soll das Gesetz der Israeliten, graviert auf zwei Tontafeln, von Gott selbst erhalten haben, nachdem er sein Volk aus der ägyptischen Gefangenschaft führte. So berichtet es die Bibel. Forscher gehen davon aus, dass die Gebote in einem jahrhundertelangen Prozess entstanden sind, der erst 100 nach Christus abgeschlossen wurde.

Nicht zuletzt wegen ihrer ausgesprochenen Rigidität, erscheinen sie aber vielen Menschen heute als unbrauchbar und allzu sperrig: "Du sollst...", so beginnen sie abschreckend, beziehungsweise "Du sollst nicht...". "Du sollst nicht töten", "nicht ehebrechen", "nicht falsch Zeugnis reden (lügen)", und "nicht begehren Deines Nächsten Haus" und - wie Martin Luther übersetzt - "nicht begehren Deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh noch alles, was sein ist". "Du sollst" hingegen den "Feiertag heiligen" und "Vater und Mutter ehren".

Neue Faszination
Doch in jüngster Zeit übt das uralte Regelwerk, das "Grundgesetz" des Volkes Israel, eine neue Faszination aus. Die Autoren der beiden Bücher zeigen, welche Brisanz es birgt, und landen damit mitten im Leben des 21. Jahrhunderts. Das Gebot, die Eltern zu "ehren" etwa, wirkt heute überholt und repressiv: Wolf/Drobinski verweisen denn auch auf seinen immensen Missbrauch durch eine schwarze Pädagogik, die noch bis in die 60er Jahre hinein Kindern nur blinden Gehorsam abverlangte. Aber sie verweisen auch auf die Missachtung des Alters in einer vom Jugendwahn geprägten Gesellschaft.

Was bedeutet "ehren", wenn der Vater im Altersheim lebt, oder für die Pflege zu Hause, wenn die verwirrte Mutter ihre Kinder nicht mehr kennt? Der oberste Benediktinermönch und der Kirchenexperte der "Süddeutschen Zeitung" zeigen, dass das Gebot nicht bestimmte Lösungen aufzwingt, sondern Wege eröffnet, die dem Leben aller dienen - auch den Schwachen und Hilflosen.

Eigentlich noch provokativer wirkt das sechste Gebot: die scheinbar den Spaß verderbende Forderung nach der Treue in der Ehe. Hier mutet das "Zehnerwort" am altmodischsten an, und - in Zeiten allgegenwärtigen medialen Sexkonsums und einer mehrheitlich libertären Grundhaltung - auch am naivsten. In den "Regeln zum Leben" wird es als "romantisch" neu entdeckt: "Es weiß, dass Beziehungen scheitern können, wie schnell die Treue gebrochen ist. Aber es träumt unverdrossen von der unendlichen Liebe zwischen zwei Menschen."

"Es geht um das gute Leben, nicht um einen einengenden Katalog"
Dass das, was für moderne westliche Individualisten nach Freiheitsberaubung klingt, innere Freiheit erst ermöglicht, versuchen die Verfasser beider Bücher darzustellen. Wolf und Drobinski wenden sich dabei ebenso tiefsinnig wie lebensnah an spirituell und ethisch Suchende. Rosenstock, protestantisch-nüchterner, kommt vielleicht eher dem rationalen Leser entgegen, mit vielen Beispielen und Hilfestellungen.

"Es geht um das gute Leben, nicht um einen einengenden Katalog", betont Notker Wolf. Die Gebote werden zum Leitfaden für gelingendes und friedliches Zusammenleben, der frei macht - auch "vom Habenmüssen" und der "Ökonomisierung des Lebens".

Selbst Unternehmer haben die Gebote wiederentdeckt. Der Bund Katholischer Unternehmer schrieb sie um für Manager: "Zügele deine Begehrlichkeit. Halte deinen Egoismus im Zaum." Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Ludwig Georg Braun, mahnte bereits 2007 im "Manager-Magazin" die Einhaltung der Zehn Gebote an: nicht lügen, korrekt und ehrlich sein, fair handeln. "Über allem" macht Braun dieselbe Regel aus wie der Benediktiner: "Du sollst so mit anderen umgehen, wie du wünschst, dass mit dir umgegangen wird." Dieser Beitrag wurde bereits am 17. November gesendet.